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Im November wurde in Budapest gegen Viktor Orbáns Bildungspolitik demonstriert. Nun wird seit Tagen gegen das neue Arbeitszeitgesetz protestiert.

Foto: Reuters/BERNADETT SZABO

Wie organisiert das Geschlechterverhältnis unser Arbeitsleben, die Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit, welche Formen von Gewalt entstehen entlang von Geschlecht, oder allgemeiner: Wie ist die Welt durch Geschlecht geordnet? Damit befassen sich – unter anderem – die Gender-Studies. Für Kritiker und Kritikerinnen dieser Disziplin stellen sich deren Inhalte oft anders dar: Das Fach wolle die Unterschiede zwischen den Geschlechtern auslöschen, es sei ein Angriff auf die Familien und insgesamt eine höchst ideologische Angelegenheit.

Rechtspopulistische Parteien schießen sich bereits seit vielen Jahren auf den gemeinsamen Feind in der Wissenschaft ein. Gepaart mit verhöhnenden Begriffskreationen für das Fach – von "Genderismus" bis hin zu "Gender-Gaga"- sind Studierende und Lehrende der Geschlechterforschung regelmäßig mit Angriffen konfrontiert.

Einschränkung der Lehre und Forschung

Im August dieses Jahres zeichnete sich ein Höhepunkt dieser Attacken ab: Pläne wurden laut, dass die Gender-Studies in Ungarn verboten werden sollten. Schon im Oktober war es fix: Die Geschlechterforschung wurde aus der Liste der zugelassenen Masterkurse gestrichen. Die insgesamt vierzig Studierenden der betroffenen Studiengänge an der privaten Zentraleuropäischen Universität (CEU) – die aufgrund des politischen Drucks der ungarischen Regierung ihren Abzug aus Budapest bekanntgeben musste – und an der staatlichen Eötvös-Loránd-Universität (ELTE) können ihren Master noch abschließen.

Seit Bekanntwerden der Einstellung kritisieren Wissenschafter und Wissenschafterinnen dies als Einschränkung der Lehre und Forschung. Es sei ein "einmaliger Eingriff durch einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union in die akademische Freiheit", heißt es in einer Ankündigung zu einer Anhörung im November im Europäischen Parlament zur Lage der Geschlechterforschung in Ungarn und Europa.

Begründet wurde die Einstellung des Studienangebots mit einem zu geringen Interesse an den Studiengängen. Stimmt nicht, sagt Ulrike Auga von der Humboldt-Universität in Berlin. Gemeinsam mit Annette von Alemann (Universität Paderborn) war sie Rednerin bei der Anhörung.

Zahlreiche Bewerbungen

Mit dem Vorstoß gegen die Gender-Studies ziele man auf ein akkreditiertes und gut funktionierendes Masterstudienprogramm mit "konstant hohen Einschreibungen und internationaler Reputation" ab, kritisiert Auga das Vorgehen der Regierung Orbán. Die niedrige Zahl an Studienplätzen von zehn Studierenden an der ELTE ist eine Zulassungszahl, die die Regierung selbst festgelegt hat – und hat somit mit einem geringen Interesse nichts zu tun. Dieses ist sogar sehr groß: Allein für die 22 Plätze an der CEU gab es laufend mehr als 200 Bewerbungen, schreibt Andrea Petö, Professorin an der CEU.

"Niemand will Genderologen anstellen, deshalb braucht man auch keine auszubilden", so begründete Ministerpräsident Zsolt Semyén die geplante Einstellung der Masterstudiengänge. Geht es der Regierung also um den Schutz von Studierenden vor einem Fach, das eine brotlose Zukunft bringt? Für Studierende der ELTE kann man noch nichts über deren Erfolg am Arbeitsmarkt sagen, weil das Programm erst seit 2017 im Angebot war, sagt Eszter Kováts. Kováts ist in Budapest für das Ostmitteleuropa-Genderprogramm der Friedrich-Ebert-Stiftung zuständig.

