Der ranghohe nordkoreanische Diplomat Jo Song-gil will offenbar der Führung in Pjöngjang den Rücken kehren.

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Für das Regime in Pjöngjang deutet sich eine schwere Krise an: Nordkoreas amtierender Botschafter in Rom ist Anfang November gemeinsam mit seiner Ehefrau untergetaucht. Dies gab ein südkoreanischer Abgeordneter nun am Donnerstag bekannt, nachdem er zuvor vom Geheimdienst informiert worden war. Alles deute daraufhin, dass der nordkoreanische Diplomat übergelaufen sei.

Die Affäre erfolgt zu einem heiklen Zeitpunkt: Erst am Montag hat Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un seine traditionelle Neujahrsansprache gehalten – ein Fixpunkt der innenpolitischen Propaganda. In seiner 31-minütigen Rede widmete sich Kim vor allem dem Thema Wirtschaftsreformen. Er versuchte, Nordkorea bewusst modern, offen und auf dem Weg zu Wohlstand zu präsentieren.

Bei dem untergetauchten Diplomaten handelt es sich um Cho Seong-gil. Er soll nur einen Monat vor Ablauf seiner Dienstzeit verschwunden sein. Der südkoreanische Geheimdienst äußerte sich jedoch weder zum aktuellen Aufenthaltsort von Cho noch zu seinen Motiven. Ein Pressesprecher des italienischen Außenministeriums teilte mit, von keinem Asylgesuch eines nordkoreanischen Staatsbürgers zu wissen. Auch habe er nicht mit dem südkoreanischen Geheimdienst Kontakt aufgenommen. Pjöngjangs Staatsmedien haben sich bisher ebenfalls noch nicht zu dem Fall geäußert; und in der nordkoreanischen Botschaft in Rom hebt niemand das Telefon ab.

Interimsbesetzung

Viel ist nicht bekannt über den 48-Jährigen: Nachdem Italien aus Protest gegen Nordkoreas Raketentests den Botschafter Mun Jong-nam im Jahr 2017 ausgewiesen hatte, wurde Cho zum vorläufigen Nachfolger ernannt. Laut einer Recherche von Asia Times verfügt Cho über einen mächtigen Familienhintergrund: Sein Vater soll als Vizechef der sogenannten "Abteilung für Organisation und Leitung" gedient haben, die unter dem 2011 verstorbenen Machthaber Kim Jong-il als mächtigstes Staatsorgan galt. Sein Schwiegervater soll zudem als Diplomat in Bangkok und Hongkong gedient haben.

Die inneren Entscheidungsmechanismen in Pjöngjang sind überaus intransparent, die Machtpositionen des Regimes kleinteilig zugewiesen. Umso kostbarer wäre das Insiderwissen Cho Seong-gils für die internationale Staatengemeinschaft. Er wäre nämlich der höchstrangige Überläufer, seit der stellvertretende Botschafter der nordkoreanischen Botschaft in London, Thae Yong-ho, öffentlichkeitswirksam in Südkorea Asyl beantragt hat.

Am Donnerstag meldete sich Thae im südkoreanischen Fernsehen zu Wort: Er habe während seiner Diplomatenlaufbahn mehrmals mit Cho Seong-gil zusammengearbeitet. Dieser sei unter anderem dafür verantwortlich gewesen, aus Italien Luxusgüter für die Kim-Familie zu beschaffen. Ebenfalls könnte er möglicherweise Interna über das nordkoreanische Nuklearprogramm kennen.

Gefahr für Koreas Friedensprozess

Sein Fall könnte den innerkoreanischen Annäherungsprozess zwischen Kim und der linksgerichteten Regierung Südkoreas unter Moon Jae-in gefährden. Sollte Cho nämlich in Südkorea um Asyl ansuchen, würde dies das Regime in Pjöngjang als schweren Affront werten. Seouls Präsidentenamt hat bisher noch keine Stellungnahme abgegeben. Thae, der Überläufer aus der Botschaft in London, hatte im Zuge der Annäherung zwischen den Koreas seinen Posten bei einer südkoreanischen Regierungs-Denkfabrik aufgegeben. "Das Regime in Pjöngjang hat mir mehr als deutlich gemacht, dass ich eine Hürde für den Dialogprozess bin. Auch wenn ich der Überzeugung bin, dass unter Kim Jong-un keine Denuklearisierung möglich ist, möchte ich den Dialogprozess nicht torpedieren", sagte Thae kurz nach dem Gipfeltreffen von US-Präsident Donald Trump und Kim Jong-un in Singapur zum STANDARD.

Die Kim-Dynastie in Nordkorea setzt vor allem auf innere Sicherheit. Wenn aber die Loyalität der Elite des Landes gegenüber Kim schwindet, könnte dies Unruhen auslösen. Thae war das beste Beispiel: Dass er in Südkorea ein privilegiertes Leben führen kann, zeigt den Parteikadern eine Exit-Strategie auf – und setzt Anreize zur Flucht.

In letzter Zeit haben sich die Anzeichen interner Streitigkeiten vermehrt: Laut NK News soll der dritte Sekretär von Nordkoreas Botschaft in London nach einem Disput Ende Dezember plötzlich abberufen worden sein. Ebenfalls fehlt seit Februar vom damaligen Vizeaußenminister Han Song-ryol nach einem Besuch in Schweden jede Spur. Gerüchte hätten sich verdichtet, dass Han hingerichtet wurde. (Fabian Kretschmer aus Seoul, 3.1.2018)