Falschfarbenaufnahme von Ceres, dem größten Objekt im Asteroidengürtel. Für kurze Zeit dachte man, es handle sich dabei um den unbekannten Planeten, der sich aus der Titius-Bode-Reihe ergibt.

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Ausgangspunkt für diesen Irrtum war eine Formel des Gelehrten Johann Daniel Titius (1729–1796). 1998 wurde ein Asteroid nach ihm benannt.

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Der sizilianische Astronom Giuseppe Piazzi war wohl kein Freund ausschweifender Silvesterpartys. Am 1. Jänner 1801 war er auf jeden Fall schon wieder bei seiner nächtlichen Arbeit und beobachtete den Himmel. Höchst erfolgreich noch dazu, denn er entdeckte einen bislang unbekannten Himmelskörper.

Es war allerdings eine Entdeckung mit Ansage. 1766 entwickelte der deutsche Astronom Johann Daniel Titius eine mathematische Formel, mit der sich die Abstände der damals bekannten Planeten von der Sonne beschreiben ließen. So unbekannt wie Titius selbst blieb auch seine Formel – bis sie Johann Elert Bode, der deutlich prominentere Direktor der Berliner Sternwarte, entdeckte und 1772 in einem seiner eigenen Bücher ("Anleitung zur Kenntnis des gestirnten Himmels") veröffentlichte.

Scheinbare Vorhersagekraft

Die nun "Titius-Bode-Reihe" genannte Formel war erstaunlich exakt und beschrieb die Position der Planetenbahnen im Sonnensystem sehr genau. Noch beeindruckter waren die Astronomen, als der 1781 entdeckte Planet Uranus ebenfalls perfekt in die Reihe von Titius und Bode passte. Es gab nur einen kleinen Schönheitsfehler: Die ganze Sache funktionierte nur, wenn man von der Existenz eines Planeten zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter ausging.

Dort aber war kein Planet, zumindest keiner, der den Astronomen bekannt war. Geleitet von der scheinbaren Vorhersagekraft der Titius-Bode-Reihe, machte man sich aber nun daran, das zu ändern. Unter der Führung des österreichischen Astronomen Franz Xaver von Zach wurde 1800 beschlossen, eine internationale Initiative zu gründen: die "Himmelspolizei". Ihre Aufgabe sollte die systematische und weltweit koordinierte Durchsuchung des Himmels sein, um den fehlenden Planeten zwischen Mars und Jupiter endlich zu finden.

Irritierender Entdeckungsreigen

Giuseppe Piazzi machte der Arbeit der Himmelspolizei aber einen Strich durch die Rechnung. Noch bevor man ihn offiziell zur Mitarbeit einladen konnte, hatte er am Neujahrstag 1801 den gesuchten Planeten schon entdeckt. Er wurde Ceres genannt, und für einen kurzen Moment war alles in Ordnung am Himmel. Doch nur ein Jahr später entdeckte der deutsche Astronom Heinrich Wilhelm Olbers einen weiteren Planeten. Pallas war sein Name, und auch er befand sich zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter.

Das war nun ein wenig verwirrend. Man hatte einen neuen Planeten gesucht – und zwei gefunden. Olbers hatte die schöne Titius-Bode-Reihe komplett durcheinandergebracht. 1804 wurde auch sein Kollege Karl Ludwig Harding zum Spielverderber: Auch er fand einen Planeten, und Ceres und Pallas mussten sich nun den Raum zwischen Mars und Jupiter mit Juno teilen. Drei Jahre später legte Olbers noch einmal nach und erspähte mit Vesta einen weiteren unerwarteten – und unerwünschten – Planeten.

Das Sonnensystem, das über Jahrtausende nur aus den klassischen Planeten Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter und Saturn bestand, hatte nun innerhalb weniger Jahrzehnte ordentlich Zuwachs bekommen: Uranus, Ceres, Pallas, Juno und Vesta wurden Teil der Planetenfamilie – und die Astronomen wurden skeptisch. Abgesehen davon, dass das viel mehr Planeten waren, als man eigentlich haben wollte, waren diese Planeten auch irgendwie viel kleiner, als es Planeten sein sollten.

