Luxemburg – Großbritannien könnte den für 2019 angekündigten Brexit noch einseitig und ohne Zustimmung der übrigen EU-Länder stoppen. Das entschied der Europäische Gerichtshof am Montag. Die Schwelle für einen Rückzieher von dem in Großbritannien sehr umstrittenen EU-Austritt ist somit niedriger als gedacht.

Das oberste schottische Zivilgericht hatte den EuGH um eine Bewertung gebeten, ob ein einseitiger Rückzieher noch möglich sei. Das Urteil fiel einen Tag vor der Abstimmung des britischen Parlaments über das von Regierungschefin Theresa May mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen. Es wird erwartet, das die Abgeordneten das Abkommen über die Bedingungen des Ausstiegs im März 2019 ablehnen. Umweltminister Michael Gove erklärte nach dem Urteil, die Briten hielten an dem EU-Austritt fest.

Austritt vom Austritt bis März 2019 möglich

Die britische Regierung hatte am 29. März 2017 die übrigen EU-Staaten offiziell darüber informiert, dass das Land die EU verlassen will. Damit begann ein zweijähriges Austrittsverfahren nach Artikel 50 der EU-Verträge, das planmäßig mit dem Brexit am 29. März 2019 endet. Die EU-Kommission und der Rat der Mitgliedsländer hatten vor dem EuGH argumentiert, dass sich das Verfahren nur mit einem einstimmigen Beschluss des Rats stoppen lasse.

Der EuGH sieht das eindeutig anders. Ein Zurückziehen der Austrittsankündigung sei "in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten" in Großbritannien möglich. Dann bliebe das Vereinigte Königreich unter unveränderten Bedingungen Mitglied der EU, entschieden die Richter. Die Möglichkeit einer einseitigen Rücknahme besteht für Großbritannien laut EuGH bis zum Ende der Zweijahresfrist nach der Austrittserklärung.

May wirbt weiter für Austrittsvertrag

Das Urteil dürfte den Brexit-Gegnern in Großbritannien Auftrieb geben. May hatte noch am Wochenende abermals für ihr Brexit-Paket geworben. Es besteht aus einem knapp 600 Seiten starken Austrittsvertrag, der die Bedingungen der Trennung regelt. Darunter sind die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien, aber auch finanzielle Pflichten Londons gegenüber der EU geregelt. Ergänzt wird der Vertrag durch eine rechtlich nicht bindende politische Erklärung über die künftigen Beziehungen.

Scheitert May damit im Parlament, muss sie entweder noch einmal abstimmen lassen – oder es braucht einen Plan B. Aus der Regierung und der Opposition mehren sich Signale, dass dann eine engere Anbindung an die EU erwogen werden könnte, zum Beispiel der Verbleib in Binnenmarkt und Zollunion. Nicht mehr undenkbar ist ein zweites Referendum – oder eben sogar ein Rückzieher vom Brexit.

Indes wurde am Montagmorgen bekannt, dass May offenbar mehrere enge Vertraute zu einem Treffen einberufen hat, um die für morgen anberaumte Abstimmung vielleicht doch noch zu verschieben. Eine Entscheidung dürfte laut der "Sun" kurz bevorstehen. (APA, Reuters, red, 10.12.2018)