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An dieser Stelle wird, sofern der Brexit nicht abgesagt oder verschoben wird, eine Außengrenze der Europäischen Union verlaufen – und die wird politisch wie wirtschaftlich brisant sein.

Foto: AP/ Peter Morrison

Der Kontrast könnte deutlicher nicht sein: Während in London auch am Wochenende der Brexit-Zwist in Parlament und konservativer Regierungspartei schwelte, herrscht in Dublin überparteiliche Einigkeit in der Vorgehensweise gegenüber dem Nachbarn. Mit Blick auf das nationale Interesse hat vergangene Woche die größte Oppositionspartei der Minderheitsregierung von Premier Leo Varadkar weitere Duldung bis zum Frühjahr 2020 zugesagt. "Wir werden nicht zulassen, dass hier ähnliches Chaos herrscht wie in Westminster", sagte der Vorsitzende von Fianna Fáil (FF), Oppositionsführer Micheál Martin, zur Begründung.

Wie im Londoner Unterhaus Theresa May, deren Kabinett bisher von der nordirischen Unionistenpartei DUP unterstützt wird, muss im Parlament Dáil Varadkar ohne Mehrheit lavieren. Die Regierung setzt sich seit 2016 aus seiner konservativen Fine Gael (FG) und zwei Gruppen unabhängiger Abgeordneter zusammen.

Deren Duldung durch FF geschieht nicht ganz aus uneigennützigen Motiven. Martin selbst gehörte bis 2011 14 Jahre lang einer FF-Regierung an, zuletzt als Außenminister. Eine Wahlniederlage würde wohl sein Ende bedeuten. In Umfragen liegt die nationalliberale Partei deutlich hinter FG, muss sich zudem gegenüber der linksnationalen Sinn Féin profilieren. "Wir haben das grüne Trikot übergestreift", sagt ein hochrangiger FF-Funktionär in Anspielung auf die Nationalfarbe. "Das können wir jetzt nicht ausziehen."

Keine Bewegungsfreiheit

Statt von einem Trikot könnte man auch von einem Korsett sprechen, in dem Varadkar steckt: Seine Bewegungsfreiheit für einen Kompromiss mit London über die nordirische Auffanglösung (Backstop) ist gleich null. Das in langen Nachtsitzungen in den 1990er- und 2000er-Jahren erarbeitete Vertrauen zwischen London und Dublin ist Vergangenheit. Das persönliche Verhältnis zwischen der im provinziellen England aufgewachsenen Pfarrerstochter May und dem schwulen Allgemeinmediziner Varadkar hat die Financial Times kürzlich als "ungelenk und mühsam" beschrieben.

Irland fühlte sich in der Brexit-Frage von der einstigen Kolonialmacht ignoriert und schlecht oder gar nicht informiert. Dabei wird die Landgrenze zwischen der Republik und den sechs Grafschaften Ende März zur EU-Außengrenze. Gleichzeitig stellt die Durchlässigkeit der über 300 Kilometer langen Schlangenlinie quer durchs Land ein Fundament des Karfreitagsabkommens dar, mit dem Briten und Iren 1998 den jahrzehntelangen Bürgerkrieg Nordirlands beilegten.

Kein anderer EU-Nachbar hätte so viel zu verlieren wie Irland, sollte der No-Deal-Brexit kommen. Der wirtschaftliche Schaden für Irland wäre immens, schließlich gingen 2017 22 Prozent aller Exporte auf die Nachbarinsel.

Klare Prioritäten

Emsig haben Varadkar und sein Vorgänger Enda Kenny, unterstützt von Diplomaten und getragen von der Einigkeit im Parlament, in Brüssel für irische Anliegen geworben. Mit glänzenden Resultaten: Schon bald nach dem britischen Referendum 2016 machte sich die EU-Kommission das Anliegen der Grünen Insel zu eigen: Die weitgehend offene Grenze muss unter allen Umständen offen bleiben. Im Verhandlungsmandat der EU-27 für Chefunterhändler Michel Barnier gehörte Irland neben der Situation der EU-Bürger in Großbritannien sowie den britischen Beiträgen in die Brüsseler Kasse zu den Prioritäten.

In London hat das für Irritation gesorgt, wie der frühere britische EU-Botschafter Ivan Rogers analysiert: "Zum ersten Mal in der anglo-irischen Verhandlungsgeschichte hat London weniger Gewicht." Aufmerksame Iren wie Deirdre Heenan beobachten mit Sorge die Zunahme antiirischer Gefühle in den Londoner Medien. Varadkar werde dort als "arrogant und schikanös" dargestellt, sagt die Politikprofessorin der University of Ulster im nordirischen Derry: "Die Briten haben das Prinzip der EU nicht verstanden. Brüssel unterstützt eben auch kleine Mitgliedsstaaten" – vor allem solche, die politische Einigkeit vorweisen können. (Sebastian Borger, 17.12.2018)