Ein jüngst ergangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofs über eine Aussage, die im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung am Freiheitlichen Bildungsinstitut gefallen ist, sorgte wieder einmal dafür, ein Thema aufs Tapet zu bringen, das zu den klassischen Inhalten zeitgenössischer Islamkritik gehört. In der inkriminierten Aussage im Rahmen eines Seminars zum (vorgeblichen) Thema "Grundlagen des Islam" im Jahr 2009 wurde laut vorliegenden Unterlagen von der Vortragenden festgehalten, dass die Überlieferung um die Ehe des Über-50-jährigen Gründers des Islam mit einer Sechsjährigen als "Pädophilie" zu bezeichnen wäre und Mohammed "nun mal gerne mit Kindern ein bisschen was" hatte.

Die Vortragende wurde wegen dieser Aussagen 2011 wegen Herabwürdigung religiöser Lehren zu einer Geldstrafe (in Höhe von 480 Euro) und dem Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt. Nachdem ein Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens vom Obersten Gerichtshof 2013 abgewiesen worden war, war der Fall von der Betroffenen unter Berufung auf das Recht zur freien Meinungsäußerung vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gebracht worden. Dieser bestätigte nun im Oktober 2018 das österreichische Urteil, was dementsprechende Reaktionen gegen einen nun angeblich "islamisierten" europäischen Menschenrechtsgerichtshof auf diversen Plattformen provozierte.

Pädophilie?

Nun ist Pädophilie ein pathologischer Zustand, der eine grundsätzliche Neigung beziehungsweise sexuelle Präferenz für Kinder markiert. Davon kann bei nüchterner und selbst sehr kritischer Betrachtung der Biographie Mohammeds in der Tat keine Rede sein. Seine erste Frau, Khadija, mit der er offensichtlich sehr innig verbunden war und die zu den wichtigen Bezugspersonen seiner Zeit in Mekka zählte, war rund 15 Jahre älter als er. Erst nach ihrem Tod, der der sogenannten "hijra" (der Auswanderung aus Mekka nach Medina im Jahr 622) vorangeht, heiratet er wieder. Es ist im Übrigen nicht klar, wie viele Ehefrauen er insgesamt hatte, doch wird zumeist der Angabe in der Biographie des Ibn Ishaq gefolgt, der von insgesamt 13 Eheschließungen ausgeht, von denen allerdings zwei vor Vollzug der Ehe wieder geschieden waren. Keine dieser überlieferten Ehen lässt irgendeine besonders ausgeprägte Präferenz für Kinder erkennen. Angesichts des historisch-biographischen Befundes ist damit die Beschreibung Mohammeds als pathologisch "pädophil" schlichtweg Unsinn.

Ein Fifty-Something heiratet eine Sechsjährige

Nun gibt es aber ein Detail der Verheiratungsgeschichte Mohammeds, das in diesem Zusammenhang durchaus näher zu betrachten ist: seine Ehe mit der oft (zumindest in der sunnitischen Tradition) als "Lieblingsfrau" bezeichneten Aisha. Über sie gibt es eine recht eindeutige Überlieferung: Sie war die Tochter des Abu Bakr, eines frühen Konvertiten zum Islam, der dann auch Mohammed in der Leitung der Gemeinschaft als erster Khalif (gemäß der sunnitischen Tradition) folgen wird. Aisha war damit eines der ersten Kinder, das in eine zum Islam konvertierte Familie geboren wurde. Den detaillierten Angaben der islamischen Überlieferung gemäß heiratete Mohammed nun Aisha, als diese sechs Jahre alt war und "konsumierte die Ehe" (das heißt konkret, er vollzog den Geschlechtsverkehr mit ihr), als Aisha zwischen neun und zehn war. In einigen Überlieferungen, die als direkte Aussagen Aishas in die Tradition der Hadithe eingegangen ist, findet sich dabei der Zusatz: "und ich spielte noch mit Puppen". Auffällig sind die detaillierte Darstellung und die genauen Angaben zum Heirats- und "Vollzugsalter", was davon ausgehen lässt, dass dies ein fixer Bestandteil der Überlieferung war. Und möglicherweise ein Indiz, dass dies alles durchaus Aufsehen erregte.

