Aus meiner Feder konnten Sie hier bislang Beiträge zum verschollenen Heimatmuseum von Laa an der Thaya und den Bemühungen um seine Rekonstruktion lesen. Diesmal soll schlaglichtartig ein kleiner Einblick in einen Arbeitsschritt gegeben werden, der sonst im archäologischen Berufsalltag auch Ausgrabungen vorausgeht – die Recherche der Forschungsgeschichte.

Während die Ergebnisse der älteren Forschung im Zielgebiet archäologischer Maßnahmen eine Grundvoraussetzung für Planung und Interpretation darstellen, sollen sie im konkreten Fall dabei helfen, eine wesentliche Frage zu beantworten: Was gab den Anlass zur Gründung des Museums? Abseits der Universitätsstädte gingen solche Gründungen zumeist auf die Initiative einzelner Personen oder zumindest sehr überschaubarer Kreise zurück. Oft bildeten hier große Privatsammlungen den Grundstock der Museumsbestände, wie etwa im Fall des Krahuletz-Museums in Eggenburg, das sich um die Sammlung des Privatgelehrten Johann Krahuletz bildete. Man darf auch nicht vergessen, dass selbst das Naturhistorische Museum in Wien ursprünglich auf die private Sammlung von Franz Stephan von Lothringen, dem Mann Maria Theresias, zurückgeht. In Laa allerdings war dies nicht der Fall, die Sammlung startete 1907 praktisch bei null – hier stand die Idee noch vor der Sammlung. Bekannt ist aber, dass dafür zeitnahe archäologische Funde einen wesentlichen Ausschlag gaben.

Laaer Gründung

Mit dem Jahr 1907 fällt die Gründung in eine Zeit, in der auch einige bedeutende Museen entstehen. So werden etwa im Jahr 1902 das bereits erwähnte Krahuletz-Museum und auch das Niederösterreichische Landesmuseum gegründet. Einen wesentlichen Impuls gab dafür sicher die Eröffnung der beiden großen Zentralmuseen in Wien – des Naturhistorischen und des Kunsthistorischen Museums. Ihr Bau wurde trotz schwieriger wirtschaftlicher Lage in den 1870er- und 1880er-Jahren umgesetzt. Zahlreiche universitäre Institutsgründungen begleiteten dieses Monsterprojekt. So wurde etwa 1873 das Wiener Institut für Paläontologie ins Leben gerufen, 1892 der erste Lehrstuhl für Prähistorische Archäologie, 1898 das Österreichische Archäologische Institut. Doch schon zuvor erlebte die paläontologische und archäologische Forschung eine Aufbruchs- und Pionierzeit, für die letztlich auch die allgemeine Lehr- und Lernfreiheit seit 1848 gute Voraussetzungen geschaffen hatte.

Hollers Schachteln

Über einen weitgehend vergessenen Pionier dieser Frühzeit stolperte ich unverhofft auch in Laa. In den Restbeständen des Laaer Heimatmuseums fanden sich einige kleinformatige Schachteln, die mit einem schwarzen Rochenhaut-Imitat aus geprägtem Papier bezogen und mit Etiketten beklebt waren. Diese Etiketten bezeichneten Gattungs- und Artnamen fossiler Schnecken und Muscheln sowie deren Fundorte. Letztere befanden sich durchwegs nicht in der Umgebung von Laa an der Thaya – was mich stutzig machte. Da das Laaer Museum Kontakte zum Naturhistorischen Museum in Wien pflegte, fragte ich dort an, ob diese Schachteln jemandem bekannt vorkämen – diese Fährte verlief aber im Sand. Schließlich tauchten weitere solche Schachteln auf, von denen übrigens keine einzige mehr ihren ursprünglichen Inhalt enthielt. Auf einem der Etiketten fiel ein blassroter Stempel auf: "Holler".

Anton Holler (1826–1909).
Foto: Mitteilungen des Naturwissenschaftlichen Vereines für Steiermark 46 (1910), S. 382

Ein Hinweis, der auf die Spur von Anton Holler führte. Dieser kam, nachdem er 1848 an der Studentenrevolution teilgenommen hatte und eine Zeitlang auf der Flucht gewesen war, im Jahr 1855 als junger Mediziner nach Laa. Dort grassierte zu dieser Zeit eine verheerende Choleraepidemie, der auch der ansässige Arzt zum Opfer gefallen war. Holler gab sich nicht damit zufrieden, die Kranken zu behandeln, er betrieb auch Ursachenforschung und führte den Ausbruch der Krankheit auf verunreinigtes Brunnenwasser zurück. Dazu entnahm er Proben, die er in Wien analysieren ließ.

Doch seine Forschungen gingen nicht nur in diesem Punkt über die Grenzen seiner Disziplin hinaus. Er erforschte die Geologie der Umgebung und stand in regem Kontakt mit Eduard Sueß, dem großen österreichischen Geologen und Entdecker des Urkontinents Gondwana und des Urmeers Tethys, der auch federführend an der Planung der Wiener Hochquellwasserleitung beteiligt war. Gemeinsam beschrieben sie die von Holler entdeckten Fossilien der "Laaer Serie", einer lokal vorkommenden, marinen Fauna aus der Zeit des Miozän. Schließlich aber vermittelten die beiden 1863 auch den zweiten germanischen Grabfund von Wulzeshofen, eine Elitenbestattung der römischen Kaiserzeit mit mehreren Goldobjekten, an das Münz- und Antikenkabinett in Wien, einen Vorläufer des heutigen Kunsthistorischen Museums, wo der Fund heute ausgestellt wird.

