Morteza Tavakoli steckte im Polizeikessel.

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STANDARD: Sie wollten beim Wiener Fußballderby einen "gemütlichen Sonntag" verbringen. Warum um alles in der Welt schließt man sich da einem Fanmarsch an?

Tavakoli: Ich war mit Freunden verabredet, um gemeinsam aufs Match zu gehen. Auf dem Marsch wird man von der Polizei eskortiert. Es schien die sicherste Variante zu sein, um zur Generali-Arena zu kommen. Eine Pufferzone, in der es keine Zusammenstöße geben kann.

STANDARD: Sie gehören keiner organisierten Fanszene an. Aus welchen Leuten setzt sich ein Marsch zusammen?

Tavakoli: Ich war mit Leuten aus der Pädagogik, aus der Kunstszene dort. Man trifft Menschen aus allen sozialen Schichten. Bis hin zu Businessleuten und Anwälten. Gerade in Zeiten, wo ständig getrennt und gehetzt wird, ist es gut, dass es einen Ort gibt, wo sich Menschen begegnen.

STANDARD: Trotzdem ist so ein Marsch kein Lesezirkel. Auf Videos wirkt das Szenario mitunter bedrohlich. Ist es das auch?

Tavakoli: Da entsteht ein falscher Eindruck. Als wären nur Rabauken dabei. Wenn das 1300 gewaltbereite Fans gewesen wären, hätte Wien heute einen Bezirk weniger. Solche Märsche gibt es weltweit in jeder Liga, in jeder Stadt.

STANDARD: Bei Rapid kommt aber haufenweise Pyrotechnik zum Einsatz, manche Fans sind vermummt. Das ist nicht gerade vertrauenserweckend.

Tavakoli: Die Beamten waren teils auch vermummt, aggressiv und beleidigend zu Menschen, die sich unauffällig verhalten haben. Die österreichische Regierung legt ja viel Wert auf Tradition. Pyrotechnik hat in der Fußballkultur auch ihre Tradition. Jetzt wird mit dem Finger auf die Fans gezeigt. Das sind aber dieselben, die drei Tage zuvor einer Organisation für herzkranke Kinder 82.300 Euro überreicht haben.

STANDARD: Sie haben das Verhalten der Exekutive auf Facebook scharf kritisiert, sprachen von Zuständen "wie im Iran". Ist das nicht stark zugespitzt?

Tavakoli: Es ging um eine Machtdemonstration. Die Polizei wollte beweisen, dass sie am längeren Ast sitzt. Man hat die Anwesenden dehydrieren lassen. Männer mussten sich zu einer Mauer formieren, damit Frauen dahinter ihre Notdurft verrichten konnten. Das ist unterste Schublade, das ist menschenunwürdig.

STANDARD: Wie haben Sie die Reaktionen auf Ihren Augenzeugenbericht wahrgenommen?

Tavakoli: Unterschiedlich. Im Forum auf krone.at ist zu lesen, ich solle doch wieder in den Iran zurückgehen. Ich solle gefälligst ruhig seien, wenn ich mit diesem Mob mitgehe. Andere haben sich bei mir bedankt.

STANDARD: Einer der Slogans der Fanszene lautet "All Cops Are Bastards". Was halten Sie von solchen Sprüchen?

Tavakoli: Eine Verallgemeinerung ist nicht angebracht. Wenn man sieben Stunden angehalten und wie ein Verbrecher behandelt wird, macht man sich aber Gedanken. Die Polizei züchtet ihre Gegner, da braucht es gar keine Fangesänge.

STANDARD: Nichtsdestotrotz: Das Bewerfen der Autobahn hat einen Polizeieinsatz notwendig gemacht.

Tavakoli: Ein No-Go, das kann fatal enden. In dem Ausmaß, wie es von der Polizei beschrieben wurde, konnte ich allerdings keine Wurfgeschosse wahrnehmen.

STANDARD: Werden Sie Fanmärsche in Zukunft meiden?

Tavakoli: Ich lasse mich nicht abschrecken. Ich bin froh, dass ich dabei war, auch wenn es eine Tortur war. Damit ich erzählen kann, was aus meiner Sicht passiert ist. Es braucht mehrere Blickwinkel.

STANDARD: Was ist eigentlich die größere Tortur: ein Polizeikessel oder das Spiel von Rapid?

Tavakoli: Der Kessel. Wenn eine 1:6-Niederlage zur Nebensache wird, kann man sich vorstellen, wie schlimm es war. So etwas darf in einem Rechtsstaat nicht passieren. Es hat nur noch die berittene Polizei gefehlt. (Philip Bauer, 20.12.2018)