Ist das für die Rettung werbebasierter Gratisdienste notwendig, oder wird damit der Geist der DSGVO verletzt?
Illustration: DER STANDARD

Für
von Lukas Feiler

Die meisten Onlinedienste können gratis genutzt werden – Onlinenachrichten ebenso wie Webmaildienste, Internetsuchmaschinen oder soziale Netzwerke. Zu ihrer Finanzierung verkaufen Anbieter Werbung.

Um diese auf einzelne Nutzer abstimmen zu können, werden in der Praxis – mit Einwilligung der Nutzer – sogenannte Werbecookies verwendet: kleine Textdateien, die auf dem PC des Nutzers gespeichert werden, um wiederkehrende Nutzer zu erkennen.

Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) stellte dieses Geschäftsmodell und damit einen großen Teil des Internets infrage. Denn die für die Verwendung von Cookies vorgeschriebene Einwilligung ist nach der DSGVO nur dann wirksam, wenn sie "frei" erfolgt. Wird sie aber zur Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer Dienstleistung gemacht, obwohl sie für diese gar nicht erforderlich wäre, ist die Zustimmung unwirksam ("Koppelungsverbot" nach Art. 7 Abs. 4 DSGVO). Wer einwilligen muss, um eine Dienstleistung zu beziehen, hat keine freie Entscheidung – so der Gedanke.

Von mancher Seite wurde daher gefordert, werbebasierte Geschäftsmodelle gänzlich zu verbieten. Kostenlose Onlinedienste wären dadurch verschwunden; sie wären entweder eingestellt worden oder nur noch gegen Entgelt nutzbar geworden.

Um einerseits eine freie Entscheidung der Nutzer zu ermöglichen und anderseits dennoch ein werbebasiertes Geschäftsmodell und damit einen kostenfreien Zugang aufrechtzuerhalten, hatte sich DER STANDARD für einen Zwischenweg entschieden: Nutzer können frei wählen, ob sie 6 Euro im Monat bezahlen (das Printabo kostet 47 Euro im Monat) oder in die Nutzung personenbezogener Werbung einwilligen – oder den STANDARD online gar nicht verwenden.

Die Datenschutzbehörde (DSB) hat nun – nicht rechtskräftig – entschieden, dass diese Auswahlmöglichkeiten eine freie Entscheidung der Nutzer und damit eine wirksame Einwilligung ermöglichen. Denn wenn eine vergleichbare – hier sogar dieselbe – Dienstleistung vom selben Anbieter zu einem angemessenen Preis bezogen werden kann, ist die Entscheidung des Betroffenen frei von wesentlichen Nachteilen, die seine Entscheidungsfreiheit einengen könnten.

Die Behörde hat damit zu Recht den Nutzer und seine Interessen statt Daten in den Mittelpunkt ihrer Erwägungen gestellt. Im Sinne des Datenschutzes als "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" kann jeder selbst entscheiden, ob er oder sie lieber in die Nutzung personenbezogener Werbung einwilligt oder ein angemessenes Entgelt bezahlt.

Für Unternehmen bedeutet das die Absicherung werbebasierter digitaler Geschäftsmodelle. Es muss bloß eine alternative (entgeltliche) Bezugsmöglichkeit für die Dienstleistung geschaffen werden.

Ob die "Bezahlvariante" tatsächlich breiten Anklang findet, wird die Praxis zeigen – und hängt nicht zuletzt von der Qualität der gebotenen Leistung ab.

Für Nutzer bedeutet die Entscheidung, dass Onlinedienste, die jetzt gratis sind, es auch bleiben können.

DSB-Leiterin Andrea Jelinek führt bis 2023 auch den Vorsitz im Europäischen Datenschutzausschuss. Die vorliegende, in der EU bisher einzigartige Entscheidung wird daher europaweite Auswirkungen haben und einen neuen Standard setzen.

Lukas Feiler leitet das Team für IP- und IT-Recht bei Baker McKenzie in Wien. Er hat den STANDARD zu diesen Fragen beraten.

