Die Wahl Željko Komšićs in das bosnische Staatspräsidium polarisiert.

Am Freitag beschloss das kroatische Parlament eine Deklaration über die Rechte von Kroaten in Bosnien-Herzegowina. In Sarajevo wurde die Initiative als weiterer Angriff des Nachbarlands auf Bosnien-Herzegowina gesehen. Denn in der Deklaration wird vermittelt, dass die Wahl von Željko Komšić in das bosnische Staatspräsidium dem Vertrag von Dayton nicht zuwiderlaufen würde – was zwar nicht den Fakten entspricht, aber zur nationalistischen Propaganda gehört.

"Das, was Kroatien Bosnien antut, ist nicht gut, und solche Maßnahmen unterminieren das gegenseitige Vertrauen und tragen dazu bei, die Souveränität Bosniens zu verleugnen", sagte der Sozialdemokrat Komšić. Andere bosnische Politiker sprachen von einem "diplomatischen Krieg gegen Bosnien-Herzegowina". Der Hintergrund: Der Chef der bosnisch-herzegowinischen HDZ, einer völkisch orientierten extrem rechten Partei, Dragan Čović will die Regierungsbildung nach den Wahlen im Oktober in Bosnien-Herzegowina so lange verzögern, bis er bekommt was er will: Wahlrechtsänderungen im Sinne seiner Klientelpartei.

Einmischung ohne rechtliche Grundlage

Und Zagreb hilft ihm dabei. Tatsächlich wäre Kroatien verpflichtet, das Daytoner Friedensabkommens abzusichern. "Aber diese Rolle gibt Kroatien nicht das Recht, sich auf dem derzeitigen Weg in die inneren Angelegenheiten von Bosnien-Herzegowina einzumischen", erklären Diplomaten der Internationalen Gemeinschaft. Statt die Annexe des Daytoner Friedensabkommen zu respektieren, was die Pflicht von Kroatien ist, "hat sich Kroatien entschieden, sich in einen Streit um klare Bestimmungen der Verfassung von Bosnien und Herzegowina einzumischen", so die Analyse der Diplomaten, die sich mit Bosnien-Herzegowina beschäftigen.

Im Allgemeinen Rahmenabkommen von Dayton – das auch von Kroatien und der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien (heute Serbien) unterzeichnet wurde – wird verlangt, "dass die Vertragsparteien insbesondere uneingeschränkt die souveräne Gleichheit respektieren, Streit friedlich lösen und jegliches Vorgehen gegen die politische Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas unterlassen."

Kein Eingreifen eines anderen Staates bei Wahlen

Der Hinweis auf Souveränität und politische Unabhängigkeit scheint für die aktuelle Situation relevant zu sein. "Dieser Grundsatz gilt insbesondere für das Recht von Bosnien und Herzegowina, ein politisches System zu wählen, ohne dass in irgendeiner Form von einem anderen Staat eingegriffen wird", so die Analyse der Diplomaten. Genau dies war aber nun der Fall. Sogar die kroatischen Abgeordneten im Europäischen Parlament versuchten für die Änderung des Wahlgesetzes im Sinne der Nationalisten zu lobbiieren und so kam das Thema sogar auf die Tagesordnung des EU-Außenministerrates.

Laut den Internationalen Diplomaten und Rechtsexperten haben "Kroatiens Interventionen in den EU-Foren und vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen" gezeigt, dass sie das Recht auf Nichteinmischung von Bosnien-Herzegowina direkt störend "beeinträchtigt" haben. Problematisch ist, dass kroatische Vertreter gleich zwei Unwahrheiten verbreiteten. Erstens behaupteten sie, dass sie das Recht hätten, sich einzumischen. Und zweitens behaupteten sie, dass durch die Wahl von Komšić das Prinzip der Gleichheit der drei konstituierenden Völker (Bosniaken, Serben, Kroaten) nicht beachtet worden sei.

Vermischung von zwei verschiedenen Wahlfragen

Sie vermischten zudem, die durch einen Spruch des Verfassungsgerichts notwendige Änderung des Wahlgesetzes im Landesteil Föderation mit der Forderung, dass auch die Wahlweise der Mitglieder des Staatspräsidiums geändert werden müssten. Tatsächlich sollte das längst der Fall sein, aber in einem ganz anderen Sinne als es diesen Nationalisten vorschwebt. Denn ein Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs aus dem Jahr 2009 besagt, dass die Wahlvorkehrungen diskriminierend gegenüber jenen Bosnier seien, die sich nicht als Teil eines der drei staatsgebenden Völker deklarieren, weil sie folglich nicht einmal kandidieren dürfen.

