In der legalistisch geprägten politischen Kultur der USA kennt man sie gemeinhin als climate cases: Bürger klagen Bundesstaaten, die gesetzte Emissionsziele verfehlen, oder Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf fossiler Energie basiert. Auch Bundesstaaten klagen Unternehmen – und umgekehrt. Selbst Unternehmen klagen Unternehmen. Diese sogenannten Klimaklagen machen nun außerhalb der USA Schule. In Berlin wollen drei Biobauernfamilien die deutsche Bundesregierung klagen. Die Familien sind der Meinung, dass die Nichteinhaltung bundesweiter Emissionsziele für das Jahr 2020 unter Verletzung der deutschen Verfassung, des Grundgesetzes, insbesondere in Artikel 2 Absatz 2 (Recht auf Leben und Gesundheit), Artikel 12 Absatz 1 (Berufsfreiheit) und Artikel 14 Absatz 1 (Recht auf Eigentum), gegen ihre Grundrechte verstößt. Sie möchten die Bundesregierung zur Einhaltung des Klimaschutzplans zwingen und fordern Kompensation für den Schaden, der ihrer Ansicht nach aufgrund der potentiell unrechtmäßigen Emissionen entstanden sei.

Zwar ist es die Aufgabe von Gerichten, mächtige Akteure zur Verantwortung zu ziehen. Doch die Notwendigkeit, vor Gericht Beweise in Form klimawissenschaftlicher Tatsachen zu erbringen, hat Konsequenzen für die Glaubwürdigkeit der Klimawissenschaft. Richter sind mit Fragen konfrontiert, die selbst Wissenschafter nicht beantworten können. Zudem provozieren die Klagen eine Machtverschiebung zugunsten der Gerichte und zulasten demokratisch gewählter Repräsentanten. Wer ehrgeizige Klimapolitik gerichtlich erzwingen möchte, überfordert die Wissenschaft und schränkt den Handlungsspielraum der eigenen Regierung ein.

Der Kampf um das Klima geht auch über das Gericht.
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886 Niederländer klagten

Einen Präzendezfall in Europa lieferte die Umweltorganisation Urgenda zusammen mit 886 niederländischen Bürgern. Sie klagten den Staat Niederlande, um höhere nationale Emissionsreduktionsziele zu erwirken, als bestehende EU-Normen vorschrieben – und bekamen Recht. 2015 entschied ein Zivilgericht in Den Haag, dass der Staat nicht die von der EU geforderten 20 Prozent Reduktion an Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 (im Vergleich zu 1990) sondern mindestens 25 Prozent zu erreichen hätte. Für diese Zahl gab es keine direkte rechtliche Grundlage, doch nützten die Kläger eine Besonderheit im niederländischen Zivilrechtsgesetz, die "Sorgfaltspflicht", und argumentierten, dass diese Pflicht 25 Prozent rechtfertige. In seiner Entscheidung berief sich das Gericht jedoch in erster Linie auf Beurteilungen zu "gefährlicher Einflussname" menschlicher Aktivitäten auf das Klimasystem, die man einem Bericht des Weltklimarats aus dem Jahr 2007 entnommen hatte. Laut diesem Bericht würde bei einer 25- bis 40-prozentigen Emissionsreduktion bis zum Jahr 2020 von sogenannten Annex-1 Ländern (wie den Niederlanden) eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit bestehen, dass das politische Zwei-Grad-Temperaturziel im Jahr 2100 nicht überschritten werden würde. Eine niederländische Vorgängerregierung hatte sich politisch – nicht gesetzlich – auf 30 Prozent Reduktion festgelegt, ihre Nachfolger beschlossen, sich an der EU-Norm von 20 Prozent zu orientieren. Zu wenig ambitioniert, entschied das Gericht.

