Die türkische Wirtschaft steckt in einer Krise – nur der Waffenindustrie geht es prächtig, die Verkäufe stiegen um 24 Prozent. So wählte der türkische Präsident Tayyip Erdoğan vielleicht deswegen auch eine Konferenz der größten Waffenhersteller des Landes, um eine neue Militäroffensive anzukündigen: In den nächsten Tagen – einen genauen Zeitpunkt nannte er nicht – sollen türkische Truppen erneut ins nördliche Syrien eindringen. Ziel sei es, die Region östlich des Euphrat-Flusses "von Separatisten und Terroristen zu säubern".

Mit "Terroristen" meint die türkische Regierung die Kurdenmiliz YPG. Die Gruppierung sei identisch mit der auch von der EU als Terrororganisation eingestuften marxistisch-leninistischen PKK und operiere in Syrien bloß unter anderem Namen.

Besonders heikel ist das Unterfangen, da die USA zwar die PKK als Terrororganisation einstufen, den syrischen Ableger YPG aber als Verbündeten im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) betrachten. Rund 2.000 US-Soldaten sind in dem Gebiet stationiert und patrouillieren gemeinsam mit YPG-Kämpfern. Erst vergangene Woche hatte das US-Verteidigungsministerium angekündigt, man wolle bis zu 40.000 Kämpfer der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) trainieren. In der Dachorganisation befinden sich auch viele Kämpfer der YPG.

Ankara fordert seit langem, dass die USA ihre Unterstützung der Kurdenmiliz aufgeben. "Es gibt keine Bedrohung durch den IS mehr", sagte Erdoğan. "Das ist eine Fantasie." In den vergangenen Tagen war es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen arabischen Rebellengruppen, die von der Türkei unterstützt werden, und der YPG gekommen.

Wirren des Bürgerkrieges

Der Miliz ist es in den Wirren des Bürgerkriegs gelungen, ein halbwegs funktionierendes Gebilde unter kurdischer Führung aufzubauen. Ankara befürchtet, dass sich dort – ähnlich wie im Nordirak – autonome Strukturen herausbilden. Das wiederum würde kurdische Separatisten auf türkischer Seite ermuntern, nach mehr Unabhängigkeit zu streben. Vorangegangene türkische Offensiven hatten bereits die Grenzgebiete westlich des Euphrat zum Ziel. Sie werden heute von der türkischen Armee und befreundeten Rebellengruppen kontrolliert.

Die USA unterstützen die YPG nicht nur wegen des IS, sondern auch um ein Gegengewicht zum iranischen und russischen Einfluss aufzubauen. Beobachter wundern sich zudem, dass Erdoğan die Offensive öffentlich ankündigt. Hasan Koni, Professor an der Istanbuler Kultur-Universität, sagte dem Magazin "Al-Monitor", dass Erdoğan zunächst testen wolle, wie die internationale Gemeinschaft darauf reagiert. Das tat das Pentagon bereits: Eine unilaterale Aktion in der Region sei "inakzeptabel".

Plausibel erscheint auch, dass Erdoğan so von der wirtschaftlichen Lage ablenken will. Die Inflation in der Türkei liegt momentan bei 25 Prozent. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet für 2019 eine Rezession. Eine Offensive im Nachbarland dürfte Erdoğans AKP Stimmen der Nationalisten bei den Kommunalwahlen im kommenden März bringen. Der im deutschen Exil lebende Journalist Can Dündar wies darauf hin, dass Ankara in den vergangenen drei Jahren vor wichtigen Wahlen stets eine Offensive begonnen hatte.

Ausgelöst hatte die Wirtschaftskrise ein Kurssturz der türkischen Lira. Weil sich Ankara monatelang geweigert hatte, den inhaftierten amerikanischen Pastor Andrew Brunson freizulassen, hatten sich die Beziehungen zu den USA massiv verschlechtert. Das – und steigende Zinsen in den USA – hatte zu einer Kapitalflucht geführt. Die türkische Währung hat sich in den vergangenen Monaten wieder etwas erholt. Ein Konflikt mit den USA aber könnte einen erneuten Kursrutsch auslösen. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 13.12.2018)