Bild nicht mehr verfügbar.

Wie reagieren auf Fragen zu Sexting oder Homophobie in Klassenzimmern?

Foto: Getty Images

Das Plädoyer für Evidenzbasierung und Standardisierung in der Sexualpädagogik, das Roman Winkler in seinem Kommentar der anderen (siehe "Sexualpädagogik – bitte ohne Ideologie!", der STANDARD) formuliert, erscheint auf den ersten Blick nachvollziehbar. Vereine wie Teenstar, die trotz problematischer Inhalte lange Zeit an Schulen tätig sein konnten, sollen an den Qualitätsstandards sexueller Bildung gemessen werden, die es auch in Österreich gibt.

Kein einheitliches Rezept

Seit 1970 gilt ein Grundsatzerlass des Bildungsministeriums, der einen positiven Zugang zu Sexualität und sexueller Vielfalt als zentrale Haltungen der Sexualpädagogik festschreibt. Sexualpädagogik soll Geschlechtergleichstellung fördern und wissenschaftlich gestützte Informationen vermitteln. Wie bekannt wurde, folgen einzelne Vereine diesen Standards nicht. Dass die politischen Verantwortlichen nun reagieren und Rahmenbedingungen von Sexualpädagogik öffentlich diskutiert werden, ist erfreulich.

Als Wissenschafterinnen, die zu sexueller Bildung forschen, halten wir eine wissenschaftliche und ethische Fundierung sexualpädagogischer Arbeit für wichtig. Gleichzeitig bedarf es einiger Differenzierungen: Bildungsarbeit kann genauso wenig wie die Arbeit von Ärzten oder Therapeuten einem einheitlichen "Rezept" folgen. Zu glauben, dass sich die Qualität sexualpädagogischer Angebote durch das Abarbeiten von Checklisten und Kriterienkatalogen gewährleisten lässt, ignoriert die Komplexität (sexual)pädagogischer Situationen und sitzt technokratischen Scheinlösungen auf.

Teaching to the test?

In der soziologischen Bildungs- und Professionsforschung wird schon lange diskutiert, dass Standardisierungsprozesse und zeitraubendes Berichtswesen im Sozialbereich professionelles Handeln eher behindern als fördern. So zeigen internationale Forschungen, wie stark etwa die Einführung von standardisierten Leistungstests die Unterrichtsstile von Lehrpersonen hin zu einem "teaching to the test" verändert hat. Droht eine solche Entwicklung nun auch in der Sexualpädagogik Einzug zu halten?

Hoher Bedarf an Expertise

Sinnvoller ist ein alternativer Weg der Qualitätssicherung sexualpädagogischer Bildungsangebote. Es braucht eine Unterstützung der Professionalisierung aus dem Feld der Sexualpädagogik heraus. Fachfremden Personen fehlt meist nicht nur das wissenschaftliche Fachwissen, sondern auch die Erfahrung und pädagogische Urteilsfähigkeit, um sexualpädagogische Gruppenprozesse einzuschätzen. Klarerweise haben Sexualpädagoginnen und -pädagogen die Verpflichtung, ihr Handeln zu begründen und sich einer öffentlichen Diskussion zu stellen. Die Grundlage dafür ist aber eine Anerkennung ihrer professionellen Handlungskompetenzen. Genau diese werden aktuell dem sexualpädagogischen Feld pauschal abgesprochen.

Im internationalen Vergleich zeigt sich vor allem ein Ressourcen- und Anerkennungsdefizit bei sexualpädagogischen Bildungsangeboten in Österreich. Es gibt kaum staatliche Budgettöpfe, die explizit der Sexualpädagogik gewidmet sind, keine universitären Lehrstühle für Sexualpädagogik oder Sexualitätsforschung, und es fehlt an Ressourcen.

Dabei gibt es einen hohen Bedarf an sexualpädagogischer Expertise. Viele Schulen sind auf den staatlichen Auftrag nicht vorbereitet, die sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen altersadäquat zu begleiten. Ein pädagogisch reflektierter Umgang mit den Fragen von Kindern und Jugendlichen, mit Sexting und pornografischer Mediennutzung, mit Homophobie in Klassenzimmern und der Prävention sexualisierter Gewalt beispielsweise beschäftigt viele Lehrpersonen und Eltern. Diese Lücke füllen sexualpädagogische Vereine und Institute, die – trotz oftmals prekärer finanzieller Situation – wichtige und professionelle Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Eltern und in der Fortbildung von pädagogisch Tätigen leisten.

Mehr Ressourcen

Anstatt diese professionellen Akteure nun unter fachfremde Kontrolle zu zwingen, wäre es wichtig, die Professionalisierungsprozesse im Bereich der Sexualpädagogik mit weiteren Ressourcen zu unterstützen. Die bildungswissenschaftliche Forschung zu Professionalisierung verweist beispielsweise auf die Bedeutung einer kontinuierlichen Reflexion der eigenen pädagogischen Haltung. Auch reflexive Kompetenzen im Umgang mit Diskriminierung sind essenziell für eine fundierte sexualpädagogische Arbeit. Viele Vereine arbeiten daher mit Inter- oder Supervision, in Zweierteams und bieten regelmäßige Fortbildungen an.

Wem die Qualität sexueller Bildung wichtig ist, muss prioritär im Bereich der Ressourcen für Professionalisierungsprozesse ansetzen. Die Frage der Qualität von sexualpädagogischen Angeboten hing bislang weitgehend an engagierten Einzelpersonen. Das muss nicht so bleiben. (Barbara Rothmüller, Marion Thuswald, 12.12.2018)