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Prinz Talal bin Abdulaziz, Halbbruder von König Salman, war der Kopf der "Freien Prinzen": Sie wollten, dass Saudi-Arabien eine konstitutionelle Monarchie wird.

Foto: Sygma/Getty/Maher Attar

Es konnte nicht ausbleiben, dass Saudi-kritische Medien am Wochenende vermeldeten, dass Prinz Talal bin Abdulaziz Al Saud "verhungert" oder zumindest an den Folgen seines Hungerstreiks verstorben sei. Tatsächlich hatte der damals 86-jährige kränkliche Halbbruder von König Salman zu diesem Mittel gegriffen, als im Zuge der Antikorruptionskampagne von Kronprinz Mohammed bin Salman im November 2017 gleich mehrere seiner eigenen Söhne im berühmt-berüchtigten Ritz-Carlton in Riad festgesetzt wurden. Darunter war auch Al-Waleed bin Talal, der Multimilliardär. Erst Ende Jänner tauchte der Geschäftsmann um etliche Kilos – und etliche Milliarden – leichter wieder auf.

Nach außen versucht die gesamte Königsfamilie, zumindest die offiziellen Exponenten, heute wieder den Schein zu wahren. Eines der letzten Fotos von Talal zeigt ihn im Rollstuhl: König Salman neigt sich tief über ihn und küsst ihm die Hand. Nach der Ermordung von Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul ist das Bemühen des Königs ganz offensichtlich, die Familie zusammenzuhalten. Al-Waleed bin Talal hatte mit Khashoggi bei Medienprojekten zusammengearbeitet, aber das war vor dem Aufstieg Mohammed bin Salmans und bevor sich Khashoggi publizistisch gegen MbS, wie der Kronprinz meist genannt wird, gewandt hatte.

Dass der Tod des alten Prinzen Talal heute überhaupt Schlagzeilen macht, erklärt sich durch die tumultuöse und tendenziös gewalttätige Übergangszeit, in der das Haus Saud heute steckt. Talal bin Abdulaziz spielte zu Beginn der 1960er-Jahre während nicht ganz unähnlicher Turbulenzen innerhalb des Königshauses selbst eine Rolle, und zwar im Machtkampf zwischen den ersten beiden Söhnen des 1953 verstorbenen Staatsgründers Abdulaziz Ibn Saud um dem Thron, Saud (abgedankt 1964) und Faisal (1975 ermordet).

Agnatisch: von Bruder zu Bruder

Sehr verkürzt dargestellt ging es zu der Zeit unter anderem um die Frage, ob sich die "agnatische" Art der Thronfolge, wie vom Staatsgründer gewünscht, durchsetzen würde: dass der Thron von einem (dazu fähigen) Sohn Abdulaziz’ zum nächsten (dazu fähigen) Sohn Abdulaziz’ vererbt wird, also von Bruder zu Bruder. König Saud machte Anstalten, seine eigenen Söhne für die Nachfolge zu positionieren – während Faisal später alle wichtigen Zweige in die Macht einband, was die Sauds erst zu einem so mächtigen Familienunternehmen zusammenschweißte.

Und genau diese Zeit neigt sich nun dem Ende zu: König Salman hat nicht nur seinen Sohn Mohammed bin Salman ohne Konsens in der Familie zum Nachfolger gemacht, sondern auch das Grundgesetz so modifiziert, dass die vertikale Nachfolge – von Vater zu Sohn – zur Regel wird. Das heißt, nach MbS käme ein Salman-Enkel auf den Thron. Wenn denn alles so bleibt, wie es ist, was manche Beobachter nach der Khashoggi-Affäre bezweifeln.

Aber zurück zum verstorbenen Prinzen Talal: Er bildete damals mit einigen seiner Brüder gewissermaßen einen dritten Block neben den Königen Saud und Faisal. Ein Anwärter für die ganz oberste Liga war er, obwohl ihn sein Vater förderte, aber nicht. Talals Mutter war eine Armenierin: ein Flüchtlingskind aus dem Osmanischen Reich, das bei einem arabischen Stamm Aufnahme fand und von dort zum späteren saudischen König kam. Der Status der Mutter spielt sehr wohl eine Rolle – und umso empfänglicher mag der junge Talal für Ideen gewesen sein, die so gar nicht zum konservativen Salafismus Saudi-Arabiens passten: einen arabischen Nationalismus mit einer sozialistischen Note. Und für Saudi-Arabien eine konstitutionelle Monarchie. Wer das heute in Saudi-Arabien vorschlägt, landet stante pede im Gefängnis.

Talals "Freie Prinzen"

Prinz Talal wurde 1962 nach einer Pressekonferenz in Beirut, wo er seine Ideen ausbreitete, der saudische Pass entzogen. Er ging ins Exil, nach Kairo, seine Gruppe hieß fortan die "Freien Prinzen", nach dem Vorbild der "Freien Offiziere", die in Ägypten 1952 die Monarchie gestürzt haben.

Es war die Leuchtkraft von Präsident Gamal Abd al-Nasser in Ägypten – der seinerseits die Verwerfungen im saudischen Könighaus geschickt ausspielte. Auch König Saud wandte sich nach seiner Abdankung zuerst einmal nach Kairo (zog jedoch später nach Griechenland weiter). Um die volle Provokation der Ägypten-Verbindung zu ermessen, muss man wissen, dass sich in den 1960er-Jahren Ägypten und Saudi-Arabien im Bürgerkrieg im Nordjemen gegenüberstanden: Nasser intervenierte auf der Seite der Republikaner, die 1962 die zai ditische Monarchie gestürzt hatten, Saudi-Arabien unterstützte die Royalisten.

Der rebellische Prinz

Nach dem Tod des gestürzten König Saud und der Marginalisierung seiner Linie beruhigte sich die Lage in Saudi-Arabien wieder: Prinz Talals Slogans hatten ohnehin niemanden wirklich beeindruckt, sie waren aus einer anderen Welt. Talal und seine Brüder konnten schon früher wieder unbehelligt nach Saudi-Arabien zurückkehren, dabei soll seine Mutter vermittelt haben.

Zwar erkannte der einstmals rebellische Prinz fortan das System an, das hieß aber nicht, dass er nicht immer wieder wider den Stachel löckte. Nach 9/11 – wo die Mehrzahl der Attentäter aus Saudi-Arabien stammte – kritisierte er die Verquickung von weltlicher und religiöser Macht im wahhabitischen Königtum. Fast jede Weichenstellung für die Nachfolge im Königshaus kommentierte er negativ, auch den Aufstieg von Salman, des jetzigen Königs, zum Kronprinzen. Als wiederum dessen Sohn, MbS, Kronprinz wurde, war ohnehin fast die ganze Familie dagegen, da machte Talal bin Abdulaziz keine Ausnahme. (Gudrun Harrer, 23.12.2018)