Mohammed und Aisha setzen eine junge Frau frei. Aus einer Mohammedbiographie (Ende 16. Jh.)
Foto: Public Domain

Es gibt nun äußerst umfangreiche Literatur zu diesem Thema. Eine wichtige Argumentationslinie in diesem Zusammenhang läuft auf eine Einordnung dieser Heirat in einen größeren soziokulturellen Kontext hinaus. Dabei gilt ein grundlegendes Prinzip in der antiken Welt aber auch weit darüber hinaus bis in die frühe Neuzeit: Eine Ehe kann dann vollzogen werden, sobald die Geschlechtsreife erreicht ist – eingegangen werden kann sie zum Teil schon um vieles früher. Das führt in der Tat in weiten Teilen der Welt und über Jahrhunderte zu erstaunlich niedrigen Heiratsaltern, wenn diese überhaupt formal festgelegt waren. Bis in die frühe Neuzeit waren Verheiratungen junger Mädchen gang und gäbe, beispielsweise (aber bei Weitem nicht nur) im aristokratischen Milieu. Und dies ist teilweise auch ein Erbe, das Religionen bis heute transportieren. Das Mindestalter für eine Verheiratung in der Katholischen Kirche liegt bis heute bei 14 Jahren für Mädchen – wenn auch im Kirchenrecht deutlich gemacht wird, dass den Gesetzen der Länder zu folgen ist und viele katholische Bischofskonferenzen explizit höhere Heiratsalter für ihre Länder festgelegt haben.

Viele der Eheschließungen Mohammeds gelten zudem in der Tradition als mehr oder minder Zweckbündnisse, das heißt Ehefrauen wurden ihm vor allem in seiner Zeit in Medina als neuem starken Mann der arabischen Halbinsel angetragen und die Ehen besiegelten diverse Bündnisse und Vertragsverhältnisse. Außerdem hoben sie die Familien der diversen Frauen in eine besondere Position, von der diese im Nachfolgenden auf vielen Ebenen profitieren konnten. Was die innerislamische Debatte betrifft, so ist zwar auffällig, dass so detailliert über die Verheiratung und den Vollzug berichtet wird. Doch gab es keine Kritik am Alter der Aisha.

Mohammeds Ehen und diverse Problemanzeigen

Dass Mohammeds Eheschließungen aber durchaus Debatten ausgelöst haben, bezeugt ein anderes Detail seiner Biographie: Seine Verheiratung mit Zaynab bint Jahsh, die eigentlich mit Mohammeds Adoptivsohn Zayd verheiratet war und sich, um Mohammed zu heiraten, von ihrem Ehemann scheiden ließ. Diese Eheschließung löste angesichts der besonderen Stellung eines Adoptivsohnes, der formaliter dem Sohn gleichgestellt ist, sehr heftige Diskussionen aus: Spannte hier der Vater seinem Sohn die Ehefrau aus? Sogar der Koran enthält darüber Instruktionen beziehungsweise eine Art himmlische Legimitation (in Sure 33:37), was Zayd zu einem von nur zwei namentlich genannten Personen im Koran macht. Aus dem eigentlichen No-Go, der Heirat der Frau eines adoptierten Sohnes, wurde so ein göttlich legitimierter Akt, indem der Charakter einer Adoption neu definiert wurde.

