SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner.

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Wien – SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner wirft der türkis-blauen Regierung soziale Einschnitte und die Spaltung der Gesellschaft vor. "Die Regierungspolitik passt zur Jahreszeit. Es gibt mehr soziale Kälte in diesem Land. Die ÖVP gibt dabei den Kurs vor, die FPÖ trägt mit Strache alles widerstandslos mit", sagte Rendi-Wagner im APA-Interview.

Die SPÖ-Chefin nennt Gesetzesinitiativen wie den Zwölfstundentag, die "Zerschlagung der Sozialversicherung", das Kippen des Rauchverbots in der Gastronomie und die Kürzung der Mindestsicherung als Belege für ihre Kritik am ersten Regierungsjahr von ÖVP und FPÖ. "Alles ganz große Einschnitte. Der Diskurs mit Betroffenen, Experten und Parlament wurde dabei so gut wie nicht geführt. Das Miteinander in der Politik ist verlorengegangen." Bevölkerungsgruppen würden gegeneinander ausgespielt. "Diese von der Regierung befeuerte Spaltung ist eine Gefahr für den sozialen Frieden in unserem Land."

"Mehr Meter machen müssen"

Mager fällt auch Rendi-Wagners Bilanz zu Österreichs EU-Vorsitz aus: "Viele Ankündigungen und Überschriften, Fortschritte gleich null." Vor allem in der Migrationsfrage hätte ein Ratsvorsitz, der sich selbst ein Europa, das schützt, zum zentralen Thema macht, "mehr Meter machen müssen". Bei der EU-Wahl am 26. Mai 2019 will die SPÖ ein zusätzliches sechstes Mandat holen und wieder stärkste Partei werden. "Natürlich muss das der Anspruch sein." Die SPÖ werde im Wahlkampf für eine "Stärkung der sozialen Säule und als starke Kraft gegen den Rechtspopulismus" stehen.

Innenpolitisch will sich die SPÖ im kommenden Jahr auf leistbares Wohnen, Gesundheit mit Pflege und Ärztemangel sowie Chancengerechtigkeit für Jugendliche konzentrieren. "Es gab in den letzten zehn Jahren eine Mietenexplosion. Die Menschen geben fast die Hälfte ihres Einkommens für Mieten aus. Deshalb weg mit der Mietensteuer", fordert Rendi-Wagner.

Im Zusammenhang mit der geplanten Steuerreform fordert die SPÖ eine Entlastung des Mittelstands. "Türkis hat im Wahlkampf 14 Milliarden Entlastung versprochen. Davon sind etwa fünf Milliarden übriggeblieben. Zieht man Familienbonus und Entlastungen für die Wirtschaft ab, blieben am Ende nur 1,5 bis zwei Milliarden steuerliche Entlastung für Arbeitnehmer. Das ist uns zu wenig. 80 Prozent aller Steuereinnahmen werden von Arbeitnehmern, Konsumenten und Pensionisten gezahlt. Diese Gruppe hat auch das Anrecht auf 80 Prozent der steuerlichen Entlastung."

Derzeit keine Erbschaft- und Vermögenssteuer

Erbschaft- und Vermögenssteuer sind für Rendi-Wagner derzeit kein Thema. Der Parteitagsbeschluss zur Einführung einer Erbschaftsteuer mit einer Obergrenze von einer Million Euro sei aber aufrecht. "Ich stehe natürlich zu einer Vermögens- und Erbschaftsteuer. Die Frage ist nur, wann ist der richtige Zeitpunkt dafür? Vor dem Hintergrund eines hohen Wirtschaftswachstums und von steuerlichen Mehreinnahmen von über acht Milliarden zwischen 2016 und 2020 ist es aus meiner Sicht Zeit für Entlastung und nicht für zusätzliche Steuern."

Dass das Jahr 2018 für die SPÖ wegen des Abflugs aus der Regierung und des chaotischen Abgangs von Christian Kern desaströs war, sieht Rendi-Wagner "überhaupt nicht". Der Wechsel in die Opposition sei nicht einfach gewesen, "aber wir sind in der Opposition angekommen".

Den Vorwurf der Totalopposition, den zuletzt Parteifreund Hans Peter Doskozil äußerte, weist Rendi-Wagner zurück. "Ich stehe persönlich für eine konstruktive Oppositionspolitik. Wir haben in den letzten zwölf Monaten bei einem Drittel aller Regierungsvorschläge im Parlament zugestimmt. Da gibt es keine Fundamentalopposition. Bei vernünftigen Vorhaben sind wir gesprächsbereit, dort, wo das nicht der Fall ist, ist es unsere Rolle, Kritik aufzuzeigen. Die Regierung muss sich diese Kritik gefallen lassen." Mit Doskozil gehe sie "in die gleiche Richtung".

