Speichenräder und Ersatzreifen gehörten in der guten alten Zeit zusammen wie Zündversteller und Lenkräder. Damals, als noch nicht jede Einfahrt asphaltiert war, waren Reifenschäden fast schon ein Teil vom Autofahren so wie das Tanken. Reifenpannen waren keine Abenteuer wie heute. Die Reserveräder gehörten sogar zur äußeren Erscheinung eines Automobils. Denn sie waren meist außen angebracht – eh klar, weil man nicht alle naselang allzu viel Zeit damit vertun wollte, sie aus einem Staufach zu kletzeln. Immerhin hatte Ihre Lordschaft es eilig – und der Chauffeur auch so genug Mühe und eh schon dicke Ärmel vom Kurbeln am Lenkrad.

Ein Auto aus einer Zeit, als Reservereifen so wichtig waren wie Sprit.
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Die Idee, Reserveräder gar nicht lange zu verstecken, sondern dort zu montieren, wo sie schnell zur Hand sind, halten die Offroad-Profis bis heute hoch. Dabei ist fast jedes Platzerl recht. Bei den Safari-Land-Rover montierte man die Ersatzpneus gerne auf die Motorhaube, wo dann auch manch Wildhüter mitunter ein Extraplatzerl zum Sitzen fand.

USA gegen GB

Die Konkurrenz von noch weiter überm Wasser, Jeep, montierte den Reifen ans Heck. Das wurde überhaupt lange Zeit Mode. Da störte er nicht den Blick ins Gelände. Und fahrtechnisch war es schon wurscht, ob man den Reifen auf die Haube oder hoch am Heck montierte, weil einen wirklich niedrigen Schwerpunkt hatte weder der Wrangler noch der Range.

Wenn Sie bei dem Bild leise geseufzt haben, dann machen Sie sich nichts draus. Haben wir auch.
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Weil die Geländewagen und vor allem später die SUVs immer seltener im Gelände waren, dafür öfter in der Stadt herumfuhren, tat sich ein anderes Problem auf. Nein, nicht Reifen mordende Gehsteigkanten – der Geistesblitz, auf einen Wagen mit Geländeeignung Niederquerschnittreifen zu montieren, traf die Geniedesigner erst später. Auf einmal hat die Sonne dem Reserverad schneller zugesetzt als spitze Steine einem der Reifen mit Bodenkontakt. Die Ersatzradln verwitterten also schneller, als sie gebraucht wurden.

Abenteuer Stadt

Jeep hat darum beim Cherokee das Reserverad hinten im Kofferraum aufgestellt und abgedeckt. Sicher ist sicher. Da reden wir noch von einem Wagen mit Leiterrahmen, Allradantrieb und Untersetzungsgetriebe. Das war eine Lösung, die den Soccer-Mums und Großstadt-Cowboys nicht dienlich sein sollte, denn die brauchen ja den Kofferraum für Alltäglicheres. Also ließ man bei manch einem SUV das Reserverad an der Heckklappe, schützte es aber durch eine Abdeckung vor der Sonne.

Das Reserverad am Heck, das kennt man von Offroadern und solchen, die es gerne wären.
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Eine schöne Blüte hielt dann mit der Erfindung von Airbrush-Systemen für Hinz und Kunz Einzug. Auf einmal konnte man mit seinem SUV seine Verbundenheit mit der rauen Natur auf der Reserveradabdeckung zeigen. Man ließ sich sein Pferderl draufbrushen. Boah, schön. Oder wenigstens den Pudel der Nachbarin. Eine Augenweide waren diese Autos damals. Das fand kürzlich auch Ford und spendierte seinem kleinsten SUV, dem Ecosport, nicht nur eine Hecktür statt einer nach oben aufschwingenden Klappe, sondern auch so einen abgedeckten Ersatzpneu. Das war halt in der Stadt genau so praktisch, dass man sich mit dem Facelift von dieser Idee wieder verabschiedete. Oder man muss sagen, man konnte das Rad ab dann wieder optional abbestellen, wenn ich mich richtig erinnere.

Dabei gab es früher einmal auch wahrlich schöne Abdeckungen, mit denen der Ersatzreifen weniger versteckt, wohl geschützt, aber fast schon präsentiert wurde. Denken wir an die ganzen alten Ami-Schüsseln mit den fetten Motoren, den scharfen Finnen und das Kranzl am Heck.