Wider
von Max Schrems

Von Wien über Berlin bis Brüssel reagierten viele Experten diese Woche mit Unglauben auf eine Entscheidung der Datenschutzbehörde (DSB). "Zahlen, bitte, oder Grundrechte aufgeben" ist nicht das, was die DSGVO mit einer "freiwilligen" Einwilligung meint. Dass sich gerade DER STANDARD hier hervortut, tut doppelt weh.

Was ist passiert? Mit Einführung der DSGVO sollten Nutzer eine freiwillige "Ja oder Nein"-Wahl zur Datenverarbeitung bekommen. Immerhin ist eine Einwilligung nichts anderes als die freiwillige Aufgabe des Grundrechts auf Datenschutz.

Die Industrie tut sich schwer damit, wie Cookie-Banner auf hunderten Webseiten beweisen, die oft nur Ja als Option kennen. DER STANDARD bietet statt Ja oder Nein eine durchaus kreative "Ja oder 6 Euro"-Option. Ein Nutzer reichte Beschwerde bei der DSB ein.

Datenschutz nur im Paket mit Werbefreiheit: Das ist weder technisch noch wirtschaftlich nötig. Werbung, Targeting und Personalisierung sind verschiedene Dinge – auch wenn die Lobby es gern als Paket verkauft. Werbung im Print ist etwa für alle gleich. Wäre Personalisierung unbedingt nötig, wäre werbefinanziertes TV längst tot. Auch DER STANDARD bietet ungetargete Onlinewerbung an.

Targeting hat wiederum viele datenschutzfreundliche Spielarten, etwa nach Geografie, Zeit oder Kontext. Beispiel: Autowerbung auf der Autoseite. Personalisierte Werbung – oft durch Datenweitergabe an hunderte externe Targeting-Unternehmen – ist nur eine Unterkategorie des Targeting, womit der Streuverlust verringert und der Gewinn gesteigert werden soll.

Genau diese Trennung schaffte die DSB nicht. Sie setzt Werbung und Datenweitergabe gleich und kommt zum Schluss, dass werbefinanzierte Modelle immer einer Datenweitergabe bedürfen würden.

Bei einer groben Milchmädchenrechnung muss DER STANDARD etwa 30 bis 90 Cent pro Onlinenutzer im Monat erlösen. Für die werbefreie Version verlangt man das Sechs- bis 20-Fache. Die Verweigerung der Einwilligung ist also extrem teuer und wohl sogar zivilrechtlich anfechtbar (laesio enormis).

Die DSB vergleicht jedoch das Print-Abo à 47 Euro und kommt daher zum absurden Schluss, dass der Nutzer von einer Einwilligung wirtschaftlich profitiert. Sie sieht "Freiwilligkeit", da man andere Medien nutzen könnte ("take it or leave it"). In der Praxis ist das illusorisch, da praktisch alle Onlinemedien Daten an die gleichen Unternehmen wie Google weitergeben, man Exklusivgeschichten lesen und in Zeiten von Twitter und Facebook zwischen Medien permanent springen will.

Politik, Behörden und Verbraucherschützer legen sich ungern mit Medien an. Es ist auch Konsens, dass Qualitätsmedien besser finanziert werden müssen. Medien könnten damit aber die Bresche für viele fragwürdigere Unternehmen schlagen. Setzt sich "Pay or Okay" durch, könnten alle "Daten verhökern oder bezahlen" einführen. Vom Handyvertrag bis zum Zugticket wäre "Wollen Sie ein bisserl Datenschutz dazu? Kostet 6 Euro pro Monat" möglich. Wer nicht im Lotto gewonnen hat, müsste dann ständig "freiwillig" seine Grundrechte bei der Türe abgeben.

Da es um eine Grundsatzfrage des Datenschutzes geht, plant unser Verein noyb.eu, diese Frage mit den vollen Fakten von der DSB abermals klären zu lassen. Bei allem Verständnis für die Finanzierung von Qualitätsmedien: Mit erzwungener Datenweitergabe sollte man sich nicht gesundstoßen.

Max Schrems ist Jurist und Datenschutzaktivist.