Dieses Schreiben wurde einem "Augustin"-Verkäufer ausgehändigt – laut einem Rechtsberater ein "Einschüchterungsversuch".

Wien – Die Berichte kommen, unabhängig voneinander, aus verschiedenen Sozialeinrichtungen, die für Obdachlose und Menschen am untersten Ende der Einkommenspyramide arbeiten. Im Auftrag des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) überprüfe die Polizei in Wien Menschen aus osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, die dem Anschein nach mittellos sind, zunehmend engmaschig – und fordere sie zur Ausreise auf – heißt es bei der NGO Bettellobby und der Straßenzeitung Augustin.

Auch bei Obdach Wien, einer Tochtergesellschaft des Fonds Soziales Wien (FSW), die in der Bundeshauptstadt 24 Sozialeinrichtungen betreibt, bestätigt ein Sprecher "diese Wahrnehmung".

Polizeistreifen

"Das geht zum Beispiel so: Eine Polizeistreife hält einen Augustin -Straßenverkäufer an, fordert ihn auf, sich auszuweisen, und überprüft die Person. Liegt gegen diese eine rechtskräftige Ausweisung vor' drückt sie ihr eine Information über die 'Verpflichtung zur Ausreise' in die Hand", schildert Bernhard Wernitznig, Sozial- und Vertriebsmitarbeiter beim Augustin.

Vielfach seien Roma aus der Slowakei, Ungarn, Bulgarien oder Rumänien – sie bilden bei den Augustin-Straßenverkäufern die Mehrheit – von diesen Amtshandlungen betroffen: "Von unseren rund 400 Verkäufern sind es aktuell rund 30". Bei der Bettellobby bestätigt eine Mitarbeiterin dieses Vorgehen.

Papier zum Abstempeln

Dem STANDARD liegt ein derartiges Schreiben vor. "Gegen Sie wurde eine Ausweisung erlassen und besteht für Sie nun die Verpflichtung zur unverzüglichen oder fristgerechten Ausreise", ist darin zu lesen. Mit dabei ist ein in der österreichischen Botschaft des Heimatlandes abzustempelnder "Nachweis über die erfolgte Ausreise". Peter Marhold, Obmann des fremdenrechtlichen Beratungsvereins Helping Hands, schätzt das Dokument als "Einschüchterungsversuch" ein – zumal darin auch von möglicher "erzwungener Abschiebung" und Schubhaft die Rede ist, was im Fall von EU-Bürgern nur im Fall zusätzlicher Ausweisungsgründe wie Straffälligkeit rechtmäßig wäre.

Im Grunde, so Marhold, täten die Betroffenen den Regeln genüge, "wenn sie kurz nach Bratislava und wieder zurück fahren – und den Fahrschein als Beleg ihrer Ausreise aufheben".

Reisefreiheit – mit Unterhalt

Tatsächlich dürfen EU-Bürger innerhalb der Union frei reisen – mit nur wenigen Auflagen. Halten sie sich längerfristig in einem anderen Mitgliedstaat auf, sind sie verpflichtet, sich dort spätestens vier Monate nach der Einreise anzumelden. Ihr Aufenthalt ist rechtmäßig, wenn sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen – auch mit einem Einkommen unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze – oder wenn sie über Krankenversicherung und Unterhaltsmittel verfügen.

Aus dem Innenministerium heißt es auf Anfrage des STANDARD, die Ausreiseaufforderungen würden nicht auf offener Straße, sondern in den Polizeiinspektionen ausgefolgt. Eine Statistik, wie oft dies 2018 bisher geschah, gebe es noch nicht. (Irene Brickner, 7.12.2018)