Schon wieder Angelobung? Noch nicht, aber Alexander Van der Bellen empfing mit Sofie Kranewitter, Mati Randow, Julian Endlicher und Aleyna Oğuz (v. li.) die nächste Generation potenzieller Regierungsmitglieder und Staatsoberhäupter in der Präsidentschaftskanzlei.

Foto: Heribert Corn www.corn.at

Julian Endlicher.

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Aleyna Oğus.

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Sofie Kranewitter.

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Mati Randow.

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Van der Bellen: Ich spiele hier Moderator, was für mich eine völlig ungewohnte Rolle ist, weil meistens werde ich etwas gefragt. Also: Eines der großen Themen, die uns beschäftigen, ist die Klimaveränderung. Wie sehen Sie denn das? Ist das ein Thema?

Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Gespräch mit Sofie Kranewitter, Mati Randow, Julian Endlicher und Aleyna Oğus.
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Kranewitter: Ich habe einen Ausbildungsschwerpunkt, der heißt ökologisch orientierte Unternehmensführung, da reden wir viel über Umwelt und Klimawandel, und ich denke, dass die Politik nicht genug tut.

Van der Bellen: Spüren Sie den Klimawandel? Was sehen Sie?

Endlicher: Klimawandel spüren? Schwierige Frage. Es ist jedenfalls ein sehr präsentes Thema, auch auf Social Media, aber ich weiß nicht, ob man das am Wetter so direkt ablesen kann. Man kann als Land und als Einzelperson jedenfalls immer mehr tun.

Van der Bellen: Wo zum Beispiel?

Endlicher: Auf jeden Fall sollte man mehr Fokus setzen auf erneuerbare Energien und die Frage, wie wir unsere Ressourcen jetzt verbrennen und was wir auf unserem Planeten damit anrichten und zerstören.

Van der Bellen: Fahren Sie ein Auto?

Endlicher: Nein, ich hab keinen Führerschein und werde ihn vermutlich auch nicht machen.

Van der Bellen: Ah, echt?

Endlicher: Öffis in Wien sind super.

Van der Bellen: Ja, in Wien braucht man eh kein Auto. Ich frage deswegen, weil in meiner Jugendzeit, sobald man 18 war, Führerschein irgendwie Pflichtprogramm war.

Kranewitter: Für die meisten, ja.

So kennt man ihn: Auch als Moderator lässt sich Alexander Van der Bellen Zeit. Viel Zeit. Sehr viel Zeit. Zum Fragenstellen. Zum Überdenken der Antworten der Jugendlichen. Zum Selbst-Antworten. Aber auch zum Lachen, denn es war – wie im Protokoll sichtbar – auch eine heitere Begegnung in der Hofburg. Inklusive kleiner Schmunzelepisoden aus dem etwas privateren Alltag des Staatsoberhaupts. Die aber bleiben, wie es sich gehört, "im Off".

Randow: Meine Schule hat einen Umweltschwerpunkt. Das Thema kommt eigentlich in fast allen Fächern, in denen es geht, vor. In Geografie, wenn wir über Gletscher reden, in Deutsch als Schularbeitsthema, aber trotzdem kommt es bei vielen Schülerinnen und Schülern noch nicht an.

Van der Bellen: Und warum?

Randow: Viele sagen halt: Irgendwann sterben wir alle, also machen wir das Beste draus. Das ist nur nicht unbedingt hilfreich für das Gemeinwohl.

Van der Bellen: Das stimmt aber: Irgendwann sterben wir alle, schwer zu bestreiten. Aleyna, mit Ihnen habe ich etwas gemeinsam. Wir haben beide einen sogenannten Migrationshintergrund. Ich bin wie Sie auch in Wien geboren, dann in Tirol im Kaunertal aufgewachsen, aber meine Eltern waren keine Österreicher. Wie man sieht, schließt das nicht aus, dass man Bundespräsident wird.

Oğuz: Der Weg ist offen.

Van der Bellen: Ist das für Sie in der Schule oder im Beruf ein Thema, wie man zusammenlebt mit unterschiedlichen Nationen, unterschiedlicher Herkunft, oder ist das einfach selbstverständlich?

Oğuz: Es ist schon ein Thema. Unser Team in der Küche ist gemischt. Viele aus Deutschland, die sagen, hier sind die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung als Koch oder Köchin viel besser.