Jene, die ihren Abschluss an der CEU gemacht haben, arbeiten in der Wirtschaft, Politik, Verwaltung oder Wissenschaft, weiß Kováts. Das zeigen auch die Verbleibsstudien für Absolventinnen und Absolventen der Gender-Studies an anderen Universitäten in Europa, hat Annette von Alemann herausgefunden.

Kováts bezweifelt aber ohnehin, dass es wirklich um mangelnde Jobchancen ging. Demnach müssten auch andere Studienfächer gestrichen werden, etwa Ungarische Literatur, meint Kováts.

Doch im Zuge der Schließung der Studiengänge wurden auch ideologische Gründe gegen die ihrerseits so oft als ideologisch bezeichnete Disziplin offen ausgesprochen: Geschlechterforschung untergrabe die "Fundamente der christlichen Familie". Klar ist, dass rechte Politik für ein traditionelles Geschlechter-, Familien- und Sexualitätsmodell steht, sagt Sabine Hark, Professorin an der TU Berlin. Darüber hinaus gehe es schlicht um ein politisches Kalkül. "Genderforschung, aber auch feministische Politik oder reproduktive Rechte – damit lassen sich die Massen bewegen", ist Hark überzeugt.

Männer und Frauen – fertig

Mit den Gender-Studies könne man leicht an den "gesunden Menschenverstand" appellieren. "Es gibt Männer und Frauen – das ist doch alles, was man wissen muss", so Hark. Gender-Studies dienten demnach als "politische Mobilisierungsarena".

Eine Arena, die auch die Alternative für Deutschland nicht unbespielt lässt. Die AfD stellt dort, wo sie in den Landtagen sitzt, eine Anfrage nach der anderen, erzählt Hark. Wie viel Geld gibt ein Bundesland für Geschlechterforschung aus, wer unterrichtet dort? Sind die Studiengänge akkreditiert? Letztendlich landen diese Anfragen bei den Lehrenden, die sich damit auseinandersetzen müssen. Eine Art Zermürbungstaktik, die auch gleichstellungspolitische und antirassistische Initiativen betreffe.

Besonders besorgniserregend für die Geschlechterforschung, auch abseits von Ungarn, sei die breite Allianz gegen die Disziplin, meint Hark. Sie reicht von der FPÖ über die deutsche CSU bis hin zum linken Spektrum. Freiheitliche Politiker sprechen etwa von "sinnlosen politischen Theorien" oder einer "pseudowissenschaftlichen Ideologie".

Im Regierungsprogramm der ÖVP/FPÖ-Regierung wurden zwar nicht direkt die Gender-Studies aufgegriffen, aber immerhin die "Verschiedenheit von Mann und Frau" festgeschrieben. Konkret wird man im Grundsatzprogramm der CSU. Dort steht, dass die Gender-Studies abgeschafft werden sollten. Und von linker, antideutscher Seite wird immer wieder der Vorwurf laut, die Gender-Studies würden islamistischen Terror verharmlosen. Auch in liberalen Zeitungen sind regelmäßig Polemiken gegen die Genderforschung zu lesen, kritisiert Hark auch die Medien.

Missverständnisse beseitigen

Wie schon im Jahr zuvor reagieren die Gender-Studies am 18. Dezember mit einem Aktionstag in Deutschland, Österreich und auch der Schweiz auf die Kritik. Dazu zählt etwa die Social-Media-Aktion #4GenderStudies, über die häufig geäußerte Einwände gegen die Geschlechterforschung gesammelt und beantwortet werden. "Die Gender-Studies ignorieren biologische Erkenntnisse" und "Der Gender-Pay-Gap besteht nun einmal, weil Frauen andere Berufe wählen, nicht weil sie diskriminiert werden" lauten etwa diese Einwürfe. Die Antworten darauf werden das eine oder andere Missverständnis auflösen können. Gegen die politische Agenda werden sie allerdings nichts ausrichten können (Beate Hausbichler, 19.12.2018)