Er war der Gott des experimentellen Bauens, der radikale Neudenker, der intelligente Konstrukteur. Und er war cool. Vielleicht ist er es heute noch, seinem aktuellen Wiener Wohnbau sieht man es nicht an. Die Rede ist vom italienischen Star-Architekten Renzo Piano. Sein aktuelles Projekt in Wien sind sieben Apartmenttürme mit dem klingenden Namen "Parkapartments am Belvedere", positioniert gegenüber dem 21er-Haus, am Rand des neu entwickelten Quartiers rund um den Hauptbahnhof. Die 16- bis 19-geschossigen Gebäude werden vier bis sechs Geschosse hoch über das Straßenniveau aufgestelzt. In einem Interview sprach Piano davon, dass er dabei von den Bäumen im Arsenal-Park inspiriert worden sei. Es benötigt einige Fantasie, um eine Beton- oder Stahlstütze mit einem Baumstamm zu assoziieren, aber gut. Faktum ist, dass sich der Architekt nicht mit einer möglichst guten Ausnutzung der zu bebauenden Fläche auseinandersetzen musste. Denn hier galt es, Luxuswohnen zu realisieren. Und wer auf Luxus setzt, will sich nicht auf das Straßenniveau der Plebs begeben müssen.

Braucht Wien so viel Luxuswohnen?

Eine Großstadt wie Wien braucht auch Luxus, klar. Was aber, so frage ich mich, ist an den Türmen anders, besser und innovativer als bei jedem beliebigen Hochhausturm in einer europäischen oder außereuropäischen Stadt? Warum erhält das flache und doch großzügige 21er-Haus nun ein Gegenüber von nebeneinander gestellten Allerwelts-Fassaden und das in einer solchen Höhe? Und die Parklandschaft, die unter den Türmen hindurchwächst? Wer bitte glaubt denn so etwas? Unter einem Gebäude wächst gar nichts, und sei es noch so sehr aufgestelzt. Die solchermaßen offenen Räume mit den bis zu siebzehn Meter hohen Stützen sehen in den Animationen sehr elegant aus. In sehr heißen Sommerwochen mag es dort auch angenehm blasen, im Rest des Jahres sollten Sie ihren Hut gut festhalten beim Eintritt in Ihr Luxushaus. Wien ist windiger als manch andere Stadt. Wer jetzt zu Jahresende unter den ebenso hoch aufgeständerten Bahngleisüberdachungen am Hauptbahnhof auf einen Zug wartet, bekommt dies zu spüren. Mit Blick auf die Piano-Türme.

Pianos Türme mit Allerwelts-Fassaden.
Foto: Sabine Pollak

Worin liegt hier das Experiment?

Verstehen Sie mich nicht falsch, die Bewunderung für Piano ist wirklich groß. Er hat alle nur denkbaren Medaillen und Preise für innovative Architektur erhalten. Und bei jeder Bauaufgabe – sei es das (gemeinsam mit Richard Rogers geplante) Centre Pompidou in Paris oder ein Kulturzentrum in Neukaledonien – entwickelte Piano Neues und überraschte mit Materialien und Formen. Auch der Entwurf für eine neue Brücke, die der in Genua geborene Architekt seiner Stadt unlängst als Geschenk versprach, wird großartig werden. Warum aber begibt er sich auf das (schwierige) Wiener Wohnbau-Terrain? Was haben Bewohnende davon, dass ihr Gebäude auf 17 Meter hohen Stützen steht? Macht es die Wohnung besser, luftiger, waghalsiger? Wohnt man dann anders?

Ein offener Lageplan suggeriert Vielfalt

Wer die Grundrisse der sieben Türme in diversen Lageplänen der Studie zur Entwicklung des gesamten ÖBB-Areals 2011 sah, konnte leicht getäuscht werden. Die sieben Bauteile waren in offenen, unterschiedlichen Fünfecken konfiguriert, standen mit schrägen Kanten zueinander und ließen Hoffnung aufkommen, dass sich die Grundrisse ebenso vielfältig nach oben hin entwickeln würden. Weit gefehlt. Die Fassaden ziehen sich glatt von unten nach oben und identische Fassadenteilungen wiederholen sich. Da verwundert nicht, dass die meisten Visualisierungen die Gebäude bei Nacht zeigen. In nur manchen Zimmern angedrehtes Licht suggeriert Unterschiedlichkeit. Wie klug doch die Wohnungsverkäufer sind.  

Das Problem des Regelgeschosses

Die Park-Apartments zeigen ein grundsätzliches Problem im verdichteten Wohnbau, die Wiederholung von schematisierten Grundrissen über mehrere Geschosse, Regelgeschosse also. Energieeffizienz und Ökonomie diktieren uns unsere Bauformen. Versuchen Sie einmal, Auftraggeber von offen verteilten Loggien, Öffnungen, Balkonen und Erkern, also einer fein durchlöcherten und plastisch gegliederten Wohnbaufassade zu überzeugen. Es ist nahezu unmöglich geworden. Regelgeschoss, so lautet das Zauberwort.

Regelgeschosse bedeuten, dass Planende und Bauende weniger nachdenken müssen beim Zeichnen und Durchführen. Copy und Paste. Man mag einwerfen, dass auch Gründerzeitbauten schon Regelgeschosse hatten. Es stimmt, dass in der Wiener Gründerzeit bereits sehr rational gebaut wurde. Die oft reichen Verzierungen basierten auf Fertigteilen, es gibt erstaunlich viele identische Wohnungen in Wien aus dieser Zeit und Erker sowie Balkone halten sich in grenzen. Der große Unterschied zu heutigen Regelgeschossen sind die Geschosshöhe (heute 2,50, früher 3 bis 3,80 Meter), der große Fensteranteil (kaum ein Zimmer mit nicht zwei großen Fenstern), die Fenstergröße (oft zwei Meter hoch mit Oberlichten) sowie eine fein abgestimmte Nuancierung zwischen den Geschossen. Dazu kommt ein echter Putz und nicht wie heute eine dünne Schicht auf Plastik aufgebracht. Die Bauordnung unterstützt über äußerst komplexe Berechnungsmodelle vielfältige Fassaden, die sich aus- und einstülpen und über die Geschosse hindurch variieren. Regelgeschosse hingegen begrenzen Vielfalt, erzeugen Homogenität und machen unsere Städte flach und flau. Regelgeschosse töten die Architektur! (Sabine Pollak, 19.12.2018)

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