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Vor dem Unterhaus gehen seit Wochen Gegner und Fans des Brexit auf die Straße, um für ihre Anliegen zu werben.

Foto: AP/Frank Augstein

Zu Beginn eines fünftägigen Debatten-Marathons über den EU-Austritt hat die Regierung von Premierministerin Theresa May am Dienstag sowohl im Unterhaus wie vor dem Europäischen Gerichtshof Niederlagen einstecken müssen. Die Regierungschefin gab sich davon unbeirrt: Ihr mit Brüssel ausgehandeltes Verhandlungspaket stelle die richtige Lösung dar. "Die Bürger wollen, dass das Austrittsvotum respektiert wird und wir unser Land wieder zusammenführen."

Für die Verabschiedung des vor zehn Tagen mit den 27 EU-Partnern vereinbarten Austrittsvertrages sowie der dazu gehörigen Zukunftsvereinbarung ist die Zustimmung des Unterhauses nötig. In den nächsten Tagen werden die Parlamentarier täglich acht Stunden lang Argumente austauschen, ehe am kommenden Dienstag die Abstimmung vorgesehen ist. Da May einer Minderheitsregierung vorsteht und mehrere Dutzend ihrer eigenen Fraktionsmitglieder Gegenstimmen oder Enthaltungen angekündigt haben, gilt eine Niederlage der Regierung als wahrscheinlich.

Einen Vorgeschmack erhielten May und ihr Team bereits am Dienstagabend. Auf Antrag sämtlicher sechs Oppositionsparteien beriet das Unterhaus stundenlang darüber, ob die Konservativen sich der Missachtung des Parlaments schuldig gemacht hätten. Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer erinnerte daran, man habe Mitte November mehrheitlich von der Regierung die Veröffentlichung eines Rechtsgutachtens verlangt. Darin hatte der Generalstaatsanwalt im Kabinettsrang, Geoffrey Cox, seinen Ministerkollegen das Für und Wider zum Austrittspaket aus juristischer Sicht erklärt.

Gutachten wird öffentlich

Solche Gutachten müssten auch weiterhin der Vertraulichkeit unterliegen, argumentierte Cox und veröffentlichte lediglich eine 52-seitige Zusammenfassung des Rechtsgutachtens. Der Jurist habe das Parlament nicht missachtet, "sondern mit dem höchsten Respekt behandelt", sagte seine Kabinettskollegin Andrea Leadsom. Dies sah die Kammer mehrheitlich anders: Mit 311:293 Stimmen bezichtigten die Abgeordneten die Regierung der Missachtung des Parlaments. Umgehend sicherte Leadsom die Veröffentlichung des gesamten Gutachtens für Mittwoch zu.

Dessen zentrale Punkte sind ohnehin längst bekannt. So lässt Brexit-Befürworter Cox bei der wichtigsten Streitfrage keinen Zweifel: Die Auffanglösung für Nordirland, die dem Offenhalten der inneririschen Grenze dient, kann nur im beiderseitigen Einvernehmen zwischen Brüssel und London gekündigt werden. Diese eindeutige Einschränkung staatlicher Souveränität wollen die Brexit-Ultras nicht hinnehmen. Cox hingegen verweist auf den Kompromisscharakter des Austrittsvertrages: "Es wird Zeit, dass die Leute erwachsen werden."

Dass die Parlamentskammer auf der Veröffentlichung des gesamten Schriftstücks beharrte, hat einen politischen Grund: Schwankende Abgeordnete auf beiden Seiten der Debatte suchen nach Gründen, um dem Austrittspaket eine Absage erteilen zu können. Während sich manche dann ein zweites Referendum wünschen, sehnen andere den Chaos-Brexit ohne Vereinbarung herbei.

May ist sich ihres Jobs sicher

Und Premierministerin May? Allen Fragen nach ihrer politischen Zukunft weicht die Regierungschefin aus: "Ich werde auch in zwei Wochen noch einen Job haben." Formal stimmt das, schließlich amtiert die 62-Jährige selbst im Fall eines Rücktritts als Premierministerin weiterhin als Abgeordnete des Wahlkreises Maidenhead.

Die parlamentarische Kraftprobe stellt den vorläufigen Höhepunkt eines Tauziehens zwischen Exekutive und Legislative dar. Mays Regierung wollte den Brexit-Prozess von Anfang an am liebsten ohne das Unterhaus einleiten und durchziehen. Über den offiziellen Austritt nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrages durften die Abgeordneten erst abstimmen, nachdem Aktivisten den Supreme Court angerufen hatten.

Beim Europäischen Gerichtshof bahnt sich nun eine erneute juristische Niederlage der Regierung an. Mehrere Parlamentarier wollen gegen Londons Willen sicherstellen, dass das Unterhaus notfalls den EU-Austrittsantrag nach Artikel 50 zurückziehen kann. Dieser Meinung schloss sich am Dienstag der zuständige Generalanwalt Manuel Campos Sanchez-Bordona an; die große Kammer des Gerichts folgt im Normalfall seinem Vorschlag. Das Urteil wird noch vor Weihnachten erwartet.

Nigel Farage verlässt Ukip

Mitten im Trubel um den Brexit hat am Dienstag Nigel Farage, einer der Wegbereiter des britischen EU-Austritts, seinen Austritt aus der UK Independence Party (Ukip) erklärt. Farage hatte die Ukip einst mitgegründet, sich zuletzt aber mit der Parteiführung überworfen. (Sebastian Borger, 4.12.2018)