Hark: "Es geht darum zu vermitteln, wie stark unsere alltägliche Welt durch Geschlecht organisiert ist."

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Spätestens seit Oktober 2018 steht fest, dass die massive Kritik – vorwiegend von rechter Seite – an der Geschlechterforschung sogar zu einem Verbot der Studienrichtung führen kann. Nach ersten Ankündigungen im Sommer wurde in Ungarn ein solches Verbot umgesetzt. Auch in Deutschland sehen sich GeschlechterforscherInnen mit immer mehr Vorurteilen und Boykottversuchen ihrer Forschungstätigkeit konfrontiert. Sabine Hark ist Professorin an der TU Berlin und engagiert sich mit anderen gegen drohende Einschränkungen von Forschung und Lehre.

STANDARD: Spüren Sie die laufenden Angriffe auf die Gender-Studies in Ihrer Arbeit?

Hark: Ich höre von Kolleginnen und Kollegen häufiger, dass Studierende in Seminaren fragen, ob es stimme, dass die Genderforschung ideologisch sei und sich nur mit dem Genderstern beschäftige. Man könnte sagen, dass es ja noch positiv ist, wenn Studierende mit diesen Fragen in ein Seminar kommen. Aber es zeigt eben auch, dass die Anwürfe, Gender-Studies seien Ideologie und nicht Wissenschaft, Wirkung zeigen.

STANDARD: Woher kommen die Angriffe?

Hark: Die Angriffe kommen aus den unterschiedlichsten politischen Richtungen, das ist erstaunlich. Das Spektrum reicht von weit rechts über die politische Mitte bis hin zu linken Kräften – offenbar taugen wir für viele als Projektionsfläche. Es gibt ständig etwas, worauf GenderforscherInnen reagieren müssen. Wenn wir alle diese Zeit, die wir für Klarstellungen, Erwiderungen oder die Abwehr von Angriffen aufwenden müssen, in unsere eigentliche intellektuelle Arbeit stecken könnten, dann wären wir noch viel produktiver.

STANDARD: Was antworten Sie Studierenden auf die Frage, ob die Gender-Studies ideologisch sind?

Hark: In meine Einführungskurse an der TU, die Mathematik- bis hin zu Philosophiestudierende besuchen, kommen viele mit dem Verständnis, dass es da nicht viel zu wissen gebe. Frauen und Männer gibt es, und das sei alles, was man darüber wisse müsse. Wir arbeiten in diesen Seminaren daher mit den Studierenden heraus, wo Geschlecht im Alltag, in der Interaktion, in der Wahrnehmung eine Rolle spielt und wie stark unsere Welt von Geschlechterbildern organisiert ist. Viele Studierende berichten dann, dass sie vor dem Semester nirgends Geschlecht gesehen haben – und dass sie es am Ende der Lehrveranstaltung gar nicht mehr nicht sehen können.

Erstmal geht es also nicht darum, den Studierenden zu vermitteln, Geschlecht soll so oder so sein, sondern zu zeigen, wie stark unsere alltägliche Welt durch Geschlecht organisiert ist. Es ist auch nicht einfach so, dass ein geschlechtlicher Körper entweder männlich oder weiblich ist und darauf dann eine bestimmte Identität erfolgt – es ist viel komplexer. Der Körper ist auch eine historische Konstruktion.

STANDARD: Worum geht es bei dem Verbot der Gender-Studies in Ungarn Ihrer Meinung nach?

Hark: Hinter dem rechten Angriff auf die Geschlechterforschung steckt ein politisches Kalkül, damit lassen sich leicht die Massen mobilisieren. Orbán fühlt sich nicht wirklich bedroht von den Leuten, die Gender-Studies studieren oder unterrichten, es ist in erster Linie ein Feld, auf dem Hegemonie gewonnen werden kann.

STANDARD: Halten Sie solche Schritte auch in Deutschland für möglich?

Hark: Auch im Grundsatzprogramm der CSU steht, dass die Gender-Studies abgeschafft werden sollten. Ich halte es deshalb nicht für ausgeschlossen, wenn auch nicht für wahrscheinlich. Sorgen macht mir auch die Allianz zwischen politischer Mitte und den Rechten bei dem Thema. (Beate Hausbichler, 19.12.2018)