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Mit einem unerwarteten Tipp lässt der deutsche Politologe Timo Lochocki gleich zu Beginn seines Buchs "Die Vertrauensformel" aufhorchen: "Versuchen Sie doch, bei der nächsten Debatte auf Argumente vollständig zu verzichten und stattdessen herauszukriegen, warum für Ihr Gegenüber ein Thema emotional so aufgeladen ist." Warum? Mit dem Bemühen, verstehen zu wollen, sammelt man nicht nur beim Gegenüber Pluspunkte ein. Solche Debatten sieht der Autor als "Grundlage für eine vielleicht viel spätere Einigung in einer politischen Debatte".

Auch Fakten braucht es demnach nicht, um globalisierungskritische Wähler, also das Wählerpotenzial der rechtspopulistischen AfD, abzuholen. Die Politik muss diesen Menschen vielmehr das Gefühl geben, ihren subjektiven Sorgen mit Empathie zu begegnen. Da sich die AfD vor allem aus früheren Wählern der Volksparteien rekrutiert, sieht Lochocki CDU/CSU und SPD in der Pflicht, diese Beziehungskrise zu überwinden. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Hat sich die AfD erst einmal im Bundestag konsolidiert, könne man "ihre destruktive Wirkung kaum mehr einhegen". Zeitlich gesehen beginnt der Liebesentzug übrigens mit dem in Gang kommenden Wirtschaftswachstum im Deutschland Mitte der 2000er-Jahre. Identitätspolitische Debatten bezeichnet der Autor daher als "Luxusprobleme". It's not the economy, stupid!

Es braucht "bürgerliche Kompromisse", und ja, sogar Globalisierungsskeptiker tragen große Umbrüche mit. Lochocki nennt vier Punkte, die Zuwanderung bei konservativen Wählerschichten mehrheitsfähig machen: Sozialer Wandel muss "von wichtigen konservativen Politikern getragen werden, weil er im nationalen Interesse liegt, nationale Erfolgsgeschichten emotional fortschreibt und unter der Kontrolle staatlicher Organisationen bleibt".

Lochockis Vertrauensformel überrascht und bietet selbst Stoff für Debatten. Eine kurzweilige Lektüre, die einmal mehr klarmacht: Mit Empörung alleine schrumpft der Rechtsaußenrand auch nicht. (Sabine Bürger, 11.12.2018)