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Wann darf man Feuerwehr oder Polizei anrufen? Verhaltensforscher helfen, "Spaßanrufe" zu reduzieren.

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Warum wählt jemand die Polizeinummer, um sich über eine Parkstrafe zu beschweren? Vor diesem Dilemma stand die britische Polizei vor zwei Jahren. Immer mehr Anrufe entpuppen sich als Banalitäten. Das raubt den Mitarbeitern in den Telefonzentralen wertvolle Zeit, während wichtigere Fälle, wie die Meldung eines Verbrechen, in der Warteschleife landen. Doch wie kann man dagegen vorgehen?

Das Problem ist ein Fall für das Behavioural Insights Team (BIT), dachte sich die Polizei. Diese Nudge-Unit – vom Englischen "Anstoßen" abgeleitet – hat der damalige Premier David Cameron vor acht Jahren ins Leben gerufen. Auf Grundlage verhaltensökonomischer Erkenntnisse versucht das Forscherteam, politische Maßnahmen mit kleinen Kniffen zu optimieren.

Ein Team für Österreich

Mittlerweile gibt es dutzende solcher Einheiten auf der ganzen Welt – seit heuer auch in Österreich: Am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien wurde "Insight Austria" angesiedelt. Eine Anschubfinanzierung auf drei Jahre kam vom Finanzministerium und der Industriellenvereinigung (IV). Institutschef Martin Kocher leitet das achtköpfige Team. "Verhaltensökonomie bringt den 'Menschen' zurück in die Wirtschaftswissenschaft", erklärt Kocher das Feld. Darum sei es für die Politik so interessant.

Denn wenn Bürger sich nicht wie ein ökonomisches Modell verhalten, seien viele unserer Anreizsysteme falsch und können mitunter zu gravierenden Fehlern führen.

Ganz neu sind solche Ansätze in Österreich nicht: Clemens Wallner, Ökonom bei der IV und ebenfalls im Leitungsteam von Insight Austria, setzte sich 2014 während der Vorbereitungen für die Verwaltungsreform dafür ein, dass die Politik motivieren statt regulieren solle. Viele politische Projekte in Österreich hätten ein "Missing Link" zum Bürger, meint Wallner. "Was nicht funktioniert, wird gefördert; was funktioniert, wird besteuert." Dabei ließe sich mit den richtigen Anreizen mehr Wirkung erzielen.

Professionelle Entrümpler

Zum Beispiel: Eine Förderung für thermische Sanierung in England wurde sehr schlecht angenommen. Hohe Geldbeträge verfehlten ihre Wirkung. Bis die Verhaltensforscher draufkamen, dass den meisten Menschen die notwendige Entrümpelung des Dachbodens zu mühsam war, um die Sanierungsarbeiten einzuleiten. Also organisierten die Behörden professionelle Entrümpler für die Fördernehmer, die sie aber selber zahlen mussten. Dadurch schnellte die Zahl der thermischen Sanierungen in die Höhe.

Um auf solche "Missing Links" zu kommen, greifen Verhaltensökonomen auf Jahrzehnte von empirischen Erkenntnissen zurück und analysieren damit neue Daten. Doch die Königsdisziplin, wie Kocher sagt, ist das Feldexperiment. Dabei untersuchen Wissenschafter eine konkrete Maßnahme, beobachten aber auch eine Kontrollgruppe, die nicht davon betroffen ist.

Noch ein Beispiel: Wie kann ein Arbeitsamt erfolgreich seine Kunden dazu bringen, neue Jobs zu finden? Wenn finanzielle Anreize die alleinige Motivationsgrundlage sind, helfen nur allgemeine Kürzungen des Arbeitslosengeldes sowie strengere Sanktionen für jene, die sich zu wenig anstrengen.

Kein Wundermittel

Selbst wenn diese Strategie dazu führt, dass Arbeitslose schneller vermittelt werden, sind damit für die Betroffenen erhebliche Kosten verbunden. Das britische BIT hat daher getestet, wie kleine, fast kostenlose Veränderungen bei der Betreuung von Arbeitslosen deren Erfolg beeinflussen.

Statt nur zu besprechen, was die Arbeitsuchenden in den vergangenen Wochen unternommen haben, legten die Betreuer in einer Testgruppe mit Klienten einen sehr konkreten Plan an, was in den folgenden Wochen unternommen wird – wie ein maßgeschneiderter Stundenplan für Jobsucher.

Das erwies sich als wirksam, wenn auch nicht als Wundermittel. Zusammen mit anderen kleinen Einzelmaßnahmen, die wenig kosten und so manches verbessern, wurde die Arbeitslosenbetreuung in Großbritannien flächendeckend umgestaltet.

Ähnliche Versuche hat in Österreich bereits das Familienministerium durchgeführt. "Politik muss den Menschen mehr ins Zentrum der Entscheidung rücken", erklärt die damals zuständige Ministerin Sophie Karmasin (ÖVP) den Ansatz.

Was allzu leicht als Politsprech abgetan werden kann, untermauert Karmasin mit einem konkreten Beispiel: Frauen und Männer erhalten gegen Ende ihrer Karenzzeit eine Information vom AMS über den Wiedereinstieg in den Beruf. Dabei wurden verschiedene Versionen getestet, vor allem Abwandlungen der Betreffzeile. Am besten wirkte ein Appell für neue Lebenschancen, erzählt Karmasin. Sie ist heute ebenfalls im Leitungsteam von Insight Austria.

Nur Geduld

Die ersten Projekte von Insight Austria laufen, Ergebnisse gibt es noch nicht. So wird etwa derzeit die Uni Wien dabei unterstützt, die Zahl der Studienabbrecher zu reduzieren.

Oft sind es wirklich kleine Stupser, die einen großen Unterschied machen. So kam auch eine Lösungsvorschlag für die britischen Polizeiruf zustande: Wenn die Anrufe nicht nach einmal, sondern erst nach fünfmal Läuten (fünf Sekunden) beantwortet wurden, sank die Zahl der banalen Anliegen dramatisch.

Offenbar fehlt Menschen ohne dringendes Anliegen die Geduld dranzubleiben, oder sie nutzen die Zeit zur Reflexion über ihren Anrufgrund. So oder so ändern sie ihr Verhalten zum Besseren – ganz ohne Strafen oder Infokampagne. (Stefan Leopold, 27.12.2018)