Nichts dergleichen gibt es im Zusammenhang mit Aisha zu berichten und das Alter war kein Stein des Anstoßes. Sie wurde vielmehr zu einer der zentralen Figuren der islamischen Überlieferung, insbesondere in der sunnitischen Tradition, wo mehr als 2000 Einzelüberlieferungen über Mohammed in Form eines Hadith auf sie zurückgeführt werden, viele davon auch zentrale theologische Themen betreffend. Sie galt zudem als äußerst gebildet und versiert, weshalb sie zu einer wichtigen Bezugsperson in der Zeit unmittelbar nach dem Tod Mohammeds und in der frühen Formierungsphase des Islam wurde. Ihr Ehrentitel in der sunnitischen Tradition, "Mutter der Gläubigen", ist beredtes Indiz für diese hohe Stellung. 

Kritisch wird sie demgegenüber in der shiitischen Tradition gesehen, weil sie in den Nachfolgekämpfen der ersten Jahrzehnte nach dem Tod Mohammeds eine Gegnerin der Gruppe um Ali und Fatima, der "Lieblingstochter" Mohammeds, war, die die Nachfolge Mohammeds mit dem "Volk des Hauses" (ahl al-bayt) verbinden wollten (das heißt in einer direkten Anbindung an die Familie Mohammeds). Diese Nachfolgekämpfe und die Debatte um die Legitimität der Ansprüche bildete die Grundlage für die Entstehung der shiitischen Richtung im Islam, die allerdings erst Jahrhunderte später formalisiert wurde. Bei den Shiiten wird vieles an Aisha kritisiert, unter anderem ihre aktive Beteiligung in der sogenannten "Kamelschlacht" 656, die sie gegen Ali aus Vergeltung für die Ermordung des dritten Kalifen, Uthman, führte, ihre angeblich krankhafte Eifersucht (vor allem gegenüber der verstorbenen Khadija) und andere Details ihrer Biographie, wie beispielsweise ein angebliches Fremdgehen, das als die "Halsbandaffäre" in die Biographie Mohammeds einging. Doch war ihr angeblich frühes Verheiratungsalter auch hier nicht Gegenstand der Kritik.

Kritik daran kam erst im 20. Jahrhundert auf und wurde primär im westlichen Kontext formuliert, der nun andere Vorgaben bezüglich einer Ehe und auch des Konzeptes eines "Kindes" entwickelte. Deshalb gehörte die Kritik an der frühen Verheiratung Aishas nicht zum klassischen Repertoire der frühen christlichen Islamkritik, sehr wohl aber die schon zitierte Episode um die Heirat mit Zaynab bint Jahsh, die als Nachweis für die rücksichtslose Lüsternheit Mohammeds herhalten musste. Das frühe Heiratsalter der Aisha spielte erst viel später eine Rolle, ist aber heute ein Standardargument der Islamkritik.

War Aisha möglicherweise älter?

Die westliche Kritik an Aisha zeitigte auch Reaktionen bei muslimischen Theologen. Hier gab es zahlreiche Versuche, das Alter der Aisha mit komplexen Argumentationen hinaufzusetzen und sie damit älter zu machen. Das führt oft zu recht langatmigen Detailuntersuchungen zur schwierigen Chronologie der Frühzeit des Islam und der Biographie Mohammeds, die allesamt aber eine Frage niemals beantworten können: Warum es zu diesem Thema eine so ausführliche und relativ eindeutige Überlieferung gibt. Ein Argument, das in diesem Zusammenhang öfter auftaucht, ist übrigens, dass Aisha selbst im Nachhinein ihr Alter herabgesetzt hatte, um ihre eigene Position innerhalb der Familie Mohammeds zu stärken. Dabei muss vor allem ein Moment berücksichtigt werden, das einen wichtigen Hintergrund für diese ganze Thematik ausmacht. Es ist die eminente Hochschätzung, um nicht zu sagen Fetischisierung, eines "Gutes", das in der westlichen Moderne und hierzulande nicht mehr den Stellenwert hat, den es anderswo hat: die Jungfräulichkeit. Je jünger ein Mädchen ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie (noch) jungfräulich ist. Bei einem so jungen Mädchen kann nun einmal sicher davon ausgegangen werden. Insgesamt sind diese Neuberechnungen jedoch nicht sehr überzeugend, zumal sie eindeutig eine Reaktion auf eine spezifische westliche Kritik darstellen, der man so begegnen wollte.

