Iris Andraschek, Minou (aus der Serie Gardens under the Influence), 2002.

Foto: Iris Andraschek

Iris Andraschek, o.T. (aus der Serie Chongqing), 2017.

Foto: Iris Andraschek

Hubert Lobnig, O.T. (Das ist wirklich hier passiert), 2012.

Foto: MMKK

Als 17-Jähriger wurde Hubert Lobnig Zeuge eines Attentats. Eine Bombe zerstörte 1979 das Heimatmuseum am Hauptplatz seiner Geburtsstadt Völkermarkt. Als Verantwortliche wurden Jugoslawen ermittelt, die Kritik am gezeigten Geschichtsbild üben wollten. Tatsächlich sei die Vergangenheit Kärntens verfälschend dargestellt worden, sagt Lobnig. Ihm sei damals bewusst geworden, dass öffentlicher Konsens konstruiert werden könne.

Das beschäftigt ihn bis heute. Zwei Gemälde des zerstörten Baus hängen in der Schau Empfindliches Gleichgewicht im Museum Moderner Kunst Kärnten (MMKK), wo Lobnig und seine Frau Iris Andraschek aktuell ausstellen.

Pornos, selbstgemacht

Andraschek hatte fast zeitgleich mit dem jungen Lobnig ein eigenes Schlüsselerlebnis: Mitte der 1970er zeichnete sie in Horn Pornohefte, orientiert an Zeitschriften wie Praline und angetrieben vom Heranwachsen als Mädchen in einer österreichischen Kleinstadt. Auch sie sind in der Schau zu sehen. Für I am/mein Mund, meine Zunge wiederum hat die Künstlerin mit nach Österreich geflüchteten afghanischen Frauen gesprochen, dazu kombiniert sie eine geschnitzte Schutzmantelmadonna von 1350. Das öffnet das Thema ins Generelle.

Schon davor privat ein Paar, arbeiten die beiden Künstler seit 1997 immer wieder zusammen, hauptsächlich bei Projekten im öffentlichen Raum. In Wien haben sie 2015 etwa die Gruft Boutique in der Mariahilfer Staße betrieben – weil direkt neben Österreichs größter Einkaufsstraße die Obdachlosenunterkunft liegt. Was für ein Clash! An der tschechischen Grenze errichteten sie 2009 einen Zaun mit der Frage Wohin verschwinden die Grenzen? Die Antwort: Sie verschwinden nicht, sondern werden im neuen Europa bloß anderswo wieder aufgebaut.

Arbeit auf vielen Baustellen

Leuchtkästen stellen in der Querschnittsschau weitere gemeinsame Arbeiten vor. Sonst wechseln die Künstler sich bei der Bespielung ab. Ein konzentrierender Fokus fehlt. Eine Vorliebe Lobnigs gilt der Projektion auf transparente und verspiegelte Flächen. Davon gibt es mehrere zu sehen. Für eine andere Videoarbeit hat er – man denkt an sozialkritische Arbeiten Santiago Sierras – Männer auf dem Wiener "Arbeiterstrich" dafür bezahlt, Holzteile in die Innenstadt zu tragen (Die Baustelle).

Die Themen des Künstlerpaares sind breitgefächert: Kapitalismus, Gender, Gesellschaft, Natur. Normen und Freiräume sorgen für Spannung. Seit 20 Jahren beschäftigt sich Andraschek mit alternativen Zugängen zur Landwirtschaft. Während eines Stipendienaufenthalts in China hat sie Bauern fotografiert, die am Rand einer 30-Millionen-Stadt Gemüse anbauen. Wahnwitzig recken sich hinter ihren Hütten und grünen Krautköpfen die Betontürme der Megacity in den Himmel.

Diskursgewebe

Die Künstler recherchieren vor Ort in Gesprächen, haben aber keinen Aktivismus im Sinn. Aus Dokumentation und Assoziationen spinnen sie Diskursgewebe, die sich im Geist der Poesie nicht auf klare Aussagen festnageln lassen. Bei einem Altwarenhändler im Waldviertel fand Lobnig Friseurköpfe mit Echthaar. Im selben Regal NS-Bücher. In der Ausstellung aufgebaut weckt das Ensemble unheimliche Ideen von Selektion.

Das größte Werk im MMKK heißt Sapun Ghar. Im Urlaub stieß Andraschek auf die aus Lorbeer hergestellte Alepposeife. Aus hunderten der scharfkantigen, braunen Klötzchen baut sie auf 20 Quadratmetern den Grundriss eines zerstörten Suks nach. Ein dezenter Duft hängt in der Luft. Ganz klar zu fassen ist er nicht – wie der Rest der abwechslungsreich bestückten Schau, die zu vielem eine Ahnung hat. Aber manchmal konsequenter sein könnte. (Michael Wurmitzer, 4.1.2019)