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Huawei, wir lieben dich: Eine chinesische Demonstrantin ging in Vancouver für die Freilassung der dort inhaftierten Huawei-Finanzchefin Meng auf die Straße.

Foto: REUTERS/David Ryder

Die Verhaftung von Meng Wanzhou, CFO von Huawei, war ein gefährlicher Schritt der Regierung von US-Präsident Donald Trump in ihrem sich verschärfenden Konflikt mit China. Wenn, wie Mark Twain angeblich einst sagte, die Geschichte sich häufig reimt, so erinnert unsere Ära zunehmend an den Zeitraum vor 1914. Wie die europäischen Großmächte damals drängen heute die USA – angeführt von einer Regierung, die Amerikas Dominanz gegenüber China Geltung verschaffen will – die Welt in Richtung Katastrophe.

Enorm wichtig ist der Kontext der Verhaftung. Die USA haben verlangt, dass Kanada die Finanzchefin des Technologieriesen auf dem Weg von Hongkong nach Mexiko bei einem Zwischenstopp auf dem Flughafen von Vancouver verhaften und an die USA ausliefern solle. Ein derartiger Schritt ist fast schon eine US-Kriegserklärung an die chinesische Wirtschaft. Er ist nahezu beispiellos und setzt amerikanische Geschäftsleute bei Reisen ins Ausland einem deutlich erhöhten Risiko derartiger Maßnahmen durch andere Länder aus.

Angebliches Fehlverhalten

Die USA verhaften selten führende Geschäftsleute – egal, ob US-Bürger oder Ausländer – wegen von ihren Unternehmen mutmaßlich begangener Verbrechen. Unternehmensmanager werden in der Regel wegen mutmaßlicher persönlicher Straftaten wie etwa Veruntreuung, Bestechung oder Gewalt verhaftet, aber nicht wegen eines angeblichen Fehlverhaltens ihres Unternehmens. Natürlich sollten Manager für Fehlverhalten ihrer Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, bis einschließlich der Anklageerhebung; diese Praxis jedoch mit einer führenden chinesischen Geschäftsperson statt mit den dutzenden US-amerikanischen CEOs und CFOs, die sich strafbar gemacht haben, zu beginnen ist eine atemberaubende Provokation gegenüber Chinas Regierung, Geschäftswelt und Öffentlichkeit.

Meng wurde wegen Verstoßes gegen US-Sanktionen gegenüber dem Iran verhaftet. Doch man betrachte ihre Verhaftung im Kontext der großen Anzahl US-amerikanischer und ausländischer Unternehmen, die gegen US-Sanktionen gegen den Iran und andere Länder verstoßen haben: So bezahlte etwa JP Morgan Chase 2011 Geldbußen in Höhe von 88,3 Millionen Dollar. Doch wurde ihr CEO und Chairman nicht aus dem Flugzeug gezerrt und in Haft genommen. Und JP Morgan Chase ist, was Verstöße gegen US-Sanktionen angeht, alles andere als allein. Seit 2010 haben 25 wichtige Finanzinstitute Geldbußen wegen Verstößen gegen US-Sanktionen gezahlt.

Schockierender Bruch

Keiner der Vorstandsvorsitzenden oder Finanzchefs dieser gegen Sanktionen verstoßenden Banken wurde wegen dieser Angelegenheiten festgenommen und inhaftiert. In all diesen Fällen wurde das Unternehmen – und nicht ein individueller Manager – zur Rechenschaft gezogen. Genauso wenig wurden sie wegen ihrer allgegenwärtigen Gesetzesverstöße im Vorfeld oder im Gefolge der Finanzkrise von 2008 zur Rechenschaft gezogen, für die die Banken laut einer jüngsten Berechnung atemberaubende 243 Milliarden Dollar an Geldstrafen zahlten.

Angesichts dieser Vorgeschichte ist die Verhaftung von Meng ein schockierender Bruch mit gängiger Praxis. Natürlich sollte man CEOs und CFOs zur Rechenschaft ziehen, aber man sollte den Anfang im eigenen Land machen, um Scheinheiligkeit, als Prinzipientreue verkleidetes Selbstinteresse und das Risiko der Provokation eines neuen globalen Konflikts zu vermeiden.

