Bundeskanzler Kurz, Vizekanzler Strache und Staatssekretärin Edtstadler auf Kurzbesuch im Parlament. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger warf ihnen Ignoranz vor.

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Plötzlich leerten sich die Reihen der türkisen und blauen Abgeordneten im Nationalrat. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Staatssekretärin Karoline Edtstadler, zunächst noch anwesend für die aktuelle Stunde "Rechtsruck und soziale Kälte", einberufen von der Liste Jetzt, verließen den Saal, als der zweite Tagesordnungspunkt aufgenommen wurde: die Debatte über das Frauenvolksbegehren, das in diesem Jahr 482.000 Unterschriften erzielte.

Bei den Diskussionen über das "Don't smoke"-Volksbegehren mit 882.000 Unterschriften und jener über das Begehren zur Abschaffung der ORF-Gebühren mit 320.000 Unterschriften blieb die Regierungsbank ebenfalls leer. Es war die FPÖ, die noch 2016 plakatierte: "Das Recht geht vom Volk aus". Im türkis-blauen Regierungsübereinkommen ist ein Bekenntnis zur direkten Demokratie verewigt, ab 2022 wollen sie – sofern sie eine Verfassungsmehrheit dafür bekommen – verpflichtende Volksabstimmungen für Volksbegehren ab 900.000 Unterschriften einführen.

SPÖ-Frauensprecherin Gabriele Heinisch-Hosek betonte, wie wichtig die Forderung einer 50-prozentigen Frauenquote in den Leitungsgremien börsennotierter Unternehmen oder eine 30-Stunden-Woche sei. Untragbar fand sie die Abwesenheit von Ressortchefin Juliane Bogner-Strauß: 500.000 Unterschriften können nicht einfach von der Regierung ignoriert werden, echauffierte sich die rote Frauenchefin.

Quer und queer

Mit schrägen Herleitungen erklärte die freiheitliche Frauensprecherin Carmen Schimanek die hohe Unterstützerzahl für das Frauenvolksbegehren. Sie glaubt, dass viele gar nicht verstanden hätten, was sie unterschrieben haben, und sprach von versteckten Forderungen wie "querer" (sic) Erziehung im Kindergarten. Auch der Rechtsanspruch auf eine Kinderbetreuung nach dem Mutterschutz missfiel ihr: "Diesen Rechtsanspruch für Kinder gibt es schon, er heißt Mutter und Vater", sagte Schimanek.

Aussagen, die Neos-Frauensprecherin Claudia Gamon nicht so stehen lassen wollte. Die "queere Erziehung" sei wichtig, um Stereotypen in der Erziehung entgegenzuwirken, erklärte Gamon. Warum sie für einen niederschwelligen Zugang für Verhütungsmittel ist, erklärte die pinke Abgeordnete – wobei das eher zu einem Dialog mit dem blauen Klubchef Walter Rosenkranz führte, der sie immer wieder unterbrach. "Sie negieren, dass Menschen Sex haben", wies Gamon Rosenkranz zurecht.

"Schlag ins Gesicht"

Auch der neuerliche Appell der Opposition, ein Referendum über die Nichtraucherregelung abzuhalten, stieß bei ÖVP und FPÖ auf taube Ohren. Philipp Kucher, SPÖ, attestierte der Regierungsspitze, zu feig zu sein, selbst zu entscheiden, daher sollten sie doch das Volk abstimmen lassen.

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger platzierte eine Kiste mit geschreddertem Papier auf dem Platz des abwesenden türkisen Klubobmanns August Wöginger, um die Ignoranz der Regierung zu demonstrieren: "Direkte Demokratie ist kein Schönwetterprogramm", tadelte die pinke Klubobfrau die Regierung, die faktenbefreit argumentieren würde. Das sei ein "Schlag ins Gesicht für alle Ärzte, die zu Recht vor den Gefahren des Rauchens warnen".

Dabei bemühte sich ÖVP-Abgeordneter Gabriel Obernosterer, den Regierungsweg zu verteidigen. "Wir wissen ja alle, dass Rauchen schädlich ist", gab er zu und bat trotzdem die Anwesenden, "bei der Wahrheit zu bleiben". Denn er sorgte sich darum, dass nun Gastronomen für Raucherkrankheiten verantwortlich gemacht werden. FPÖ-Mandatar Peter Wurm kritisierte hingegen die "Propaganda durch das ,Don't smoke'-Volksbegehren". Die Freiheitlichen stünden zu ihrem Bekenntnis der direkten Demokratie, doch um ein Referendum abzuhalten, müsste vorab sachlich informiert werden. Daniela Holzinger-Vogtenhuber, Liste Jetzt, appellierte an die ÖVP-Abgeordneten, gegen diesen Beschluss aufzustehen.

Zugewiesen und begraben

Zuletzt wurde das überraschend erfolgreiche ORF-Gebühren-Volksbegehren debattiert. Reformbedarf sehen alle Fraktionen, Sympathie für das Begehren kam aber nur von der FPÖ. Wendelin Mölzer bekannte, selbst Unterzeichner zu sein, und forderte eine Strukturreform des ORF. Ein klares Plädoyer für Rundfunkgebühren hielt hingegen SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda. Neos und Liste Jetzt kritisierten, dass die Koalition noch nichts aus ihrem Medienkapitel umgesetzt habe. Alle drei Volksbegehren wurden parlamentarischen Ausschüssen zugewiesen – ein Begräbnis erster Klasse, wie man so sagt. (Marie-Theres Egyed, 11.12.2018)