Die Gegenwart ist Fight Club.

Foto: Imago/Christian Grube

Neulich hat mein halbwüchsiger Sohn mich mit leuchtenden Augen gefragt, ob ich mich schon mal geprügelt habe. Also richtig mit Schlägen und Verletzungen ohne Spaß. Mit Blut und auf der Straße. Vermutlich hat er erwartet, dass ich irgendeinen für ihn uncoolen Elternspruch darüber bringe, dass Gewalt nicht in Ordnung ist und ich mich niemals schlagen würde. Vielleicht hat er insgeheim sogar gehofft, dass ihm sein noch nicht ganz so alter Vater eine Splattergeschichte zu seinen Battle-Rap-Fantasien liefert: "Echte Gangster tanzen nicht, echte Gangster punchen dich."

Es lief dann aber doch ein bisschen anders ab. Nach einigem Überlegen erzählte ich ihm von einem meiner beschämendsten Momente – wie ich als Jugendlicher bei einer Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen die Kontrolle verloren und jemanden schlimm verletzt habe. Alles, was ich an Anstand, Benehmen und Moral verinnerlicht zu haben glaubte, wurde für einen Moment von einem überwältigenden Gefühl der Wut ausgelöscht.

Ein Moment hat gereicht. Das verfolgt mich noch heute. Genauso wie die Situationen, in denen ich selbst Opfer von Gewalt durch andere geworden bin. Auch darüber habe ich meinem Sohn bei dieser Gelegenheit erzählt. Das schien ihm blutig genug, aber zugleich schwer verdaulich zu sein. Dass ich mich auch in der Situation, in der ich mich körperlich so eindeutig durchgesetzt habe, nicht als Gewinner betrachtet habe, fand er schwer nachvollziehbar. Dass ich Gewalt erfahren habe, einigermaßen erschütternd.

Die Gegenwart ist Fight Club

Trotzdem war es ein Gespräch, das ich nicht missen möchte. Denn ich stelle privat und beruflich immer wieder fest: Darüber spricht Mann nicht. Zum Beispiel wenn ich als Referent zum Thema "Männer und Feminismus" sprechen darf und in rückblickend geradezu rührender Naivität davon überrascht werde, dass von den 30 anwesenden Männern mehrere mit den Tränen kämpfen.

Einfach nur, weil ich über meine Vision einer Gesellschaft rede, in der wir Feminismus endlich mal durchgespielt haben und es eben auch Männern möglich wäre, über ihre Gewalterfahrungen zu sprechen, ohne dabei ihre Geschlechtsidentität abgesprochen zu bekommen. In der man sie nicht auslacht, weil sie auch als Erwachsene noch an Panikattacken leiden, wenn sie in eine U-Bahn steigen, weil das in ihrer Jugend ein Ort wiederholter Erniedrigungen und Schmerzen durch Mitschüler war. In der man ihnen glaubt, wenn sie berichten, dass ihre sehr viel kleinere Ehefrau ihnen die Hände zerkratzt und ins Gesicht schlägt. In der sie sich nicht zum unantastbaren Helden ihrer Gewaltbiografie stilisieren müssen oder eben so tun, als hätte es diese Gewalt nie gegeben.

Die Gegenwart sieht anders aus. Die Gegenwart ist Fight Club. Entweder ist Mann draußen und tut so, als gäbe es ihn nicht, oder Mann ist drinnen, haut anderen auf die Fresse und bekommt seinerseits die Fresse poliert. Alles im Dienste der Männlichkeit natürlich. Einer sehr knappen Ressource, wenn man den Propheten und Handlangern des völkischen Nationalismus Glauben schenken will.

STEEL STUFF

Männlichkeit gleich Mannhaftigkeit gleich Wehrhaftigkeit. In dieser einfältigen Sehnsucht nach männlicher Dominanz hat die Vorstellung, dass Gewalt grundfalsch sein und Männer neben Tätern auch zu Gewaltopfern machen könnte, keinen Raum. Wenn Hilflosigkeit, Schwäche, Passivität oder auch das Verzweifeln an der eigenen Aggressivität unmännlich sind, dann fehlt Männern jedwede Substanz, um mit ihrem tatsächlich Erlebten die Kriterien eines Gewaltopfers zu erfüllen. Dann können sie maximal "rumopfern", also sich selbst als Gewaltopfer inszenieren, obwohl sie es nicht sind und qua Geschlecht ja auch nicht sein können.

Schluss mit "mimimi"

Jeder Versuch, seine Stimme zu erheben, erntet so ein "Mimimi". Jeder Hinweis darauf, dass man verletzt und verunsichert ist, kassiert ein "Heul doch". Immer noch gilt, dass Mann sich nicht schlagen lässt. Und falls doch, schlägt er zurück. Echte Männer werden höchstens Opfer von Verrat, Betrug und Feminismus. Und deshalb ist es höchste Zeit, der Aufforderung, die Hände zum Schlagen hochzureißen, nicht mehr nachzukommen, und über all die Momente zu reden, in denen Mann die Hände gefälligst herunterzunehmen hatte, damit jemand ihm ungestört ins Gesicht schlagen konnte. Denn solange Männlichkeit scheinbar zwingend mit Gewalt verknüpft ist, so lange läuft gewaltig etwas schief. (Nils Pickert, 6.1.2019)