Ein Anblick, bei dem sofort der Blutzuckerspiegel steigt.
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Unvergessen, weil extravagant, ist auch der T2, die zweite Generation des VW-Busses, der sein Reserverad vor sich hertrug. Da hatten ein paar Hersteller eine ähnliche, aber doch ganz andere Idee. Erinnern Sie sich noch an den frühen Fiat Panda, Renault 16, die DS von Citroën oder den Lada Niva – bei uns Taiga? Die hatten und haben das Reserverad im Motorraum verbaut. Die paar Spritzer Motoröl, die mancher Reifen Zeit seines Lebens da vorne abbekommen hat, waren kein Schaden. Wohl aber die ständigen Temperaturschwankungen. Die Reifen alterten unter der Hitze des Motors genauso gerne wie durch das UV-Licht der Sonne. Noch dazu fluchten die Mechaniker fast jedes Mal, wenn so ein Wagen in die Werkstatt kam, weil man – Murphy sei Dank – sicher so gut wie immer erst das Rad ausbauen musste, bevor man überhaupt das fand, was man suchte.

Der lustig-listige Käfer

Eine geniale Idee hatte VW beim Käfer. Dort nutzte man die Luft aus dem Ersatzrad als Treibmittel für die Wischwaschanlage. Spätestens wenn die Scheiben dreckig waren, weil der Reifen ohne Luft keine Kraft mehr hatte, das Wischwasser auf die Scheibe zu pumpen, fuhr man mit etwas Glück irgendwo an und hatte zwei platte Reifen.

Gleich einen luftleeren Reifen verbaute Porsche. Um Platz zu sparen. Faltrad nannte man das. Obwohl, eigentlich war ja nur der Reifen und nicht das ganze Rad gefaltet. Das Problem, dass man das Rad erst mit einem Kompressor aufblasen musste, sollte später noch einmal fast allen Herstellern viel Gewicht und Geld sparen. Aber dazu kommen wir gleich. Denn die gängigste Methode, ein Reserverad zu transportieren, war eine andere.

So schön ist ein Reserverad unter einem Auto, wenn der Wagen a) frisch restauriert oder b) nigelnagelneu ist.
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Bei den meisten Fahrzeugen wanderte das Reserverad in oder unter das Heck. Unter dem Kofferraum montiert, hatte man das Problem, dass der Pneu sicher komplett eingesaut war, wenn man ihn doch einmal brauchte. Im Kofferraum, in einer Mulde unter dem Ladeboden, hingegen blieb er sauber, dafür konnte man sich sicher sein, dass einem nur dann ein Reifenschaden passierte, wenn der Kofferraum eben voll war. Aber wer genug Geduld bewies, der konnte ja warten, bis das Radl nach unten durchgerostet war. Denn die Mulde war seit jeher der Lieblingsplatz für die Treffen der Neigungsgruppe Kondenswasser.

So schaut eine Reserveradmulde aus, wenn der Rost noch nicht zum Hauptmieter wurde.
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Mit der Zeit wurden nicht nur die Straßen besser. Auch die Gummis. Die Reifenschäden wurden weniger, die Lust, selbst Räder zu wechseln, nahm ab. Man rief den Pannenfahrer, der sich des Problems annehmen sollte, bevor man selbst irgendwas falsch machte. Also überlegten Autohersteller, wie man auch hier sparen könnte. Die Kunden Platz, sie selber Geld. Das Notrad war die Lösung. Ein Asphaltschneider, wie man sagt, für geringe Geschwindigkeiten gebaut. Der schmale Reifen war leicht, günstig, brauchte wenig Platz und schaffte den Weg in die nächste Werkstatt genauso gut wie zuvor die runtergerockten Ersatzräder, die entweder holzhart und luftlos, weil alt waren, oder glatzert, weil man das gute Reserverad schon vor Zeiten gegen den alten Schlapfen am Anhänger tauschte.

Ein Wunder der Chemie und der Technik

Heute bekommt man bei kaum einem Neuwagen einfach so ein Reserverad mehr. Das kostet extra. Die Mulde für das Rad ist aber meist noch da. Dort drinnen befindet sich viel Styropor, ein Pannendreieck, ein Wagenheber – der zumindest den Wagen ramponiert, wenn er einem nicht den Arm bricht – und ein Reifenflickwunderdoserl samt Kompressor. Bei einem Reifenschaden sprüht man die milchige Flüssigkeit über das Reifenventil in den Pneu, dann schließt man den Kompressor an. An einem Ende an den Zigarettenanzünder, am anderen ans Ventil. Eine gefühlte halbe Ewigkeit und einen Gehörsturz später weiß man dann, ob die Flüssigkeit das Loch im Reifen abdichten konnte oder nicht. Danach ruft man den Pannendienst an. Und damit endlich zur Auflösung: Aus dem Reserverad wurde eine neue Berufsgruppe. Und den Rest vom Erbe traten Run-flat-Reifen an. (Guido Gluschitsch, 4.1.2019)

Ein Notrad mit Bordwerkzeug montieren. Auch eine schöne Art, sich selbst ordentlich wehzutun.
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