Die Glaubwürdigkeit der Klimawissenschaft ist gefährdet

In zweierlei Hinsicht ist die Entscheidung des Gerichts bedenklich. Zum einen muss die Beweisführung hinterfragt werden. Richter hatten zum Prozess weder Wissenschafter geladen, noch die akademische Literatur zur Institution Weltklimarat studiert, besser gesagt, sie ignoriert. Wie kritische Kommentatoren anmerkten, konnte die Klage die Richter davon überzeugen, dass es eine wissenschaftliche Beweisführung hinter dem Terminus "gefährliche Einflussnahme" des Menschen auf das Klimasystem gäbe und dass diese mindestens 25 Prozent Reduktion fordere, nicht bloß 20 legitimiere. Zielsetzungen sowie deren gesetzliche Festschreibung ist die Aufgabe der Politik und der Legislative, nicht des Weltklimarats, dessen Autorität unter anderem auf dieser institutionellen Trennung gründet. Die Klimawissenschaft kann weder Normen vorgeben noch Handlungen diktieren, räumt der um seine eigene Glaubwürdigkeit besorgte Weltklimarat ein. Dort weiß man: Wenn Politiker ihre politischen Entscheidungen mit klimawissenschaftlichen Erkenntnissen legitimiert wissen wollen, provozieren sie mitunter eine über das Ziel hinausschießende Gegenreaktion, die Klimaskepsis. Sogenannte Klimaskeptiker dekonstruieren Klimawissenschaft und stellen den Wahrheitsgehalt der Weltklimarat-Berichte in Abrede. Ihren Ursprung nahmen Klimaklagen wie auch Klimaskepsis nicht zufällig in der eingangs erwähnten legalistisch geprägten politischen Kultur der USA.

Zum anderen hatte das Gericht der demokratisch gewählten Regierung ein gesetzlich nicht bindendes Emissionsziel verordnet und sich über die Legislative und Exekutive gestellt. Dass der Verlust ihres politischen Handlungsspielraums eigenverschuldet sein mag – neoliberale Regierungen setzen bevorzugt auf Marktmechanismen statt auf Regulierung – bedeutet nicht, dass Gerichtsurteile den politischen Prozess abkürzen sollten. Werden diese Urteile noch dazu ohne ausreichend gesetzliche Grundlagen gefällt, kann den zuständigen Richtern Aktivismus vorgeworfen werden, wie im Prozess um den Bau der dritten Piste des Flughafen Wien-Schwechat zu beobachten war.

Bauernfamilien und Greenpeace Deutschland vs. Deutsche Bundesregierung

Zurück nach Deutschland. Im aktuellen Fall klagen drei Biobauernfamilien die Bundesregierung vor dem Berliner Verwaltungsgericht. Die Familien fühlen sich von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen und beklagen, dass ihre Plantagen bei Hamburg immer häufiger von Pflanzenschädlingen befallen werden. Ebenso erfahren sie durch Extremwetter bedingte Ernteausfälle. Durch die Nichteinhaltung des bundesweiten Emissionsziels von 40 Prozent für das Jahr 2020 – die deutsche Regierung rechnet mit 32 Prozent – sehen sie sich in ihren Grundrechten verletzt. Obwohl das 40-Prozent-Ziel nie gesetzlich verankert wurde, halten Klägeranwältin wie Greenpeace es für bindend. "Auch hier in Deutschland sind Menschen bereits heute existenziell vom Klimawandel (sic!) bedroht", heißt es vonseiten Greenpeace, das sich in der Klage explizit auf den Sachstandsbericht des Weltklimarats aus dem Jahr 2018 berufen wird.

Nach dem Den Haager Urteil ist nicht mehr ganz auszuschließen, dass der deutschen Bundesregierung vor Gericht ein verbindliches Emissionsziel von 40 Prozent verordnet werden wird. Freilich, die Wissenschaft als solche verlangt dies nicht. Besonderes Augenmerk gilt daher der Argumentation in einem möglichen Urteil zugunsten der Kläger. Sollte ein Zusammenhang zwischen dem Verfehlen des Ziels und einem dadurch verletzten Recht auf Leben und Gesundheit, Berufsfreiheit und Eigentum konstruiert werden, müssten sich Klimawissenschafter in eigenem Interesse dagegen aussprechen. Aus juridischer Sicht ist das Einklagen dieser Ziele ein ohnehin schwer nachvollziehbarer Umweg zur Sicherung der Grundrechte. Selbst wenn die Bundesregierung 40 Prozent erreichen sollte, wird es für Bauern existenzbedrohende Extremereignisse geben. Die Sicherung der Existenz ist in erster Linie eine politisch zu beantwortende Frage, etwa mit einer als Grundrecht zu verankernden garantierten Grundsicherung für Bauern. (Mathis Hampel, 11.12.2018)

Dieser Artikel erscheint in ungeänderter Fassung im Jahresbericht der Österreichischen Liga für Menschenrechte 2018.

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