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"Dieser Austausch von Grenzen und Territorien und Teilungen ist nichts anderes als die Idee von Großserbien", sagt Albaniens Ex-Präsident Sali Berisha.

Foto: AP Photo/Hektor Pustina

STANDARD: Vergangene Woche haben der Kosovo und Albanien beschlossen, die Grenzkontrollen und Zölle zu erleichtern. Ist das ein Signal in Richtung Großalbanien?

Berisha: Die Zusammenarbeit zwischen Albanien und dem Kosovo ist wichtig, aber Premierminister Edi Rama versucht den Kosovo zu benutzen, um die EU unter Druck zu setzen, und das ist falsch und schädlich. Er sagt, wenn es nicht zu einer Integration Albaniens in die EU kommt, könnten wir Albanien und den Kosovo vereinigen. Das hilft aber Albanien nicht, die Verhandlungen zu eröffnen.

STANDARD: Es gibt einige Versuche, den Kosovo zu teilen. Der serbische Präsident Alexander Vučić und Thaçi schlagen einen Gebietsaustausch vor, serbische Dörfer im Kosovo sollen zu Serbien kommen, albanische Dörfer in Serbien zum Kosovo. Was sind die Konsequenzen?

Berisha: Dieser Austausch von Grenzen und Territorien und Teilungen ist nichts anderes als die Idee von Großserbien. Das fängt bei Mitrovica im Kosovo an und geht weiter bis Bosnien. Großserbien war in dieser Region jedoch immer eine Quelle von Instabilität, Kriegen und Konflikten. Wenn wir also diese Idee der Grenzveränderung verfolgen, gehen wir absolut auf Konflikte, auf Säuberung und rein ethnische Staaten zu. In der Region sind nicht die Minderheiten das Problem, das Gegenteil ist der Fall: Die Mehrheiten sind das Problem. Das Problem sind nicht die Bürger von Mitrovica, sondern die Banden von Mitrovica, die mit Politikern in Belgrad und mit albanischen Politikern in Verbindung stehen. Die Mafia hat ja keinen Vater. Diese Leute schmuggeln und diktieren. Und so versuchen die Mehrheiten ihre Probleme auf Minderheiten fortzuschreiben.

STANDARD: Und wie steht die internationale Gemeinschaft dazu?

Berisha: Es gibt Leute in der EU, die eine Teilung des Kosovo, also eine sogenannte "einfache" Lösung, vorantreiben. Das könnte jedoch hohe Kosten verursachen. Wenn die internationale Gemeinschaft der Meinung ist, dass die Zeit gekommen ist, die Grenzen auf dem Balkan zu ändern, dann soll sie eine internationale Konferenz einberufen und neue Grenzen auferlegen. Aber zu denken, dass Thaçi oder Vučić Grenzen ändern können, ist keine gute Idee. Thaçi schwenkt nun im Auftrag von Vučić die Flagge von Großserbien. Thaçi hat im Kosovo jedoch keinerlei Unterstützung. Es gibt keine politische Partei und keine andere Institution als die Präsidentschaft für diese Initiative, die seit 30 Jahren die Initiative Serbiens ist. Thaçi versucht ein Projekt als albanisch zu verkaufen, das immer ein serbisches war.

STANDARD: Aber er hat Unterstützung von verschiedenen Lobbyisten in Europa. Die Idee wurde sogar von einigen Leuten in der EU und den USA unterstützt. Wer steht hinter diesen Leuten?

Berisha: Ja, es gibt diese Gruppe von Leuten in der EU. Meist handelt es sich dabei um Menschen, die kein Wissen über den Balkan haben. Von allen, die Jahre auf dem Balkan verbracht haben, gibt es nur einen, der diese Idee unterstützt – Wolfgang Petritsch. Warum aber gibt es diese vielen Menschen, die die Region kennen und sich dieser Idee widersetzen, während andere das unterstützen? Es gibt zwei Möglichkeiten, dies zu erklären: Diejenigen, die die Idee unterstützen, sind Menschen, die die Region nicht gut kennen. Sie meinen, wenn die beiden Seiten mit dem Gebietsaustausch einverstanden sind, sollten sie der Idee nicht widersprechen. Die zweite Erklärung ist Serbiens Einfluss und Geld. Es handelt sich um einen sehr starken Einfluss und sehr viel Geld für diese Initiative. Belgrad ist nun in einer bequemen Situation, seit es Thaçi gefunden hat, der für Serbien die Flagge schwenkt. Das Elend, das daraus kommen wird, werden wir später sehen. Diejenigen, die die Grenzänderung unterstützen, wie Federica Mogherini – die wahrscheinlich total proserbisch ist –, spielen hier jedoch mit Frieden und Krieg.