Tatsächlich glauben die allermeisten Bosnier – und überhaupt die allermeisten Südosteuropäer – dass sie zu irgendeiner Volksgruppe gehören würden, was meistens mit Religionen vermischt wird und zu einer Art Stammesdenken führt , obwohl das historisch umstritten ist. Kollektivistische Sichtweisen auf die Gesellschaft dominieren – im Unterschied zu Mittel- und Westeuropa, deren Gesellschaften bedeutend individualistischer geprägt sind. Völkische Nationalisten versuchen seit dem Bestehen des unabhängigen Staats Bosnien-Herzegowina 1992 auch auf Grundlage dieses Stammesdenkens diesen zu zerstückeln und zu zerstören.

Feiern des Kriegs-Para-Staates

Zur derzeitigen Politik Kroatiens gegenüber Bosnien-Herzegowina gehört auch, dass Zagreb Urteile des Internationalen Kriegsverbrechertribunals nur mehr teilweise akzeptiert. So weigert man sich, das Urteil aus dem Jahr 2017 über die Teilnahme Kroatiens "an einem gemeinsamen kriminellen Unterfangen" mit Anführern der bosnischen Kroaten während des Krieges in Bosnien und Herzegowina zu akzeptieren. Stattdessen feierten diesen Sommer auch kroatische Politiker den Para-Staat Herzeg-Bosna aus den Kriegsjahren. Mitten im Krieg 1993 versuchten Nationalisten dieses Herzeg-Bosna von Bosnien-Herzegowina mit Gewalt abzuspalten und an Kroatien anzugliedern.

Seit ein paar Jahren sind kroatische und serbische Nationalisten zudem wieder eine Allianz eingegangen, um Bosnien-Herzegowina zu unterminieren. Das serbische Mitglied des dreiköpfigen bosnischen Staatspräsidiums Milorad Dodik versucht seit Jahren einen Teil des Landes abzuspalten und an Serbien anzuschließen. Zur Zeit inszeniert er gerade ein Polit-Theater, in dem er permanent verlangt, dass eine Flagge mit den serbischen Farben im Staatspräsidium aufgestellt wird – was den rechtlichen Grundlagen widerspricht. Als Teil des Staatspräsidiums muss Dodik den Staat Bosnien-Herzegowina und alle Bosnier und Herzegowiner vertreten.

Offener Brief von drei ehemaligen Hohen Repräsentanten

Dodik attackiert seit Jahren vor allem die Hohen Repräsentanten (HR). Kürzlich sagte er – ohne einen Namen zu nennen: "Der Hohe Repräsentant ist ein internationaler Krimineller, der den Daytoner Friedensvertrag verletzt hat." Besonders kritisiert er den ehemaligen HR Paddy Ashdown, der mit seinen ehemaligen Kollegen Christian Schwarz-Schilling und Carl Bildt kürzlich einen offenen Brief geschrieben hat, in dem die drei die Einmischung Kroatiens verurteilten. Die drei Ex-Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft forderten, dass jede Wahlreform darauf abzielen sollte, Bosnien und Herzegowina kohärenter und funktioneller zu machen, statt es nach ethnischen Gesichtspunkten weiter aufzuteilen. Dieser Brief hatte großes Echo erzeugt.

Serbien wiederum ist in der Aufarbeitung der Kriegsverantwortung und der Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegowina weit weg von einer realistischen Einschätzung. So leugnete kürzlich sogar die Premierministerin von Serbien, Ana Brnabić den Völkermord in Srebrenica. Serbien hat unter anderem Sorge, Reparationszahlungen leisten zu müssen. Das alles spielt sich in veränderten geopolitischen Umständen ab – es fehlt nun vor allem an einer klaren Haltung der Amerikaner unter der Trump-Administration. Vor etwa zwei Jahren konnten Nationalisten – unterstützt von internationalen Lobbyisten – damit beginnen, die Grenzen auf dem Balkan über Publikationen und Geheimdiplomatie infrage zu stellen. (Adelheid Wölfl, 14.12.2018)