Im Wahlkampf hatten ÖVP und FPÖ noch die großen Kämpfer für mehr direkte Demokratie gegeben. Doch als diese Woche im Parlament eine Debatte über gleich drei Volksbegehren – Frauen, Don't smoke, ORF-Gebühren – angesetzt wurde, verabschiedeten sich alle Regierungsmitglieder und auch gleich zahlreiche Abgeordnete aus just diesen beiden Parteien aus dem Hohen Haus. Die leere Regierungsbank wurde so zum Fanal – noch mehr als schon an ganz gewöhnlichen Parlamentstagen.

Was ist das? Provokation? Ignoranz? Symptom für selbst und vorsätzlich verschuldete Erosion der parlamentarischen Demokratie?

Es ist vor allem Chuzpe. Eine Unverschämtheit. Eine Missachtung genau jenes "Volkes", auf das sich die ach so überzeugten Direktdemokraten so gern berufen. Denn wer mit dem Volk ehrlich kommunizieren will, der hat dafür im Parlament den hehrsten und eigentlichen Ort in einer Demokratie.

Wer sich dort entzieht, augenfällig systematisch, setzt ein Zeichen. Wer sich dem Parlament auch verweigert durch halbseidene Gesetzesschleuseraktionen ohne Begutachtung wie etwa beim Zwölfstundenarbeitstag, der hat sich ein Stück weit abgekoppelt vom demokratischen System und Diskurs. Schleißige Anfragebeantwortungen an die Opposition, die wegen ihres nichtssagenden Tons sogar vom Parlamentspräsidenten, der der Kanzlerpartei angehört, gerügt werden, passen auch ins Bild. Das ist quasi wie ein Raumschiff irgendwo im politischen Universum, das ab und zu kontrollierte Botschaften an die Bodenstation funkt. Nach der Devise von Major Tom, über den Peter Schilling einst gesungen hat: "Völlig losgelöst von der Erde schwebt das Raumschiff völlig schwerelos".

Und da bekommt das Ganze eine größere Relevanz als bloß das schönere Bild einer Regierungsbank, von der aus tatsächlich zugehört und geantwortet würde. Denn so ein Verhalten erweckt den unschönen und gefährlichen Verdacht, dass sich hier eine Regierung als Stellvertreterkorpus des "Volkes" oder eines Teils davon geriert. Doch wer so agiert, hat das demokratische Prinzip missverstanden – oder missbraucht es. Zur Erinnerung: Die Regierung ist nicht vom Volk gewählt, sondern vom Bundespräsidenten ernannt.

Entkoppelung

Eine andere Entkoppelung der Regierung ist ebenfalls mehr als eine geschmäcklerische Petitesse: Es ist das von wissenschaftlicher Expertise und Evidenz recht unangekränkelte Agieren der ÖVP-FPÖ-Koalition.

Sinnigerweise – und vom zuständigen Minister, der es als exzellenter Wissenschafter leider weiß, auch eingestanden – beginnt das im Bildungsbereich, wo mit Ziffernnoten und Sitzenbleiben in der Volksschule Maßnahmen etabliert werden, die explizit dem gesicherten Forschungsstand zuwiderlaufen. Dazu gehört aber auch der alle medizinischen Expertenwarnungen wegwischende Umgang mit dem Rauchen. Abgesehen davon, dass der direktdemokratische Wunsch von fast 900.000 Volksbegehrensunterstützern umstandslos verräumt wurde.

Auch dieses ignorante Nichtverhältnis von Türkis-Blau zur Wissenschaft richtet einen absehbaren Flurschaden an – realpolitisch, weil Maßnahmen etabliert werden, die nachgewiesen schädlich oder falsch sind, aber auch im öffentlichen Diskurs, dem durch so eine Art der Politik jegliche rationale Basis entzogen wird. Und jenseits der Vernunft ist noch nie etwas Gescheites herausgekommen. (Lisa Nimmervoll, 12.12.2018)