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Die Kandidaten für die Nachfolge Angela Merkels haben sich ein hartes, aber meist faires Rennen geliefert: Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn (von links).

Foto: REUTERS/Fabian Bimmer

Der Rückzug vom Amt der Parteivorsitzenden, den Angela Merkel beim Hamburger Parteitag der Christlich Demokratischen Union Deutschlands Ende dieser Woche vollziehen wird, hat ihrer Partei eine Premiere beschert. In acht auf ganz Deutschland verteilten Regionalkonferenzen haben die drei Aspiranten auf die Nachfolge einen Marathon an Bewerbungsreden absolviert und sich in- und außerhalb der Parteisäle bereitwillig den Fragen der Interessierten gestellt. Es ist eine echte Wahl, die zunächst beweist, dass in der Demokratie auch Führungspositionen nie alternativlos sind.

Kohl gegen Barzel

So viel Wettbewerb gab es in der CDU selten und schon lange nicht mehr. Man muss bis in die frühen 1970er-Jahre zurückgehen, als sich der aufstrebende rheinland-pfälzische Ministerpräsident Helmut Kohl mit Amtsinhaber Rainer Barzel ein echtes Machtduell um den Parteivorsitz lieferte.

Zunächst ist der parteiinterne Wettkampf ein Nachweis für eine lebendige Demokratie. Und er tut den Christdemokraten gut, die in den letzten Jahren Anzeichen von Müdigkeit, die Abwesenheit großer Debatten und in ihrer Parteienfamilie Divergenzen um die Lasten der Migrationsfrage zu bewältigen hatten. Insoweit hat die Partei als Ganzes gewonnen und kann die Gewissheit davontragen, dass es sich lohnt, Farbe zu bekennen.

Wenn in den Reden der Kandidaten immer wieder neue Formen der innerparteilichen Meinungsbildung beschworen wurden, so ist dies zugleich auch als Antwort auf den Verdruss vieler Bürger mit dem Status quo zu sehen.

Wer in Hamburg indes als Sieger vom Platz gehen wird, ist noch ungewiss. Annegret Kramp-Karrenbauer, im internen Jargon oft "AKK" genannt, ist als amtierende Generalsekretärin und erfolgreiche ehemalige Ministerpräsidentin des Saarlandes die klare Favoritin des Establishments und zudem Angela Merkels Wunschnachfolgerin. Sie hat im Hürdenlauf keine Fehler gemacht, aber auch nicht gegen den Eindruck durchdringen können, dass ein "Weiter so" unter ihrer Führung im Resultat eine Verlängerung der Merkel-Ära bedeuten würde. Im Fall ihrer Wahl würde dies die Unzufriedenheit derjenigen verstärken, die bisher auf Linie geblieben sind, aber nunmehr ihr Unbehagen zunehmend offener artikulieren.

Wettbewerb

Jens Spahn, der amtierende Gesundheitsminister, ist der jüngste der drei Bewerber. Er ist in der Position des klaren Außenseiters, denn es ist am unwahrscheinlichsten, dass eine Mehrheit der 1001 Delegierten ihm in Hamburg ihre Stimme geben wird. Doch schon jetzt kann er sich als inoffiziellen Gewinner des Wettbewerbs betrachten. Er hat einen fulminanten internen Wahlkampf hingelegt, steht für klare Positionen und verfügt über den seltenen Mut, die von ihm als richtig erkannte Linie auch gegen Widersprüche zu benennen und umzusetzen. In der Nach-Merkel-Zeit wird ihm ohne Zweifel eine führende Rolle in der Union zufallen.

Die Rückkehr des einstigen Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz, der mit großem Erfolg als Wirtschaftsanwalt in den vergangenen Jahren außerhalb der Parteipolitik Karriere gemacht hat, ist die eigentliche Überraschung und zugleich wohl auch der große unbekannte Faktor des Parteitags. Merz ist der Hoffnungsträger der Liberalkonservativen in der Union, ein Mann klarer Worte, der nicht zum Schreckgespenst des Neoliberalismus taugt, als das ihn seine politischen Gegner gern zeichnen.

In den einflussreichen Landesverbänden Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen hat er zahlreiche Sympathisanten. Friedrich Merz wird indes in Hamburg alle seine rhetorischen Talente in die Waagschale werfen müssen, damit sich das Blatt zu seinen Gunsten wendet.

Es mag eine Reihe von Vorfestlegungen und Absprachen geben, doch Parteitage haben ihre eigenen Gesetze, und dazu zählt, dass am Ende die Fähigkeit, Begeisterung für Politikentwürfe zu erzielen, bei den Delegierten wahlentscheidend sein wird. Der ungewisse Ausgang verleiht diesem Rennen Spannung.

Nach dem Parteitag

Spannend aber wird es vor allem in der Zeit danach. Der Koalitionspartner SPD verfolgt die Ereignisse aus der Distanz, doch auch wird es ihn ganz unmittelbar betreffen. Die Wahl von Merz etwa würde der Konturierung des Unionsprofils einen Schub verleihen und, im Gefolge, der siechenden Volkspartei SPD neue Lebenskräfte einhauchen. Mit dieser Konstellation würden allerdings wohl auch die Sollbruchstellen der ungeliebten großen Koalition größer werden. Überhaupt wird die Union wohl stärker als bisher darauf achten, dass ihre Handschrift in der großen Koalition an Sichtbarkeit gewinnt. Hinzu kommen die Auswirkungen der Wahl auf die Verschiebungen im Parteienspektrum insgesamt. Allen voran betrifft dies den Umgang mit der AfD, die sich anschickt, ihre Position in weiteren Landesparlamenten auszubauen.

Frage nach der AfD

Die Frage nach der Schuld am Aufstieg der AfD zählt dabei, der unionsinterne Wettbewerb hat es gezeigt, zu den heikelsten Fragen in den Kreisen der Union. Es geht dabei auch um die Deutungshoheit über zurückliegende Ereignisse und die inhaltliche und personelle Aufstellung für die Herausforderungen von morgen. Die Union wurde von außen betrachtet früher häufig auf ihre vorrangige Rolle als Staatspartei und Mehrheitsbeschaffer reduziert. Wenn sie sich im 21. Jahrhundert als Volkspartei behaupten und nicht von weiterer Auszehrung in der Wählergunst heimgesucht werden will, dann steht sie vor inhaltlichen und personellen Neuanfängen. Hamburg könnte dazu der Aufbruch sein. (Ulrich Schlie, 5.12.2018)