Und nun?

Was soll man nun mit dieser Überlieferung machen? Die Tatsache der Heirat eines so jungen Mädchens durch einen älteren Mann kann man, wie oben beschrieben, durchaus in den kulturellen Kontext der Zeit einordnen, wenn es offensichtlich selbst vielen damals ungewöhnlich erschienen ist, was die ausführliche Überlieferung damit erklärt. Wichtig ist zudem festzuhalten, dass bei aller Vorbildhaftigkeit Mohammeds die islamische Rechtstradition nicht blind seinem Vorbild folgt. So gibt es in den diversen Rechtsschulen des Islam eine prinzipielle Orientierung des frühestmöglichen Heiratsalters am Eintreten der Pubertät, was sich sowohl auf die äußeren Anzeichen der Pubertät (bulugh) bezieht (nächtlicher Samenerguss beim Jungen, Einsetzen der Menstruation beim Mädchen) als auch auf das Erreichen eines intellektuellen Erwachsenseins (rushd), um eine Ehe überhaupt mit dem notwendigen beiderseitigen Konsens eingehen zu können. Und dieser Konsens beider Ehepartner ist idealiter eine essentielle Grundlage für eine Eheschließung im islamischen Kontext. Wichtig ist damit aber, dass auf der praktischen Ebene eine allzu frühe Verheiratung nicht ermöglicht wird, weil der notwendige Erwachsenenstatus (rushd) nicht erreicht wird, ganz abgesehen davon, dass der Ehemann für seine Frau aufkommen muss. In den meisten islamisch dominierten Ländern ist deshalb eine Heirat mit Minderjährigen untersagt, und das Mindestheiratsalter für Mädchen liegt bei 16 bis 18 Jahren und für Jungen bei 18 Jahren.

Das patriarchale Gefälle

Problematisch ins Spiel kommt hier allerdings das eindeutige patriarchale Gefälle der islamischen Tradition (wie der meisten großen religiösen Traditionen): Zwar ist der prinzipielle Konsens beider Ehepartner offiziell Voraussetzung für die Heirat, doch geht in der Regel ein Mann, meist der Vater, stellvertretend für die Frau das Bündnis ein, was auch von allen Rechtsschulen vertreten und hervorgehoben wird. Legitim ist zudem die arrangierte Verheiratung eines jungen Mädchens vor Erreichen der Pubertät, was von diesem nur problematisiert werden kann, wenn diese Verheiratung nicht durch ihren Vater eingeleitet wurde. Das öffnet auch die Tür für das hochproblematische Phänomen der Kinderheirat. Obwohl diese aufgrund der oben genannten prinzipiellen Zustimmung zu einer Ehe von beiden Seiten im Zustand eines intellektuell gereiften Erwachsenseins nicht erlaubt ist, wird dies durchaus mit Billigung von religiösen Autoritäten praktiziert und gerade unter Berufung auf das hier thematisierte Detail der Biographie Mohammeds legitimiert.

Dabei bleibt anzumerken, dass Verheiratungen von Kindern kein spezifisches Phänomen in einigen islamischen Ländern ist. Es findet sich beispielsweise auch bei den Jesiden im Irak, bei den christlichen Roma (dafür gibt es sogar eigene gesetzliche Ausnahmeregelungen für Kinderheiraten in Rumänien) und in Indien bei Hindus. Zumeist hat es mit äußerst beengten sozioökonomischen Verhältnissen, mangelnder Bildung und festgefahrenen Traditionen zu tun. Im Islam ergibt sich aufgrund der spezifischen biographischen Angabe natürlich eine mögliche zusätzliche Legitimation. Diese kann man jedoch gut historisch kontextualisieren und einordnen. Sollte sich aber heute jemand darauf berufen, um Kinder zu verheiraten, dann lebt er wohl in der falschen Zeit. (Franz Winter, 6.2.2019)

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