Lina Muzur (Hg.), "Sagte sie. 17 Erzählungen über Sex und Macht". € 20,00 / 187 Seiten. Hanser-Verlag, Berlin 2018

Wenn einer ein schicksal hat, dann ist es ein mann. wenn einer ein schicksal bekommt, dann ist es eine frau." Klingt dieser Satz aktuell? Jein. Er stammt aus Elfriede Jelineks Die Liebhaberinnen von 1975, aber heute stehen in Büchern über das Geschlechterverhältnis eher Sätze wie "Ich wusste nicht, was das hier war, obwohl ich es gut kannte" oder "Jede Verletzung ist auch ein Versprechen".

17 aktuelle Geschichten von Frauen über "Macht und Sex" sind zwar zwischen zwei Buchdeckeln, aber eigentlich nicht unter einen Hut zu bringen. Einige dieser Erzählungen handeln von sexueller Gewalt und der Sprachlosigkeit aus Scham, die sich als Scham über die Sprachlosigkeit dann noch einmal potenziert. Antonia Baum inszeniert in "Setzen Sie sich" ein wahres Scherbengericht über sich selbst. Sie will den Mann, der sie im Taxi bedrängt, nicht beschämen. Aber das ist natürlich ihre Schuld. Annett Gröschner beschreibt eine unglaubliche Vergewaltigung und Persönlichkeitsdissoziation in "Moskauer Schnee" – dieser starke Text ist der einzig ältere in dem Band, er stammt von 1988; Margarete Stokowskis Protagonistin hat Flashbacks beim Zahnarzt: Die sexuelle Gewalt ist doch so kurz gewesen, so schnell vorbei, warum vergeht sie nicht?

Selbstdemütigung und Selbstrücknahme

In keinem der Texte werden Frauen eindeutig als "Opfer" dargestellt, oft geht es um Mittäterschaft in Form subtiler Mechanismen der Selbstdemütigung und Selbstzurücknahme. Etwa wenn sich in "Raus" (Anke Stelling) eine Schriftstellerin auf unerträglich konventionelle Weise dem Unkonventionalitätsnarzissmus ihres Partners unterordnet. Oder wenn eine Mutter in "Die kurze Zeit der magischen Logik" (Kristine Bilkau) mitanhören muss, wie ihre Stieftochter sich grundlos für etwas entschuldigt bei jenen Jungs, die von ihren Eltern gelernt haben, dass sie sich gegen Mädchen wehren müssen, weil jetzt schwere Zeiten für Burschen anbrechen. Die alte Bevorzugung steckt ihnen aber noch unter der Haut und den Mädchen, den Frauen, das magische Bedürfnis, sich zu entschuldigen fürs bloße Dasein. Dieses "Entschuldigung" war und ist die Eintrittskarte, um überhaupt mitspielen zu dürfen. Wer hat sie erfunden?

Ganz wohltuend fallen zwei futuristisch angehauchte Geschichten aus dem Rahmen, bei denen Geschlecht und Begehrenslage nicht mehr klar zuzuordnen sind, weil Frau sich einfach punkig verhält wie etwa Helene Hegemanns Protagonistin, die "eine Art warme Brutalität. Oder warme Gefühllosigkeit" an Typen mag: "Ich glaube, dass ich darauf stand."

Skurril und witzig spielt "Unsexyland" (Jackie Thomae) in einer nahen Zukunft, in der künftige Partner nur noch über Psychoprofil-Matches zueinanderfinden. Das macht Biosex auf die alte Art und ohne technisches Interface zwar unglaublich anziehend, aber nicht unbedingt befriedigend. Auch in Zukunft wird man sich die Vergangenheit schöner ausmalen, als sie de facto war.

Zwei Welten, zwei Sichtweisen

"He says/she says" ist eine britische Redewendung für das Hin und Her von Diskussionen, in denen kein wirklicher Dialog möglich ist. Zwei Welten, zwei Sichtweisen. "Sagte sie" will bewusst einseitig die weibliche Sichtweise wiedergeben. Aber die Frauen hier eint viel weniger als noch 1975 Brigitte und Paula in den Liebhaberinnen. Bei Elfriede Jelinek gibt es keine Gnade, Frauen wie Männer sind dort Marionetten eines Gesellschaftssystems, in dem alle aneinander zugrunde gehen. Irgendwie ist das immer noch so, und irgendwie ist es anders. In der bedrückenden Erzählung "Dickicht" beschreibt Julia Wolf die panische Furcht einer jungen Frau, die allein mit ihrem Baby in einem Ferienhaus ist. Überall sieht sie den Übergriff, den Überfall, der kommen wird, bis endlich ihr Partner heimkehrt, der Mann, der sie vor den Männern schützen wird. "wenn einer ein schicksal bekommt, dann ist es eine frau", das war 1975. Es gibt mehr Freiheiten heute, ja, und nein: Befreiung hat dennoch nicht stattfinden können. (Andrea Roedig, 9.12.2018)