EAV-Kopf Thomas Spitzer ist ein Multitalent mit einem Hang zur Brustentblößung: Seine Karikaturen sind jetzt in Krems zu sehen.

Foto: Thomas Spitzer

Sie haben gegen den atomaren Wahnsinn angesungen, dem vom Aussterben bedrohten Banküberfall gehuldigt oder den Tod ein für alle Mal mit dem Zug von Wien nach Salzburg befördert: Die Erste Allgemeine Verunsicherung, kurz EAV, prägte in den 1980er-Jahren den Austropop mit satirisch-anarchischem Witz und brillant-billigen Sounds aus dem Reich der Synthesizer. 2019 beendet die Band ihr höchst erfolgreiches 40-jähriges Treiben mit einer Abschiedstournee.

Unverzichtbarer Kopf der Formation ist seit ihrer Gründung Thomas Spitzer. Als Universalbegabter schrieb er nicht nur die meisten Texte, sang und spielte Gitarre, sondern entwarf auch die Bühnenoutfits, die auf Provokation angelegten Showkonzepte – und absolut einzigartige, den Wiedererkennungswert steigernde Artworks: Karikaturen, die aus jedem Plattencover, Plakat und Merchandise-Artikel ein für sich stehendes Kunstwerk machten.

Foto: Thomas spitzer

Die EAV-Sollbruchstelle zum Anlass nehmend, widmet das Karikaturmuseum Krems jetzt dem zeichnerischen Werk des Steirers eine Retrospektive. Am Beginn steht eine Hansi-Hinterseer-Karikatur von 1969, noch verhalten und recht schmeichelhaft für den Dargestellten. Zur Radikalität fand Spitzer erst bei einer Institution, die seit jeher kreative Potenziale in spätpubertierenden Männern freisetzt, weil sie nicht nur viel Zeit und lange Weile bereithält, sondern antiautoritären Widerstand geradezu provoziert: das Bundesheer. Hier kombinierte Spitzer erstmals Karikaturen mit satirischen Texten und schuf so die Grundlage für die späteren EAV-Comics, die beinahe jede Platte illustrierten. Die erste erschien 1978, als Spitzer noch an der Wiener Angewandten studierte. Schon mit der zweiten von 1981 heimste man internationale Preise ein.

Wie sehr Spitzer die Band am Reißbrett entwarf, wird durch die detaillierten Skizzen zu Bühnenshows und Musikvideos deutlich. Zu irrwitzigen Blüten trieb die Band das Merchandising, damals noch ein Fremdwort in Österreich: Spitzer entwarf nicht nur obligatorische T-Shirts, auch Kartenspiele, Schnapsflascherln, Sticker und Spielzeugautos kamen unters Fanvolk. Abseits der EAV entstanden großformatige Buntstiftkarikaturen, in denen Spitzer vor allem die konservative Steiermark vor sich hertreibt: Hüte mit Gamsbart, versoffene Jagdgesellschaften, die sich vor dem Hitlerbild zuprosten.

Ein Bruder im Geiste war für Spitzer Manfred Deix. Zwar liebte dieser nicht Frank Zappa, sondern die Beach Boys und hielt sich keinen Raben, sondern dutzende Katzen; die deutlichste Verbindung aber besteht im Erotischen: So gern, oft und üppig Deix nämlich seine Zumpferln zeichnete, so inbrünstig gibt sich Spitzer bis heute den Tuttln hin – Brustwarzen springen bei ihm prinzipiell immer aus ihren vorgesehenen Halterungen. Da gibt es kein Erbarmen.

Foto: Thomas Spitzer

Der Hang zur Brustentblößung setzt sich fort bis zum sogenannten "Frauenluder"-Zyklus, den Spitzer zwischen 1998 und 2002 in seinem Domizil Kenia geschaffen hat: großformatige, abstrakt-expressive Comics-Gemälde, die laut Beipackzettel Sextourismus kritisieren sollen, die man aber genauso gut auch als Geilspecht-Fantasien ihres Schöpfers abtun könnte. In jedem Fall begegnet einem hier das alte Problem der EAV-Rezeption wieder: Hat man jenen, denen man den Spiegel vorhalten wollte, am Ende gar die schönsten Hymnen geschrieben? (Stefan Weiss, 2.1.2019)