Kein Ausruhen in der sozialen Hängematte: Mindestsicherungsbezieher müssen sich, sofern sie arbeitsfähig sind, um einen Job bemühen.

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Die Mindestsicherung soll nicht länger eine "Verwaltung der Arbeitslosigkeit" sein, sagt Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Um Menschen zu mehr Arbeitsaufnahmen zu bewegen, setzt seine Regierung auf Zuckerbrot und Peitsche. So wird die Mindestsicherung für Personen mit schlechten Deutschkenntnissen gekürzt. Auch Familien mit vielen Kindern erhalten weniger Geld. Das ist die Peitsche.

Das Zuckerbrot besteht laut Türkis-Blau aus einer Neuregelung beim Zuverdienst. Mindestsicherungsbezieher sollen für maximal zwölf Monaten zusätzliche Einkünfte lukrieren können. Und zwar wird künftig ein Freibetrag von 35 Prozent des Nettoeinkommens nicht auf die Mindestsicherung angerechnet. So steht es im Gesetzesentwurf für die neue Mindestsicherung, der aktuell zur parlamentarischen Begutachtung aufliegt. Die Regel ist eine Ermächtigungsbestimmung für die Bundesländer: Diese können Freibeträge von bis zu 35 Prozent vorsehen, müssen aber nicht.

Höherer Zuverdienst

Das Ziel hinter der Bestimmung ist klar – Menschen sollen nicht gleich ihre ganze oder sehr hohe Teile ihrer Mindestsicherung verlieren, wenn sie einen Job annehmen. Dabei ist es gar nicht leicht, zu sagen, was sich in der Praxis wirklich ändert. Denn tatsächlich verfügen alle Bundesländer schon heute über Freibetragsregelungen. Die neue Bestimmung würde, sofern sie voll genutzt wird, einen höheren Zuverdienst erlauben.

In Salzburg, im Burgenland und in der Steiermark ist der Freibetrag derzeit zum Beispiel auf nur 15 Prozent des Nettoverdienstes beschränkt. 18 Monate kann dieses zusätzliche Einkommen ohne Anrechnung bezogen werden. In Oberösterreich und Niederösterreich gibt es weiter gehende Regelungen: Hier wird derzeit ein Betrag von 30 Prozent des Nettoeinkommens nicht bei der Mindestsicherung eingerechnet, und zwar für ein Jahr.

Dieser Jobbonus kann sowohl in Niederösterreich als auch in Oberösterreich nur beantragt werden, wenn vorher mindestens sechs Monate Mindestsicherung durchgehend bezogen wurde. Die von Türkis-Blau geplante Regelung sieht eine solche Einschränkung nicht vor. Für Betroffene wäre das eine Erleichterung. Sie könnten sofort den Freibetrag beantragen.

Im Büro der oberösterreichischen Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer (SPÖ) zweifelt man, ob das auch so beabsichtigt ist, oder es sich um einen legistischen Fehler handelt. Viele Menschen, die arbeitsfähig sind und Mindestsicherung beziehen, finden immer wieder eine zeitlang einen Job. Oft fallen die Betroffenen nach ein paar Monaten wieder in die Mindestsicherung zurück. Wie aber sollen solche Fälle künftig behandelt werden: Können die Betroffenen dann immer wieder und unbegrenzt den Freibetrag beantragen wenn sie zwischendurch kurz gearbeitet haben?

Jobbonus wird kaum genützt

Derzeit werden die Jobboni nur selten genutzt. In Oberösterreich beziehen aktuell 12.000 Personen die Mindestsicherung. 1361 davon arbeiten nebenbei, weil sie wenig verdienen. Nur rund 50 Personen nutzten zuletzt den Jobbonus im Land. In Niederösterreich gibt es rund 16.300 Mindestsicherungsbezieher. 430 von ihnen sind nebenbei berufstätig. Im November wurde der Jobbonus an 49 Personen ausbezahlt.

Woran liegt es, dass der Jobbonus in diesen Ländern nicht öfter genutzt wird? Ein Faktor ist, dass die Freibeträge extra beantragt werden müssen, was viele offenbar nicht wissen, sagen Soziologen. Viele kennen die Regelungen nicht: Die Informationen über die Freibeträge werden von den Ländern nicht gerade aggressiv unter Betroffenen verbreitet. Wenn die Menschen den Freibetrag nicht beantragen und der Lohn eins zu eins gegengerechnet wird, kommt es für die Bundesländer billiger.

Wiener Spezialregeln

Ein gutes Beispiel dafür scheint auch Wien zu sein. Auf der Homepage der Stadt findet sich bei der Beschreibung der Mindestsicherung nur der Satz, dass Einkommen angerechnet werden. Erst auf einem zusätzlichen Infoblatt steht, dass es auch in Wien schon derzeit einen Jobbonus gibt. Hier sind die Regeln ganz anders. Wer ein Jahr durchgehend beschäftigt ist, bekommt von der Stadt 828 Euro als Bonus ausbezahlt. Bei unter 25-Jährigen reicht schon ein halbes Jahr aus. Und: Sonderzahlungen, also 13. und 14. Monatsgehalt, werden bei der Mindestsicherung nicht angerechnet. Ob in Wien diese Regelungen mehr Menschen nützen werden, steht noch nicht fest. Sie wurden erst im Februar 2018 eingeführt, eine Statistik gibt es laut der Stadt noch nicht.

Ein Jahr durchgehend zu arbeiten ist angesichts der Tatsache, dass wie erwähnt viele nur befristet einen Job finden, eine hohe Hürde. Viele Mindestsicherungsbezieher finden zeitweilig einen Job, fallen aber nach ein paar Monaten in die Mindestsicherung zurück.

Anreiz für mehr Jobaufnahmen

Wie sehen Arbeitsmarktexperten die Neuregelung? Helmut Mahringer vom Wifo spricht wie Wolfgang Nagl von dem unternehmernahen Thinktank Agenda Austria von einem Schritt in die richtige Richtung. Freibeträge etwa auszuweiten schaffe einen Anreiz für mehr Jobaufnahmen. Nagl würde sogar die Befristung auf ein Jahr streichen. Denn nach zwölf Monaten kommt es zu einem Einschnitt für Betroffene, was sich negativ auf die Dauer der Beschäftigung auswirken könnte.

Mahringer sagt, dass er nicht mit starken Effekten durch den erweiterten Freibetrag rechnet. Mindestsicherungsbezieher müssen sich, sofern sie arbeitsfähig sind, um einen Job bemühen. Sie werden vom Arbeitsmarktservice (AMS) gefördert. Das seien stärkere Anreize als Freibeträge.

Sicher ist, dass die Neuregelung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht für einheitliche Regeln sorgen wird, da den Ländern ein Spielraum bleibt. (András Szigetvari, 15.12.2018)