Nazivergleiche "nicht meine Art"

Dass es in der SPÖ überzogene Vergleiche gibt, bei denen etwa der Nationalsozialismus oder der Austrofaschismus gegen die Regierung ins Treffen geführt wird, sieht Rendi-Wagner differenziert. "Es ist nicht meine Art, mich so auszudrücken. Ich würde eine so überspitzte und überzogene Wortwahl nicht treffen und Vergleiche mit dem Dritten Reich niemals machen, weil die Massenvernichtung durch den Holocaust mit nichts verglichen werden darf." Inhaltlich sei die Kritik – etwa des Wiener Sozialstadtrats Peter Hacker – aber richtig. "Bei der Mindestsicherung wird erstmals in einem Antragsformular der Geburtsort der Eltern systematisch abgefragt werden. Die Regierung kann nicht beantworten, wozu es diese systematische Abfrage braucht."

Das Verhältnis zu den Regierungsparteien war schon einmal besser: "Anhand der letzten zwölf Monate können wir sagen, dass die FPÖ derzeit kein Koalitionspartner ist. Die letzten Monate haben die FPÖ nicht näher zu uns gebracht." Im getrübten Verhältnis zur Kurz-ÖVP setzt Rendi-Wagner bis zur nächsten Nationalratswahl auf den Faktor Zeit. "Jetzt ist grundsätzlich nicht der Zeitpunkt, um über Koalitionsvarianten zu spekulieren. Die nächste reguläre Nationalratswahl ist 2022. Erst dann wird man sehen, welche Mehrheiten sich aufgrund des Wählervotums ergeben. Vier Jahre sind eine lange Zeit. Wenn man jetzt sagt, das kann alles nichts mehr werden, werden wir nie mehr in einer Regierung sein. Absolute Mehrheiten wird es so schnell weder für den einen noch den anderen geben. Es wird daher immer eine Regierungspartnerschaft geben, und das sind nie Liebesheiraten."

FPÖ weist Kritik scharf zurück

FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky wies den Vorwurf der Gesellschaftsspaltung durch Türkis-Blau scharf zurück. "Die einzige Partei in Österreich, die einen gesellschaftspolitischen Unfrieden in unser Land bringt, ist die SPÖ", sagte der EU-Abgeordnete. "Unter der Führung von Rendi-Wagner stehen nämlich Zwietracht, Obstruktion und Verbreitung von Fake-News auf der politischen Tagesordnung der Sozialdemokraten – eine echte konstruktive Oppositionspolitik sieht aber anders aus."

"Diese Regierung spaltet nicht, diese Regierung arbeitet für die österreichische Bevölkerung", sagte Vilimsky. Die FPÖ sei in die Regierung eingetreten, "um wieder Fairness und Gerechtigkeit zu schaffen, die es unter SPÖ-geführten Regierungen nicht mehr gab, und auch, um die soziale Kälte der SPÖ zu überwinden". Der Zuspruch zur Regierungspolitik zeige sich auch an den guten Umfragedaten. Die SPÖ hingegen betreibe "nur mehr Fundamentalopposition" und eine "destruktive Politik" und streue "permanent gezielt Unwahrheiten".

Auch ÖVP verwehrt sich gegen Angriffe

Nach der FPÖ hat auch die ÖVP die Vorwürfe von Rendi-Wagner in Richtung Regierung zurückgewiesen. "Von Pamela Rendi-Wagner kommen immer die gleichen Worthülsen ohne inhaltliche Substanz", meinte ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer in einer Aussendung. Es gebe seitens der SP-Vorsitzenden "wenig sachliche Kritik".

Hinzu komme, "dass immer wieder verbale Entgleisungen von Vertretern der Sozialdemokratie laut werden – dieses Verhalten lehne ich vehement ab." Rendi-Wagner betone zwar zuerst oft, sie sei konstruktiv, "am nächsten Tag kommen jedoch erneut die gleichen nichtssagenden Attacken", so Nehammer. "Das hemmt eine konstruktive Arbeit und zeigt, dass hier unglaubwürdige Politik gemacht wird." Dieser politische Weg sei abzulehnen, so der Generalsekretär. Er plädiere erneut für eine "konstruktive Auseinandersetzung und einen sachlichen politischen Stil". (APA, 27.12.2018)