Schachteln aus der Sammlung von Anton Holler.
Foto: Leopold Toriser
Der entscheidende Hinweis: der blassrote Stempel "Holler" rechts unten auf dem Etikett.
Foto: Leopold Toriser

Holler verließ Laa 1865 wieder. Er wurde Nervenarzt, ließ sich übrigens auch ein Gerät zur Anfertigung von Dünnschnitten menschlicher Gehirne patentieren und starb hochbetagt im Jahr 1909. Seinen Nachruf verfasste niemand Geringerer als der Paläontologe Rudolf Hoernes. Die Sammlung Holler befindet sich heute im Joanneum in Graz. Wie die Schachteln aus Hollers Sammlung in das Laaer Museum kamen, bleibt ein kleines Rätsel. Sie gelangten möglicherweise über den Sohn seines Nachfolgers, Dr. Oppel, in die Altertumssammlung und wurden hier zweitverwendet.

Szombathys "Runder Berg"

Wenige Jahrzehnte später taucht im Zusammenhang mit Laa ein etwas geläufigerer Name auf. Josef Szombathy, ab 1882 Leiter der Anthropologisch-Prähistorischen Sammlung des Naturhistorischen Museums, bekannt als einer der Entdecker der Venus von Willendorf, führte in den Jahren 1887 und 1888 Ausgrabungen in der Laaer Gegend durch. Szombathys Ausgrabungen dienten vor allem der Gewinnung von archäologischen Fundobjekten für die Schausammlung in Wien. Nordöstlich von Laa grub er neben germanischen Funden aus der römischen Kaiserzeit auch zwei vermeintliche Hügelgräber aus: den Tumulus von Grafendorf, dem heutigen Hrabětice (CZ), und jenen von Mitterhof (NÖ), den sogenannten "Runden Berg". Jüngere Forschungen, forciert vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie, weisen jedoch darauf hin, dass es sich dabei um mittelalterliche Kleinburgen, sogenannte Motten, gehandelt haben dürfte.

Goldobjekte aus dem germanischen Grabfund Nr. 2 von Wulzeshofen (NÖ), Brandgrab einer Frau, datierend in die 2. Hälfte des 2. Jh. n. Chr.
Foto: Ralf Busch (Hrsg.), Die Langobarden, Von der Unterelbe nach Italien. Neumünster 1988, S. 233

Aus Szombathys akribisch geführtem Tagebuch geht auch ein für diese Zeit sehr fortschrittlicher Ansatz hervor: Er skizzierte hier ein Schichtprofil des "Runden Berges" – was uns heute auch eine Einsicht in den Aufbau des Hügels ermöglicht und im konkreten Fall sogar Hinweise zur zeitlichen Einordnung liefert. Damit sticht Szombathy methodisch aus einer Zeit heraus, in der das Öffnen von Grabhügeln eher einem Sport als einer archäologischen Untersuchung glich.

Ganz nebenbei half Szombathy bei seinem Aufenthalt übrigens beim Löschen eines Schadfeuers im benachbarten Höflein (heute Hevlín, Tschechien) und begegnete, ohne es noch zu wissen, einem bedeutenden Vertreter des Jugendstils, der damals für den Grafen Khuen-Belasy in Grafendorf tätig war. In Szombathys Tagebuch findet sich der Vermerk "Herr Maler Mucha überbringt im Auftrage des Grafen Khuen-Belasi 2 kleine Töpfchen." Es bedurfte keiner großen Mühen zu verifizieren, dass es sich dabei tatsächlich um Alfons Mucha handelte. Auch solche Fundstücke machen den besonderen Reiz der archäologischen Arbeit aus – selbst dort, wo es sonst eher trocken wird.

Eine Profilzeichnung des "Runden Berges" bei Mitterhof (NÖ) – zusammen mit Szombathys Beschreibungen half sie kürzlich bei der Identifizierung des Hügels als mittelalterliche Kleinburg.
Foto: Tagebücher v. Josef Szombathy, Nr. 90, Palethnologische Excursionen 1887, 1888, 1889. S. 23, Fundaktenarchiv der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien
Prominenz in Szombathys Tagebuch: Der Jugenstilmaler Alfons Mucha überbringt Szombathy 1887 im Auftrag des Grafen Khuen-Belasy archäologische Funde.
Foto: Tagebücher v. Josef Szombathy, Nr. 90, Palethnologische Excursionen 1887, 1888, 1889. S. 11, Fundaktenarchiv der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien

Schmeidels Impulse

Den für Museumsgründer Alfred Schmeidel wesentlichen Impuls dürften letztlich zwei Funde aus dem Jahr 1905 geliefert haben, die sich heute im Niederösterreichischen Landesmuseum befinden: ein Grab der kupferzeitlichen Glockenbecherkultur aus einer nahe Laa gelegenen Sandgrube sowie neolithische Artefakte, die beim Graben eines Brunnens hinter dem Nachbarhaus von Schmeidels "Gasthaus zur Kugel" gefunden wurden. Dass dort ein politischer Kontrahent – der spätere christlichsoziale Landtagsabgeordnete Mathias Göstl – wohnte, könnte unter Umständen zusätzlich Schmeidels Pläne befeuert haben, solche Funde künftig in Laa zu halten. (Leopold Toriser, 13.12.2018)