Seit Antritt der Bundesregierung entfallen auf den Themenbereich Inneres nur 14 Gesetzesbeschlüsse.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Wahlkämpfe sind, so könnte man meinen, dazu da, die Themen für die nächste Gesetzgebungsperiode ausführlich zu diskutieren, die unterschiedlichen Standpunkte der Parteien deutlich zu machen und der Wählerschaft so eine Entscheidungshilfe zu geben. Nach diesem – zugegebenermaßen naiven – Maßstab müssten Zuwanderungsfragen einen großen Teil der Regierungsagenda ausmachen.

Eine Medienanalyse der TV-Konfrontationen 2017 ergab nämlich, dass dort in Summe fast vier Stunden lang über Migration und Integration gesprochen wurde, knapp dreieinhalb über Arbeit und Soziales sowie gute zwei Stunden über Steuerpolitik. Auf Europa, Freihandel, Sicherheit, Demokratie, Bildung und Verwaltungsreform entfielen jeweils zwischen 30 und 60 Minuten. (Natürlich gibt es noch andere Informationskanäle als TV-Konfrontationen, aber auch dort war Zuwanderung 2017 ein führendes Thema.)

Blickt man nun auf die 137 Gesetzesbeschlüsse seit Antritt der Bundesregierung vor einem Jahr, dann könnte die Diskrepanz kaum auffälliger sein. Thematisch nach den zuständigen Ausschüssen gruppiert (für Details siehe Anmerkungen unterhalb der Grafik), dominieren eindeutig sozio-ökonomische Themen. Zusammengerechnet machen Wirtschaft, Finanzen und Soziales knapp die Hälfte aller Beschlüsse aus (46 Prozent). Auf den Themenbereich Inneres – der neben Zuwanderung und Integration auch noch anderes beinhaltet – entfallen hingegen nur 14 Gesetzesbeschlüsse (zehn Prozent).

Nun kann man berechtigte Einwände gegen diese Argumentation einbringen: Zum einen ist die simple Anzahl an Gesetzesbeschlüssen nicht unbedingt sehr aussagekräftig. Manche Beschlüsse sind sehr weitreichend, andere bringen hingegen nur marginale Änderungen. Aber gerade in den sozio-ökonomischen Bereich fallen einige der bisher wichtigsten Entscheidungen dieser Gesetzgebungsperiode (Familienbonus, Sozialversicherungsreform, Arbeitszeitflexibilisierung), wobei einige große Reformen noch in der Pipeline sind (Steuerreform, Arbeitslosengeld). Zum anderen spielen Zuwanderungs- und Integrationsfragen natürlich in viele andere Themenbereiche hinein – gerade in der Sozialpolitik (etwa bei Mindestsicherung und Familienbeihilfe).

Dennoch legen die Zahlen oben nahe, dass Migrationsthemen in der öffentlichen Debatte verglichen mit ihrem Gewicht auf der legislativen Agenda überproportional viel Raum einnehmen. Ein Grund dafür ist, dass die Wählerschaft diesen Themen sehr viel Bedeutung beimisst (wobei auch hier in Summe sozio-ökonomische Themen meist wichtiger sind). Zentraler aber noch ist, dass in Österreich Einstellungen zu Zuwanderung und Integration das Wahlverhalten stärker beeinflussen als jene zur Wirtschafts- und Sozialpolitik. Anders gesagt: Die Positionen der Parteien zur Zuwanderung passen besser zu jenen ihrer Wähler, als das bei sozio-ökonomischen Themen der Fall ist.

Auf Dauer ist es natürlich ein Repräsentationsproblem, wenn ein Themenkomplex das Wahlverhalten so stark bestimmt, obwohl er in der Substanz der Regierungsarbeit nur eine untergeordnete Rolle spielt. Aber vielleicht sorgen ja gerade die sozialpolitischen Reformen der Bundesregierung Kurz dafür, dass sich das Wahlverhalten wieder stärker nach "bread-and-butter issues" ausrichtet.