STANDARD: Gibt es auch Politiker in Albanien, die diese Grenzänderung entlang der ethnischen Grenzen zwischen dem Kosovo und Serbien unterstützen?

Berisha: Edi Rama unterstützt das. Die alte kommunistische Strömung in Albanien betrachtet den Kosovo als einen Einsatz, mit dem man für die eigenen Interessen spielen kann. Es gibt aber auch eine andere Richtung, die den Kosovo respektiert. Ich bin mit der festen Idee aufgewachsen, die Nation zu vereinigen, sodass der Kosovo Teil Albaniens wird. Aber 1991 habe ich gesehen, dass sich im Kosovo eine andere Realität entwickelt hat, und dann habe ich ihr Projekt unterstützt – die Unabhängigkeit. Deshalb habe ich mit Belgrad keinerlei Fragen über den Kosovo verhandelt – egal wie sehr sie darauf bestanden –, weil ich sagte: Der Kosovo hat eigene Vertreter. Rama ist aber aus der alten Schule. Er ist nun froh, sich wichtiger präsentieren zu können. Ich habe gelesen, dass Carl Bildt – und ich vertraue ihm – gesagt hat, dass Rama nicht gegen die Teilung des Kosovo und diesen Deal ist. Rama lehnte es nicht ab. Nun sagt er sowohl Nein als auch Ja zu dieser Idee, und das heißt: Er meint Ja. Aber Rama hat in Albanien auch in seiner Partei keine Unterstützung dafür. Aber er kann jetzt nicht offen dazu stehen, obwohl es viele Insider-Informationen gibt, wonach er zu den Initiatoren dieses Projekts zählt.

STANDARD: Welche zum Beispiel?

Berisha: Also, wenn George Soros an dem Projekt beteiligt ist, dann sagen viele Leute, dass das so sei. Allein in diesem Sommer sahen wir den kleinen Soros (George Soros' Sohn Alexander) dreimal von Prishtina nach Tirana, von Tirana nach Belgrad, von Belgrad nach Prishtina fliegen.

STANDARD: Sind auch US-Amerikaner an diesem Lobbyismus für den Gebietsaustausch beteiligt?

Berisha: Einer der größten Beiträge der US-Amerikaner in der Region war, dass sie fest zu den Grenzen standen. Als einige Europäer nach "einfachen Lösungen" strebten und die Grenzen verändern wollten, standen die Vereinigten Staaten dagegen und respektierten die Grenzen. Jetzt weiß ich es nicht mehr.

STANDARD: Was würde denn passieren, wenn Grenzen entlang ethnischer Grenzen gezogen werden? Wie würden Albaner in Montenegro, Mazedonien und Griechenland reagieren?

Berisha: Es wäre eine starke Ermutigung für andere, überall Grenzänderungen zu fordern. Aber alle Konflikte und Kriege auf dem Balkan in den letzten 100 Jahren kamen aus der Idee einer Grenzänderung.

STANDARD: Die Idee, ethnische Grenzen zu ziehen, ist das Gegenteil dessen, was die EU seit 1991 auf dem Balkan unterstützt hat. Was passiert auf dem Balkan, wenn EU-Vertreter solche Ideen zu unterstützen beginnen, die zuvor nur von Nationalisten aus dem Balkan verfolgt wurden?

Berisha: Es ist jedenfalls das Gegenteil der Ideen, auf denen die EU beruht. Sich für rein ethnische Staaten zu engagieren und zu sagen, dass multiethnische Staaten oder Staaten mit Minderheiten nicht funktionieren, führt in sehr alte Zeiten zurück.

STANDARD: Hat diese Politik auch damit zu tun, dass Nationalismus und ethnisches Denken in ganz Europa und in den USA zunehmen?

Berisha: Natürlich. Serbien – anstatt zu überlegen, der EU beizutreten und sich zu integrieren – behält sich Vučić. Und Vučić setzt sich voll und ganz für Großserbien ein, viel mehr als für die EU-Integration. (Adelheid Wölfl aus Tirana, 12.12.2018)