Van der Bellen: Und sonst, abgesehen davon, dass wir eine deutsche Immigration haben?

Oğuz: Sie meinen, dass ich türkische Wurzeln habe? Oder wenn's um Muslime geht? Da rede ich schon manchmal mit.

Van der Bellen: Werden Sie da direkt gefragt? Sie tragen offensichtlich kein Kopftuch ...

Oğuz: Ja, ich höre schon manchmal: Warum trägst du kein Kopftuch, musst du das nicht tragen etc. Dann sage ich, ich muss es nicht, nur wenn ich es machen will, dann mache ich es. Aber ich werde von niemandem dazu gezwungen. Ich entscheide frei.

Van der Bellen: Mir persönlich wär's egal, ob Sie eines tragen oder nicht. An der ETH Zürich, einer der besten Universitäten der Welt, hat eine Professorin einmal zu mir gesagt: Ist nicht wichtiger, was man im Kopf statt was man auf dem Kopf hat? – Aber es ist nicht aggressiv nach dem Motto: Wir haben genug Türken hier?

Oğuz: Nein, eher Neugier. Mich stört's nicht, wenn ich darauf antworte, dann verstehen es alle. Aber manche Sachen treffen einen wirklich, und das wird auch in der Familie besprochen, das verletzt uns. Zum Beispiel dieses E-Card-Video mit "Ali", das die FPÖ im Internet verbreitet hat.

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Van der Bellen: Wie ist das eigentlich – Sie beide, Aleyna und Julian, stehen in Ausbildung und wissen jedenfalls im Moment, was Sie werden wollen: Köchin und Koch. Was ist bei Ihnen, Sofie, nach der HAK?

Kranewitter: Ich sage gern ironisch: Die HAK hat mich gelehrt, dass ich nicht vorrangig in die klassische Wirtschaft gehen möchte.

Van der Bellen: Aha. Interessant.

Kranewitter: Ich interessiere mich sehr für Nachhaltigkeit und überlege, in diese Richtung zu gehen. Psychologie interessiert mich auch, vielleicht in Bezug auf Kaufverhalten. Aber so richtig wirtschaftlich, nur Gewinn und die Menschen dahinter vergessen ...

Van der Bellen: Muss man ja auch nicht.

Kranewitter: Ja, aber das passiert halt sehr oft in unserer Wirtschaft, vor allem auch in unserem Konsum. Wenn wir zum Beispiel Sachen bei großen Ketten kaufen, den billigen Preis und die schöne Verpackung sehen, und die Leute dahinter vergessen.

Van der Bellen: Es gibt auch spannende Unternehmen, die nachhaltig arbeiten. Und Mati, haben Sie schon Vorstellungen? Also ich hatte keine mit 14 ...

Randow: Es klingt ein bisschen kitschig, aber irgendetwas, wo man was verändern kann. Was das dann genau ist, wird sich ergeben. Aber mich würde es natürlich freuen, wenn ich mein Interesse für Journalismus und Politik irgendwie einbauen könnte.

Van der Bellen: Aha. Sie machen ja schon eine Schülerzeitung?

Randow: Schüler_innenzeitung.

Van der Bellen: Okay, Schüler_innenzeitung. Das hab ich wieder notwendig gehabt. (lacht)

Randow: Wir sind ja auch eine Gender-Schule. Wir haben die Schwerpunkte Gender, Umwelt und Soziales, da ist es irgendwie selbstverständlich.

Van der Bellen: Schicken Sie mir ein Exemplar. Früher, das ist so lange her, wurde nicht so gern gesehen, dass man Eigeninitiative entfaltet. Apropos: Drei von Ihnen sind wahlberechtigt. Werden Sie nächstes Jahr bei der EU-Wahl wählen?

Endlicher: Ja, ganz sicher. Ich entscheide nach Themen, die mich persönlich ansprechen, wie bei meiner ersten Wahl.

Van der Bellen: Waren Sie beim letzten Mal schon wahlberechtigt?

Endlicher: Nicht bei der EU-Wahl, aber bei Ihrer Wahl sozusagen.

Van der Bellen: 2016. Hm. Na gut, da war's leicht. (Alle lachen)

Endlicher: Es war tatsächlich eine leichte Entscheidung.

Oğuz: Ich wähle, wen, weiß ich noch nicht.

