Kommt es akut zu einer Erblindung, dann muss das Gehirn mit der Veränderung der Sinneswahrnehmungen erst einmal zurecht kommen. Was sich nach einem solchen einschneidenden Ereignis in der Großhirnrinde im Detail abspielt und welche Auswirkungen das auf die Gedächtnisleistung hat, haben deutsche Wissenschafter nun bei genetisch manipulierten Mäusen festgestellt.

Infolge des Erblindens werden andere Sinne empfindlicher: Der Tastsinn, das Gehör und der Riechsinn werden präziser. Damit können blinde Menschen sich genau orientieren und durch eine Umgebung navigieren, trotz fehlender visueller Informationen. Diese Adaptation braucht allerdings Zeit und Übung. Die Veränderungen werden durch die sogenannte synaptische Plastizität ermöglicht.

Der Begriff beschreibt die Fähigkeit des Gehirns, sich über das Kindesalter hinaus anzupassen und Erinnerungen zu bilden. Ob eine adaptative Reorganisation des Gehirns stattfindet, können Forscher anhand der Dichte von Neurotransmittern ermitteln, die für die synaptische Plastizität wichtig sind.

Veränderungen bei der Dichte der Neurotransmitter

Wissenschafter von der Ruhr-Universität Bochum untersuchten an Mäusen, was nach dem Erblinden im Gehirn passiert. Sie erfassten, in welchen Hirnbereichen sich die Dichte der für die Plastizität relevanten Neurotransmitter änderte, und verglichen die Ergebnisse mit den Gehirnen von gesunden Mäusen. Außerdem testeten sie, wie gut die erblindeten Mäuse mithilfe ihrer anderen Sinne in Orientierungstests abschnitten, um Rückschlüsse auf die Gedächtnisleistung der Tiere ziehen zu können.

Die im Fachjournal "Cerebral Cortex" präsentierten Ergebnisse zeigen, dass sich nach dem Erblinden die Dichte von Neurotransmitterrezeptoren im Hippocampus verändern, der wichtigsten Gedächtnisstruktur des Gehirns. In den folgenden Monaten wandelte sich die Dichte der Neurotransmitter auch im visuellen Cortex, in dem die Informationen des Sehsinns eingehen, und zusätzlich in den Arealen der Großhirnrinde, die die Informationen der anderen Sinne verarbeiten.

Kraftakt für das Gehirn

Die Orientierungsaufgabe forderte den Hippocampus der Mäuse. Die erblindeten Tiere schnitten erwartungsgemäß schlechter ab als die gesunden. Außerdem war die synaptische Plastizität im Hippocampus in dieser Zeit beeinträchtigt. "Unmittelbar nach dem Erblinden versucht das Gehirn, die fehlenden Signale zu detektieren, indem es seine Empfindlichkeit für visuelle Signale steigert", erklärt Denise Manahan-Vaughan, die die Studie geleitet hat.

Wenn das nicht gelingt, beginnt der Prozess der gesamten Reorganisation der sensorischen Areale, die durch Veränderungen der Dichte und Funktion von Neurotransmitterrezeptoren im Gehirn unterstützt werden. "Das ist anstrengend für das Gehirn, und während dieser Phase wird die Fähigkeit des Hippocampus, räumliche Erfahrungen zu speichern, offenbar erschwert", erklärt Manahan-Vaughan. (red, 25.12.2018)