Der Raubüberfall ist ein Erbstück: ein speckiges Büchlein mit Skizzen und Notizen für den nächsten Coup. Es ist das einzige wichtige Gut, das Veronica Rawlins (Viola Davis) von ihrem Mann Harry (Liam Neeson) behält, nachdem er mit seiner Crew in einen tödlichen Hinterhalt geraten ist.

Kriminelle Erfahrung haben die drei Witwen nicht. Das hindert Linda (Michelle Rodriguez) und Alice (Elizabeth Debicki) dann jedoch keinesfalls daran, den Job mit Veronica auszuführen. Selbst ist die Frau – und in finanzieller Not. Die eine hat gerade ihr Geschäft verloren, die andere soll anschaffen gehen. Dies findet zumindest ihre Mutter, und dann gibt es da allerdings noch ein Problem.

Szenische Miniaturen über das Anrennen gegen den Starrsinn der Macht.
Foto: Centfox

Dampft man Steve McQueens Widows auf diese erzählerische Essenz eines Heist-Movies ein, bekommt man nur eine vage Vorstellung von diesem ungewöhnlichen Film. McQueen, der britische Künstler und Regisseur systemkritischer Filme wie 12 Years a Slave und Hunger, hat seinen ersten richtigen Unterhaltungsfilm gedreht.

Widows ist allerdings trotzdem kein klassischer Thriller, denn er interessiert sich nicht übermäßig für die Ausführung des Coups. Die Mechanik des Plots nutzt er auf durchaus eigensinnige Weise, um sich in seine weiblichen Figuren und deren Lebenswelten gründlich zu vertiefen.

Schicht für Schicht

Die Vorlage, eine britische Mini-TV-Serie aus den 1980er-Jahren, haben McQueen und die Autorin Gillian Flynn (Gone Girl) ins Chicago der Gegenwart übertragen. Das wirkt tatsächlich ein wenig so, als wollten sie die Vorzüge von Serien wie The Wire noch einmal zurück an das Kino binden. Denn Widows gräbt sich auf multiperspektivische Weise, Schicht für Schicht, in den politischen Morast und die Widersprüche einer US-Großstadt vor. Als schwarzen Regisseur scheinen McQueen besonders die territorialen Ablösekämpfe zu beschäftigen, das Ringen um die Hoheit in einem divers bevölkerten Stadtteil von Chicago.

20th Century Fox

Das mafiose Geflecht aus Politik und Kriminalität liefert den Resonanzraum für die dicht gewobene Erzählung: Jamal Manning (Brian Tyree Henry) tritt als erster afroamerikanische Bezirkspolitiker gegen den irischen Mulligan-Clan und dessen Günstlingswirtschaft an. Hier ein Ex-Gangster mit Bluthund (Daniel Kaluuya in einem besonders skrupellosen Part), dort der unwirsche Hegemon Tom (Robert Duvall) und sein wehleidiger Sohn Jack (Colin Farrell). Und was das Geld für den Wahlkampf anbelangt: Da kommen die Räuber ins Spiel.

Raubzug für die Chancengleichheit

McQueen zeigt eine Arena für hartgesottene Männer, ein Minenfeld, in das nun die Frauen eindringen. Wobei: Der passionierte Brennpunkt des Films liegt auf Veronica und ihrem Team. Bei den Protagonistinnen nimmt sich McQueen die Zeit, Zwänge und Fremdbestimmungen zu beschreiben – also das ganz profane Dasein, das sie jenseits der neuen kriminellen Berufung führen. Mal kraftvoll, mal mit Witz folgt er ihren Wegen, bis man irgendwann merkt, dass sich dabei die Achse des ganzen Genres dreht und eine verborgene Wirklichkeit aufscheint. Mit all den Figuren im Vordergrund, die sonst eher Ausstattung sind.

Schnell auf den Beinen

Wann hat man schon eine Räuberin gesehen, die ihren Escort-Freier für Recherchezwecke einsetzt? Oder eine Fahrerin (Cynthia Erivo), die uns zuerst als Babysitterin präsentiert wird, die aber besonders schnell auf den Beinen ist? Wann hat man eine schwermütige Anführerin erlebt, die in Gedanken immer noch von ihrem Verbrecherfreund heimgesucht wird und nach dem leeren Kopfpolster greift? Allein mit welchem Vergnügen McQueen Großaufnahmen von Viola Davis sucht, zeigt auf, wie anders er ihre physisch so eindringliche Präsenz zu vermitteln weiß.

Mal kraftvoll, mal mit Witz folgt McQueen dem Weg der Frauen zum Coup.
Foto: Centfox

Dass die Intrigen mit diesen szenischen Miniaturen nicht mithalten können, spielt dabei keine große Rolle. Solche Widersprüche kennt man auch von anderen Genrearbeiten. McQueens entschiedener Zugriff auf das Material ist dort am besten, wo er sich von der Logik des Thrillers befreit und seine Figuren gegen amerikanische Verhältnisse anrennen lässt. Also gegen den Starrsinn der Macht und gegen die Kreisläufe des Geldes.

Widows ist deshalb auch kein Film, der den Feminismus als Umwegrentabilität begreift. Er gibt seinen großartigen Darstellerinnen richtig Raum, sich zu behaupten. Das kostet Kraft. Erst ganz am Schluss wird es ein Lächeln geben. Das strahlt dafür dann besonders hell. (Dominik Kamalzadeh, 5.12.2018)