Van der Bellen: Spielt das eine Rolle für Sie, ob der Spitzenkandidat einer Partei ein Mann oder eine Frau ist?

Oğuz: Eigentlich nicht, aber es würde mich schon freuen, wenn noch mehr Frauen in die Politik kommen.

Kranewitter: Ich werde definitiv wählen. Wen, hängt davon ab, wer meine Ansichten am besten vertritt und welche Themen angesprochen werden. Ich habe da bei der letzten Wahl, die meine erste war, sehr viel Zeit hineininvestiert und mich wirklich über alle Parteien schlaugemacht. Wir haben in politischer Bildung die Programme der größten Parteien in Österreich durchbesprochen, und die ganzen kleinen Listen oder Parteien habe ich selber recherchiert.

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Nach einer Stunde deutete Alexander Van der Bellens Pressesprecher vorsichtig auf die Uhr, wartete im eng getakteten Kalender des Bundespräsidenten doch schon der nächste Termin vor der berühmten roten Tapetentür. Vorher galt es aber noch etwas Wichtiges zu erledigen: Selfies mit VdB. Selfies mit der Jugend. Denn Bilderhunger ist alterslos. Und natürlich ist auch @vanderbellen auf Instagram.

Van der Bellen: Was wollten Sie den Bundespräsidenten leibhaftig immer schon fragen?

Oğuz: Wie sehen Sie die politische Lage in Österreich momentan?

Van der Bellen: Wir haben ein etwas komplizierteres Verhältnis als früher zwischen Bundespräsident und Bundesregierung. Meine Wähler und die der Koalition haben sich überschnitten, das ist mathematisch gar nicht anders möglich. Die wirtschaftliche Lage ist ganz gut seit ein, zwei Jahren. Schauen wir die letzten 100 Jahre zurück: Wir hatten auch in der Vergangenheit zwischen Rot und Schwarz sehr aggressive Auseinandersetzungen. Man muss nicht alles sofort auf die Goldwaage legen.

Kranewitter: Denken Sie, dass die österreichische Politik in der Umweltpolitik genug tut?

Van der Bellen: Nein, sicher nicht, weltweit nicht. Wenn wir so weitermachen, werden wir bei drei oder mehr Grad Celsius enden. Der alpine Raum ist nach den bisherigen Erfahrungen ungefähr doppelt so stark betroffen. Wir haben dann sechs Grad mehr, und es macht einen Unterschied, ob man im Sommer 35 oder 41 Grad hat.

Randow: Es gibt ja vor allem, aber nicht nur in der FPÖ, immer wieder antisemitische Vorfälle. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass Antisemitismus, nicht nur hier, wieder in den Mainstream kommt?

Van der Bellen: In Österreich halte ich es derzeit nicht für ein großes Problem, weil der Antisemitismus hierzulande wirklich weitestgehend tabuisiert ist, auch wenn es immer wieder Vorfälle, Pöbeleien gibt. Was eine Gefahr ist, ist, dass irgendeine Minderheit – früher waren das vor allem die Juden – herausgegriffen wird als Sündenbock für alles Mögliche. Diskriminierung und Benachteiligung von Minderheiten gibt es auch in Österreich.

Endlicher: Inwiefern halten Sie den immer stärker und gruseliger werdenden Rechtsdrall der meisten Regierungen in Europa, aber auch weltweit für ein Problem?

Van der Bellen: Ja, wenn's so weitergeht, wird uns das ordentlich ...

Endlicher: ... um die Ohren fliegen.

Van der Bellen: Es ist nur die Frage, ob Rechtsdrall der richtige Ausdruck ist. Warum haben so viele Amerikaner Donald Trump gewählt? Warum hat die Mehrheit der Briten für den Austritt aus der EU gestimmt? Warum gehen jetzt so viele Franzosen auf die Straße? Meine Theorie ist, dass sehr viele Leute das Gefühl haben, sie sind vergessen worden. Und dann nützen sie die Gelegenheit, um der Regierung aus Wut über die Politik eins auszuwischen. Die Franzosen, die jetzt demonstrieren, sagen nicht, ich will weniger für Benzin zahlen, sondern: Ich will mir Schuhe für meine Tochter leisten können. Das heißt: Wir haben ein ernsthaftes soziales Problem. (Lisa Nimmervoll, 22.12.2018)