Der Wiener Richtwert, der niedriger als in den meisten anderen Bundesländern ist, sorgt seit Jahren für Diskussionen.

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Kommendes Jahr wird das Richtwertsystem 25 Jahre alt. Zu feiern wird es aber nichts geben, eher im Gegenteil: Wiener Zinshausbesitzer, angeführt von Kaspar Erath, bringen im Jänner eine Staatshaftungsklage gegen die Republik ein. Darin wird Schadenersatz für erlittenes "legislatives Unrecht" verlangt. Die unterschiedlichen Höhen der Richtwerte je nach Bundesland sehen Erath und sein Anwalt Wolfram Proksch als Diskriminierung.

"Fehlverhalten des Gesetzgebers"

An der genauen Formulierung der Klage wird noch gearbeitet. Auch die eingeklagte Schadenshöhe steht noch nicht fest. Im Wesentlichen wird aber ein "Fehlverhalten des Gesetzgebers" beklagt werden, so Proksch. Dieses sieht man unter anderem darin manifestiert, dass es nicht möglich sei, als Wiener Zinshausbesitzer "einen Mindestgewinn zu erwirtschaften, wenn man sich an die Gesetze hält".

Vor allem im Zusammenspiel mit der Fremdfinanzierung einer umfassenden Sanierung eines Zinshauses sei dies mit dem Wiener Richtwert unmöglich. Banken würden nur Finanzierungen gewähren, wenn die Wohnungen später nicht unbefristet, sondern nur befristet vermietet werden – um wenigstens irgendwann "Zugriff" darauf zu haben, falls die betreffende Wohnung an die Bank fallen sollte. Allerdings sei dann eben der im Altbau geltende Befristungsabschlag von 25 Prozent zu gewähren, und damit beträgt der Hauptmietzins (ohne mögliche Zuschläge) nur noch 4,19 Euro statt 5,58 Euro pro Quadratmeter.

"Sanierungspflicht" über Umwege

Generell lasse das Richtwertgesetz "zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben", so Proksch, der seine rechtliche Argumentation auch auf der Grundrechtecharta der EU aufbaut, die unter anderem Eigentums- und Erwerbsfreiheit und ein Diskriminierungsverbot festschreibt. Aus der EU-Energieeffizienzrichtlinie wiederum leiten Erath und Proksch eine Art "Sanierungspflicht" ab, die sich aber auch aus der Judikatur zum heimischen Mietrecht und aus der Wiener Bauordnung ergebe. Eine unsanierte Wohnung sei de facto nicht mehr zu vermieten, denn vorher sei zumindest die gesamte Elektrik auf den aktuellen Stand zu bringen, was sehr teuer sei; "und sobald man ein Viertel der Fassade angreift, ist auch eine gesamte Fassadensanierung fällig", so Proksch. Mit einem Wort: Das teure Sanieren könne durch die Mieten nicht zurückverdient werden.

Klagen 2016 und 2017

Erath, Wiener Hausbesitzer mit Vorarlberger Wurzeln, hat schon 2016 gegen den niedrigen Wiener Richtwert (sowie das Lagezuschlagsverbot im Gründerzeitviertel und den Befristungsabschlag) eine Verfassungsbeschwerde eingebracht, eine weitere 2017. Die erste wurde vom VfGH aus formalen Gründen zurückgewiesen, beim zweiten Mal erfolgte dies auch mit einer inhaltlichen Begründung: Der Gleichheitsgrundsatz verbiete zwar sachlich nicht begründbare Regelungen; innerhalb dieser Schranken sei der Gesetzgeber aber frei, seine politischen Zielvorstellungen zu verfolgen, so der VfGH im Juli 2017. Mit der Festsetzung der Richtwerte habe der Gesetzgeber seinen "rechtspolitischen Gestaltungsspielraum" nicht überschritten.

Erath gibt sich aber weiterhin nicht geschlagen. "Die Frage der Diskriminierung war bisher nämlich kein Thema." Vor 1994 habe man österreichweit einheitliche Spielregeln gehabt, mit der Einführung des Richtwertgesetzes wurden dann aber länderweise unterschiedliche Basismieten (eben die Richtwerte) eingeführt. Die Personal- und Materialkosten seien aber überall dieselben, so Erath.

Gesetz gegen Auswüchse des Kategoriemietensystems

Eingeführt wurde das Richtwertsystem 1994 eigentlich, um für gerechtere Mieten zu sorgen und die Auswüchse des bis damals geltenden Kategoriemietensystem einigermaßen wieder einzufangen. Seither gelten länderweise unterschiedliche Richtwerte als Basismieten; in Wien sind es derzeit beispielsweise 5,58 Euro, in der Steiermark 7,70 Euro, in Vorarlberg 8,57 Euro.

Die Festlegung der Richtwerte im Jahr 1994 wurde von den Ländern teils höchst unterschiedlich gehandhabt, deshalb kam es auch zu den angeführten hohen Differenzen. Ein Beirat, der die Höhe der jeweiligen Richtwerte regelmäßig evaluieren hätte solle, wurde unter der ersten schwarz-blauen Regierung im Jahr 2006 endgültig aufgelöst. Man war nämlich der Meinung, dass die Richtwerte mittlerweile "nicht nur in den betroffenen Bevölkerungskreisen, sondern auch aufseiten der Politik allgemeine Akzeptanz erfahren" würden. So stand es im Deregulierungsgesetz 2006, mit dem die Beiräte abgeschafft wurden (was damals auch als Sparmaßnahme verkauft wurde). Schon sechs Jahre zuvor war mit der Wohnrechtsnovelle 2000 diese ursprünglich vorgesehene Korrekturmöglichkeit der Richtwerte erheblich eingeschränkt worden.

Inflationsanpassung im April

Seither werden die Richtwerte nur noch regelmäßig an den Index angepasst (was kommenden April wieder der Fall sein wird), die Verhältnisse ändern sich nicht. Das wurde lange Zeit akzeptiert; von SPÖ-nahen Wohnrechtsexperten wird gerne darauf hingewiesen, dass es noch in den Nullerjahren einige Stellungnahmen des WKÖ-Fachverbands der Immobilientreuhänder gab, in denen das Richtwertsystem ausdrücklich gutgeheißen wurde.

Nun hat sich das aber geändert. Die Marktmieten in nach 1945 errichteten Bauten liegen in vielen Gegenden Wiens weit über dem Richtwert, was die Absurdität mit sich bringt, dass in ästhetisch wie energetisch suboptimalen Bauten der 60er- und 70er-Jahre mehr verlangt werden darf als in einem daneben liegenden Gründerzeithaus. Und dass in Graz auch viel höhere Hauptmietzinse als in Wien verlangt werden dürfen, bringt die Hausbesitzer zusätzlich auf die Palme. (Martin Putschögl, 28.12.2018)