Zerstörter Phaeton

Genaue Daten hatte man damals natürlich noch nicht, aber aus ihren Helligkeiten konnte man abschätzen, dass sie nur einige hundert Kilometer groß waren. Und die Sache wurde nicht besser. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fand man immer mehr dieser komischen Himmelskörper. Schließlich rang man sich dazu durch, diese Objekte nicht mehr als Planeten zu bezeichnen, sondern eine neue astronomische Klasse einzuführen: die Asteroiden.

Die Titius-Bode-Reihe wollte man trotzdem nicht aufgeben. Heinrich Wilhelm Olbers, der damals mit der Entdeckung von Pallas alles durcheinandergebracht hatte, legte nun eine Idee vor, wie das gelingen könnte. Er hielt Ceres, Pallas, Juno und Vesta für Bruchstücke eines zerstörten Planeten. Damit wäre einerseits die große Anzahl an Himmelskörpern zwischen Mars und Jupiter erklärt, andererseits auch die Titius-Bode-Reihe gerettet gewesen. Wie genau dieser Phaeton genannte Planet kaputtgegangen sein sollte, konnte Olbers zwar auch nicht sagen. Irgendeine Kollision oder eine andere Katastrophe vielleicht, aber auf jeden Fall war der Planet am Ende kaputt.

Das war prinzipiell keine völlig dumme Idee. Himmelskörper können kollidieren, und sie können dabei auch zerstört werden. Falsch war Olbers' Hypothese trotzdem. Im Verlauf der nächsten Jahrzehnte entdeckten die Astronomen immer mehr Asteroiden, und mittlerweile hat man alle halbwegs großen Brocken gefunden, die da zwischen Mars und Jupiter herumfliegen. Und man weiß, dass die Gesamtmasse des Asteroidengürtels nur etwa vier Prozent der Masse des Erdmonds beträgt. Die eine Hälfte verteilt sich auf Ceres, Pallas, Juno und Vesta, die andere Hälfte auf die Milliarden kleinerer Brocken. Insgesamt ist das also deutlich zu wenig für einen vernünftigen Planeten.

Pseudowissenschaftliche Mär

Im 20. Jahrhundert verstand man dann auch, wie Planeten entstehen. Alles beginnt mit Gas und Staub und ballt sich Schritt für Schritt zu immer größeren Objekten zusammen. Die Asteroiden sind eine Zwischenstufe auf dem Weg zum Planeten – sie sind das Material, das es nicht ganz geschafft hat. Im Fall des Sonnensystems war es der sehr schnell wachsende Jupiter, der mit seiner störenden Gravitationskraft jede Menge Baumaterial aus seiner Umgebung entfernt und die Zusammenballung verhindert hat.

Der Asteroidengürtel ist also kein Planet. Der Asteroidengürtel ist das, aus dem kein Planet geworden ist. Phaeton hat es nie gegeben (auch wenn der fiktive Himmelskörper bei Esoterikern und Pseudowissenschaftern weiterhin sehr beliebt ist als untergegangene Heimat diverser Aliens). Und die Titius-Bode-Reihe war eine mathematische Fantasie. Die Astronomen der damaligen Zeit sind der Verlockung der Formeln erlegen.

Theorie verworfen

Nur weil man ein Phänomen mit einer mathematischen Gleichung beschreiben kann, folgt daraus nicht, dass dieses Modell auch mit der Realität identisch sein muss. Wenn die Abweichungen zwischen Mathematik und Natur zu groß werden, kann man zuerst noch versuchen, das Modell ein wenig anzupassen. Genau das hatten Olbers und seine Kollegen probiert, als sie Phaeton ins Feld führten, um aus vielen unpassenden Datenpunkten einen passenden zu machen.

Aber wenn die Abweichungen zu groß werden (was spätestens 1846 mit der Entdeckung des überhaupt nicht mehr ins Schema passenden Neptun passierte), bleibt nichts anderes übrig, als den Irrtum zu erkennen und das Modell zu entsorgen. Was die Astronomen ja zum Glück auch getan haben. (Florian Freistetter, 30.12.2018)