Geopolitischer Konflikt

Es ist relativ offensichtlich, dass die US-Maßnahme gegen Meng in Wahrheit Teil des umfassenderen Versuchs der Regierung Trump ist, Chinas Wirtschaft durch die Verhängung von Zöllen, die Schließung westlicher Märkte für chinesische Hightechexporte und das Verbot chinesischer Käufe von US-amerikanischen und europäischen Technologieunternehmen zu untergraben. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass sie Teil eines Wirtschaftskrieges gegen China ist, und zwar eines unverantwortlichen Wirtschaftskrieges.

Huawei ist eines der bedeutendsten Technologieunternehmen Chinas und daher ein wichtiges Ziel im Bemühen der Trump-Regierung, Chinas Vordringen in eine Reihe von Hightechbranchen zu verlangsamen oder zu stoppen. Amerikas Motivation in diesem Wirtschaftskrieg ist teilweise wirtschaftlicher Art – sie will rückständige US-Unternehmen schützen und begünstigen – und teilweise geopolitischer Art. Mit der Wahrung der internationalen Rechtsordnung hat sie mit Sicherheit nichts zu tun.

Grund für den Versuch der USA, Huawei zur Zielscheibe zu machen, sind insbesondere die Erfolge des Unternehmens bei der weltweiten Vermarktung hochmoderner 5G-Technologien. Die Vereinigten Staaten von Amerika behaupten, dass von dem Unternehmen aufgrund versteckter Überwachungsfunktionen in seiner Hardware und Software ein konkretes Sicherheitsrisiko ausgeht. Doch hat die US-Regierung keinerlei Beweise für diese Behauptung vorgelegt.

Nadel im Heuhaufen

Eine jüngste Tirade gegen Huawei in der "Financial Times" spricht in dieser Hinsicht Bände. Nachdem er zugesteht, dass "man keine konkreten Beweise für Eingriffe in die IKT haben kann, wenn man nicht das Glück hat, die Nadel im Heuhaufen zu finden", macht der Verfasser schlicht geltend, dass "man das Risiko nicht eingeht, seine Sicherheit in die Hände eines potenziellen Gegners zu legen". Anders ausgedrückt: Während wir in Wahrheit kein Fehlverhalten Huaweis nachweisen können, sollten wir das Unternehmen trotzdem auf die schwarze Liste setzen.

Wenn globale Handelsregeln Trumps Gangstertaktiken behindern, dann müssen die Regeln eben abgeschafft werden. Außenminister Mike Pompeo hat das in Brüssel zugegeben. "Unsere Regierung", so erklärte er, sei "dabei, auf gesetzeskonforme Weise aus veralteten oder schädlichen völkerrechtlichen Verträgen, Handelsverträgen und sonstigen internationalen Vereinbarungen, die nicht unseren souveränen Interessen oder denen unserer Verbündeten dienen, auszusteigen oder sie nachzuverhandeln." Doch bevor sie aus diesen Vereinbarungen aussteigt, sabotiert die Regierung sie durch unverantwortliche und einseitige Maßnahmen.

Die Verhaftung Mengs ist umso provozierender, weil sie auf extraterritorialen US-Sanktionen beruht, also dem Anspruch der USA, anderen Ländern zu befehlen, den Handel mit Drittparteien wie Kuba oder dem Iran einzustellen. Die USA würden es sicherlich nicht hinnehmen, wenn China oder ein anderes Land US-Unternehmen vorschreiben würde, mit wem sie Handel treiben können und mit wem nicht.

UN-Sicherheitsrat

Sanktionen in Bezug auf nichtstaatliche Akteure (wie etwa US-Sanktionen gegen ein chinesisches Unternehmen) sollten nicht durch ein Land allein durchgesetzt werden, sondern im Einklang mit Vereinbarungen, die innerhalb des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen erzielt wurden. In dieser Hinsicht fordert die Resolution 2231 des Sicherheitsrates alle Länder auf, im Rahmen des Nuklearabkommens von 2015 ihre Sanktionen gegenüber dem Iran fallen zu lassen. Doch die USA – und nur die USA – verwerfen nun die Rolle des Sicherheitsrats in derartigen Fragen. Die Trump-Regierung, und nicht Huawei oder China, ist heute die größte Bedrohung für die internationale Rechtsordnung und damit für den Weltfrieden. (Jeffrey D. Sachs, Übersetzung: Jan Doolan, Copyright: Project Syndicate, 12.12.2018)