Frankreichs Präsident Emmanuel Macron blickt bedauernd zurück und sorgenvoll nach vorn. Ob er das Blatt wenden kann, hängt von seiner Selbsterkenntnis ab.

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Es war einmal ein Mann, dem wollte einfach alles gelingen. Er war charmant, wohlhabend und intelligent. Schon jung hatte er nach Höherem gestrebt, mit 16 erklärt, er werde seine Theaterlehrerin heiraten. Was er auch tat. Seine Vorhersage, er werde einmal Staatschef seines Landes werden, hielt er ebenfalls. Das Karma verließ ihn nie: Wie durch ein Wunder schalteten sich seine Widersacher eigenhändig aus, und als zum Schluss nur noch die böse Hexe übrig blieb, flogen die Herzen dem wackeren Ritter wie von selbst zu.

Das Märchen hielt an, als Emmanuel Macron bereits König in seinem Schloss, dem Pariser Élysée-Palast war. Mit flammenden Europareden wurde der neue Staatschef gerade jenseits der Landesgrenzen zum Heilsbringer des Alten Kontinentes verklärt. Der neue Fixstern am europäischen Himmel verkündete eine "kopernikanische Revolution", Medien entdeckten einen "Visionär".

In Frankreich selbst herrschte weniger Euphorie, doch ließ man den Präsidenten gewähren. Souverän zog er die Reformen – zuerst des Arbeitsmarktes, dann des hoch symbolischen Eisenbahnerstatuts – durch.

Wo man Leute trifft, "die nichts sind"

Doch eigentlich gab es längst schon verstörende Signale – in jenem Sommer 2017. Der linke Abgeordnete François Ruffin, ein rauer Rebell, ein Robespierre der neuen Zeit, schrieb in einer Kolumne: "Sie sind verhasst, verhasst und nochmals verhasst – bei den Rechtlosen, den Vergessenen, den Leuten ohne Rang." Macron hörte darüber hinweg, er begab sich nur ab und zu unter das Volk, zum Beispiel in einen Bahnhof, "wo man Leute kreuzt, die Erfolg haben, und andere, die nichts sind". Nicht: die nichts haben, sondern: die nichts sind.

Der verächtliche Satz war ihm rausgerutscht, so wie er auch schon Schlachthofarbeiterinnen als "Analphabetinnen" bedauert hatte. Die Franzosen dachten sich ihren Teil, sagten aber nichts. Schließlich wollten sie, dass ihr Präsident verwirklichen konnte, was er versprochen hatte: mit dem alten Frankreich aufräumen. Gewiss, als Macron die Vermögenssteuer auf den Immobilienbesitz reduzierte, schluckten viele; doch Macron erklärte, das geschehe, um die Leute mit Geld im Land zu behalten und mit Investitionen Jobs zu schaffen.

Einige seiner Berater fragten ihn freilich, ob man im Gegenzug nicht auch den Geringverdienern ein Steuergeschenk machen müsse – vor allem, weil im Land nun Rufe erschallten, Macron sei "Präsident der Reichen". Der Schlossherr hatte anderes zu tun. Er konzentrierte sich auf den Handshake mit Donald Trump, beeindruckte Wladimir Putin im Spiegelsaal von Versailles, bemühte sich um Angela Merkel.

Widersprüchliche Aussagen

Ab und zu äußerte er sich aus der Distanz noch über seine Landsleute; den Dänen erzählte er etwa von den "widerspenstigen Galliern". Wieder zu Hause, bedeutete er denselben, sie sollten sich "weniger beklagen"; in Frankreich brauche man, wie er bei anderer Gelegenheit einem Arbeitslosen beschied, "nur über die Straße zu gehen, um einen Job zu finden". Die drei Millionen Arbeitslose, die vom Existenzminimum leben, dankten für die Aufklärung.

Die anderen Franzosen, die, die hart arbeiten, aber am Ende des Monats trotzdem mit einem leeren Konto dastehen, stieß Macron mit seiner Benzinsteuererhöhung vor den Kopf. Dieses Kernfrankreich, bestehend aus Globalisierungsverlierern an den Stadträndern und der tiefen Landesprovinz, holte die Warnwesten aus den Autos und schreit nun im Chor, was Ruffin schon im Sommer 2017 geschrieben hatte: "Macron, wir haben genug von dir!"

Jetzt fiel bei Macron der Groschen. Einen Tag später trat er vor die TV-Kameras und verschenkte mit samtweicher Stimme Sozialmaßnahmen im Umfang von zehn Milliarden Euro, um das Volk zu beschwichtigen. Etwas nüchterner resümiert: Die Wut der Franzosen auf Macron ist eine Mischung persönlicher, sozialer und politischer Aversionen – gegen seinen Dünkel, den der Pariser Eliten, welcher er seit dem Nobel-Lycée Henri-Quatre angehört, gegen den Abbau der Vermögenssteuer. Alles wendet sich nun gegen den Präsidenten. Er büßt auch für Versäumnisse anderer: Auf einer Verkehrsinsel in Orléans sagte ein Gilet jaune, er rebelliere gegen "dreißig, vierzig Jahre verfehlter Politik". So lange steigt die Arbeitslosigkeit, so lange hat man kein ausgeglichenes Haushaltsbudget mehr zustande gebracht, obwohl Steuern und Abgaben mittlerweile 46 Prozent des Bruttosozialproduktes erreichen.

Auf den Hochmut folgt der Fall: Macrons himmelhoher Politanspruch weit über den Parteien schrumpft nun zum bloßen Kampf um das eigene Überleben. Er, der im Präsidentschaftswahlkampf selber davon profitiert hatte, dass die Franzosen alle Rechts- und Linkspolitiker auf den Mond wünschten, wird nun selbst von der "Hau ab"-Welle (auf Französisch: "dégagisme") eingeholt.

Statt alter Freunde neue Gegner

Das Karma hat sich verkehrt, der Glückspilz wird Pechvogel. Macrons Europa-Pläne scheitern an Vorgängen außerhalb seines Einflussgebietes: In Deutschland kann Angela Merkel nicht mitziehen, und in Italien hat Macron nicht wie erhofft einen Alliierten (Matteo Renzi) erhalten, sondern einen neuen Gegner (Matteo Salvini).

Langsam lahmt auch Frankreichs Konjunktur, die nach Macrons Wahlsieg vor eineinhalb Jahren noch von der Weltlage profitiert hatte. "France is back", hatte er noch am Anfang 2018 in Davos deklamiert; doch wegen der Gelbwestenproteste sagen nun auch Touristen ihre Frankreich-Reise ab. Investoren lassen sich vom Vermögenssteuerabbau bisher auch nicht anziehen.

Den Ruf eines Erneuerers hat der junge Staatschef teils schon eingebüßt. Ist er nach der Gelbwestenkrise auch politisch bereits erledigt? Nicht unbedingt: Macron ist noch bis Mitte 2022 gewählt, seine Stellung fast unanfechtbar – und politisch unumgehbar.

Seine schwierigste Reform, die der unterschiedlichen Pensionssysteme, von denen zahllose Franzosen profitieren, hatte er für Anfang 2019 angesagt. Derzeit kann er nicht einmal die Vorlage dazu präsentieren. Immerhin hat Macron noch mehr als drei Jahre vor sich. Die französische Politik ist wankelmütig. Einer geschickten Hand ist es möglich, die Stimmung zu wenden. Dazu muss sich Macron aber zuerst läutern. Er muss vom hohen Ross steigen – sonst kann er im Élysée gleich Daumen drehen. (Stefan Brändle aus Paris, 28.12.2018)