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Mehrere Mitglieder der Bewegung "Gerechtigkeit für David" wurden in Banja Luka festgenommen.

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Darunter war auch Davor Dragičević, der Vater des Gewaltopfers David Dragičević.

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Viele sind zornig, bei anderen wirkt die Einschüchterungstaktik. Nach der Verhaftung des Vaters des Gewaltopfers David Dragičević, Davor Dragičević von der Gruppe "Gerechtigkeit für David" am Dienstag, wurde der Anführer der Protestbewegung am Mittwoch der Staatsanwaltschaft in Banja Luka vorgeführt. Nach der Befragung durch die Staatsanwaltschaft wurde Davor Dragičević freigelassen.

Am Dienstag war er mit 19 Demonstranten festgenommen worden, weil er nicht zu einer Vorladung bei der Polizei erschienen war. Mindestens eine Person wurde bei der Arbeit festgenommen. Auch die Mutter von David Dragičević, Suzana Radanović und die beiden Anwälte Draško Stanivuković und Branislav Borenović sind in Haft.

Dem Vater und den anderen Demonstranten werden unter anderem Ruhestörung vorgeworfen. Der Hintergrund: Mitglieder der Protestbewegung hatten am 17. Dezember eine Demonstration vor dem Parlament der Republika Srspka organisiert, ohne diese anzumelden. Die Polizei war massiv gegen die Demonstranten vorgegangen.

Diese werfen den Behörden des bosnischen Landesteils Republika Srpska (RS) vor, die Gewalttat an dem 21-jährigen Studenten David Dragičević zu vertuschen und haben in den vergangenen Monaten vor allem dem Innenminister der RS, Dragan Lukač weitere schwere Vorhaltungen wegen der mangelhaften Polizeiarbeit gemacht. Deshalb geht man in Banja Luka davon aus, dass Lukač hinter den Festnahmen steht. Dragičević wird "Gefährdung der Sicherheit" wegen "Drohungen gegen Innenminister Lukač" vorgeworfen. Eine wichtige Rolle spielt auch, dass der Anwalt von Davor Dragičević, Ifet Feraget, vor drei Tagen einen offenen Brief an Lukač geschrieben hat, in welchem er ihm politische Beeinflussung und rechtliche Fehler vorhielt.

Tägliche Proteste

Seit Mitte März kommen jeden Tag um 18 Uhr hundert bis zweihundert Bosnier auf den Hauptplatz von Banja Luka, um die Aufklärung des Todesfalls zu fordern. David Dragičević verschwand in der Nacht vom 17. auf den 18. März, zuvor war er noch in einigen Lokalen gesehen worden. Am 24. März wurde er mit zahlreichen Wunden tot in einem Abwasserkanal mitten in der Stadt gefunden. Auf der Pressekonferenz der Behörden, die nach dem Fund des Toten einberufen wurde, wurde sowohl die falsche Todesursache (ein Unfall) angegeben als auch widersprüchliche Angaben dazu gemacht, wie lange Dragičević im Wasser gelegen war. Dragičević wurde außerdem kriminalisiert: Ihm wurde unterstellt, in besagter Nacht einen Einbruch begangen zu haben, zudem wurde er von den Behörden als Drogensüchtiger dargestellt, der LSD genommen habe. All diese Versuche, das Verbrechensopfer zu diskreditieren, scheiterten allerdings.

Die Protestbewegung war für die Mächtigen in der RS ein Störfaktor. Nun hat die Polizei alle Artefakte der Demonstranten, die seit Monaten auf einem zentralen Platz in Banja Luka stehen, entfernt. Darunter Fotos von David und Kerzen. Viele bosnische Bürger gehen nun auf die Straße, um gegen die Verhaftung von Davor Dragičević zu demonstrieren – auch in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo. In Banja Luka wurden die Demonstranten von der Polizei vertrieben und halten sich nun im Hof einer Kirche auf.

Mehrere Versetzungen

Die Einschüchterung gegen die Demonstranten begann aber schon Wochen zuvor. Laut der NGO "Gerechtigkeit für David" wurden etwa zehn Personen, die in den vergangenen Monaten in Banja Luka für mehr Rechtsstaatlichkeit demonstriert hatten, versetzt, zum Teil auf schlechtere Positionen, zwei wurden entlassen. Neun von ihnen hatten in Institutionen der RS gearbeitet. Die Tatsache, dass sie demonstriert hatten, wurde dabei nicht als Grund für die Versetzung genannt. Doch es scheint kein Zufall zu sein, dass nach den Wahlen ausgerechnet Amtspersonen, die sich besonders engagiert haben, mit Versetzungen konfrontiert sind.

Die Bewegung "Gerechtigkeit für David" ist eine der wenigen Bürgerinitiativen in Südosteuropa, die eine Reform von Polizei und Justiz fordern. Doch monatelang haben weder die EU-Delegation noch einzelne EU-Staaten die Bewegung unterstützt, obwohl die EU-Kommission in ihrem Strategiepapier deutlich machte, dass Südosteuropas staatliche Strukturen von privaten oder parteilichen Interessen unterlaufen sind. Erstmals wurde sogar heuer der Begriff "state capture" verwendet. Die Bürger in Südosteuropa leiden darunter, dass man Gutachten und Urteile kaufen kann, dass die Zugehörigkeit zu einer Familie oder Partei entscheidend ist, aber nicht unbedingt das Gesetz.

Die EU-Delegation zeigte sich nun in einem Statement "tief besorgt" über die Ereignisse. Man forderte eine sofortige Erklärung von den Behörden der RS. "Die Ereignisse in Banja Luka senden ein alarmierendes Signal über den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in Bosnien-Herzegowina aus", so das Statement.

Parteiwahl als Absicherung

In Bosnien-Herzegowina sind Politik, Justiz, Polizei und Wirtschaft von parteilichen Interessen unterwandert. Dennoch wählen die meisten Bosnier weiterhin politische Parteien, die dieses System unterstützen – unter anderem weil sie sich von ihnen Jobs und soziale Sicherheit erwarten. Wie im ehemals sozialistischen System wird die Wahl der Partei in erster Linie als Absicherung gesehen, nicht als Möglichkeit, berechtigte Anliegen durchzusetzen.

Die Politiker wissen, dass es keine kritische Masse gibt, die ihre Macht gefährden würde. Der völkisch orientierte Chef der stärksten Partei in der RS, Milorad Dodik fiel im Wahlkampf etwa damit auf, dass er Wählern mit Konsequenzen drohte, falls sie nicht für seine SNSD stimmen sollten. Am 20. September sagte er etwa bei einer Veranstaltung in Ugljevik: "In diesen Tagen erhalten Pensionisten eine einmalige Unterstützung, um zu den Wahlen zu gehen und für uns zu stimmen. Wenn Sie nicht wählen, nehmen wir das Geld zurück. Wer nicht für uns wählen will, bekommt keine Erhöhung." Bei einer anderen Wahlveranstaltung in Gacko drohte er jenen, die im Kraftwerk arbeiten, sie zu feuern, falls sie nicht für die SNSD stimmen würden.

Dodik pflegt enge Kontakte zur österreichischen FPÖ und seine Partei zu dem rechtsextremen amerikanischen Politikberater Steve Bannon, dem ehemaligen Chefstrategen von Donald Trump. Dodik steht seit ein paar Jahren unter US-Sanktionen und darf nicht in die USA reisen. (Adelheid Wölfl, 26.12.2018)