Aerosolare Installation in einem Wiener Barockjuwel: Die luftgefüllten und festverzurrten Kugeln des argentinischen Künstlers Tomás Saraceno in der Karlskirche.

Foto: Leonhard Hilzensauer

Die Schlange führt vom Eingang geradewegs zum Lift. Aus den Lautsprechern dringt leise mittelalterlicher Chorgesang ans Touristenohr, ganz so, als befände es sich in alten Klostergemäuern statt in einem Wiener Barockjuwel. Was Aufzug und Klang verbindet? Erhebend könnte beides wirken. Allein die Attraktion der körperlichen "Auffahrung" ist stärker. Alles drängt nach oben im Fischer-von-Erlach-Bau: Denn von den Fenstern der Kuppel-Laterne ist ein 360-Grad-Panorama von Wien zu genießen.

In den Bänken der Karlskirche sieht man hingegen kaum jemanden die Augen himmelwärts richten, hinauf in die 74 Meter hohe Kuppel. Dabei sorgen dort oben zwei überdimensionale Kugeln, eine mit sieben, die andere mit mehr als zehn Metern Durchmesser, bis zum nächsten Winter für besondere Lichtspiele. Die beiden Hälften, eine verspiegelt und eine transparent, der Sphären lenken die Blicke: auf der Oberfläche werfen sie wie glänzende Christbaumkugeln die Bilder des üppigen Ambiente – von Goldornament und Stuckmarmor – zurück; an ihrer Innenhaut stehen die Bilder Kopf, erinnern an den Reiz von Kaleidoskopen.

Heiße Luft steigt auf

Wie zwei gigantische Wasserbälle kann man sich die luftgefüllten Kugeln, eine künstlerische Intervention von Tomás Saraceno, vorstellen. Sie scheinen über dem Kirchenschiff zu schweben, aber die Lichtfänger sind verzurrt. Dabei sind die leichtgewichtigen Objekte des Argentiniers, der aktuell im Pariser Palais de Tokyo (bis 6. 1.) riesige Spinnennetze installiert hat, zum Fliegen gedacht.

Das relativ simple physikalische Prinzip: Erwärmt die Sonne die Luft in der Ballonhülle – Stichwort: Treibhauseffekt und Infrarotstrahlung -, weitet sich ihr Volumen aus; so wird sie leichter als die Luft rundherum und steigt auf. Schon 2015 bei Saracenos Präsentation im 21er-Haus wirkten seine aerosolaren Skulpturen im musealen Raum schaumgebremst. Auch in der Karlskirche lässt die Leinenpflicht Saracenos eigentlich ökologisch motivierte Zukunftsidee erstarren. Im sakralen Ambiente taugen sie maximal als religiöse Metapher des Himmelstürmers.

Raumwahrnehmung

Als Resonanzkörper für Glaubensfragen wie bei den Projekten in der Jesuitenkirche ist das Programm "Karlskirche Contemporary Arts", das Kurator Moritz Stipsicz für den Freundeverein der Kirche entwickelt hat, allerdings gar nicht gedacht. Ihm geht es darum, die Wahrnehmung des Raums zu verändern und einen zusätzlichen Anreiz zu schaffen.

Denn der Fremdkörper Panoramalift ist samt Gerüst ein Überbleibsel der 2002 begonnenen Freskenrestaurierung, inzwischen jedoch ein Besuchermagnet. Die Eintrittsgelder von jährlich 200.000 Besuchern generieren wichtige Mittel für dringend notwendige Restaurierungen. Gewichtige Argumente für luftige Kugeln. (Anne Katrin Feßler, 31.12.2018)