1. Kinder, die in mehr als einer Sprache sozialisiert werden, also zwei- oder mehrsprachig sind, haben einen ganz entscheidenden Vorteil beim Erlernen von weiteren Sprachen. Das belegt zum Beispiel die Sprachwissenschafterin Ulrike Jessner. Personen, die mit zwei oder mehr Sprachen aufwachsen, haben ein ausgeprägteres metalinguistisches Bewusstsein und eine größere kognitive Flexibilität. Das heißt, dass sie unbewusst besser mit dem Zeichencharakter von Sprache und mit der Dynamik und Veränderbarkeit des Sprachsystems umgehen können.

  2. Des Weiteren haben sie ein besseres Verständnis dafür, dass es situativ wechselnde sprachliche Anforderungen gibt und dass Dinge sprachlich unterschiedlich ausgedrückt werden können. Sie wissen also, dass Sprache im Kontext passiert und funktioniert.

  3. Studien zeigen auch, dass es durch das Beherrschen mehrerer Sprachen zu einer möglichen Verlängerung der "critical period" kommen kann. Das bedeutet, dass Bilinguale zu einem späteren Zeitpunkt im Leben, nachdem die sensible Phase des Sprachlernens abgeschlossen ist, trotzdem noch in der Lage sind, eine Sprache auf nahezu Muttersprachenniveau zu erlernen. Der Grund dafür ist, dass deren Gehirn länger formbar bleibt. Im Normalfall ist es so, dass nach der kritischen Periode, circa nach der Pubertät, ein muttersprachliches Kompetenzniveau kaum mehr erreichbar ist.

  4. Der andere große Vorteil von Bilingualen gegenüber Monolingualen ist die größere praktische Erfahrung im Spracherwerb selbst. Diese entsteht zum Beispiel durch die vielen Übertragungen von einer in die andere Sprache, die Mehrsprachige häufig durchführen.

  5. Studien zufolge sind Mehrsprachige auch effizienter in ihrer allgemeinen Kommunikation, zum Beispiel spüren sie schneller kommunikative Missverständnisse auf und sind in der Lage, diese schneller aufzulösen.
Mehrsprachigkeit ist kein Nachteil!
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Kein eingeschränkter Wortschatz

Wenn wir uns die Sprachentwicklung des doppelten Sprachaufbaus ansehen, so gibt es allerhand Unterschiede im Vergleich zu einer monolingualen Sprachentwicklung. So werden gleichzeitig zwei unabhängige Sprachsysteme aufgebaut. Unabhängig, aber auch ständig im Kontakt und Austausch miteinander. Dieser Austausch führt unter anderem auch dazu, dass Mehrsprachige im sprachlichen Begreifen effizienter sind. Anfangs aber können sich die Sprachen "im Weg stehen". Es kommt zu Interferenzen oder zum Code-Mixing, also dem Vermischen der Sprachen – und mit Fortschreiten der Sprachentwicklung auch Code-Switching, Sprachwechsel.

Diese Entwicklungsphasen können Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen verunsichern, wenn sie nicht mit dem entsprechenden Hintergrundwissen vertraut sind. Fälschlicherweise wird Mehrsprachigen nachgesagt, sie hätten einen eingeschränkten Wortschatz und weniger ausdifferenzierte, sprachliche Ressourcen in den jeweiligen Sprachen als Kinder mit einer Erstsprache. Untersuchungen zeigen aber, dass dies nur für die ersten Lebensjahre stimmt. Gegen Ende der Grundschule gleichen sich Grammatik und Wortschatz in der dominanten Sprache aus, und oft überholen sogar bilinguale Kinder die monolingualen.

Potenziale für Kinder

Die aufgezählten Vorteile von Bilingualität sind keine Eigenschaft von bildungsprivilegierten Kindern, sondern Potenziale jeglicher Entwicklung kindlicher Zweisprachigkeit. Wie diese Vorteile genutzt, gefördert und weiterentwickelt werden, hängt sehr stark von der Umgebung ab, in der das Kind aufwächst. Also von der Familie und von Pädagoginnen und Pädagogen. Mit Blick auf kindliche Bilingualität heißt das, dass Eltern für Kontinuität, Konsequenz und viele Sprachreize in der Sprachvermittlung sorgen müssen. Betreuungs- und Bildungseinrichtungen müssen bilinguale Kinder auch als solche wahrnehmen und fördern und nicht versuchen, sie in die Passform des einsprachigen Kindes zu pressen. (Zwetelina Ortega, 17.12.2018)