Es dauerte lange, ehe sich im deutschen Sprachraum auch Massenmedien mit Videospielen auseinandersetzten. Und wenn, dann geschah dies oft in negativ konnotiertem Kontext – etwa die "Killerspiel"-Debatte. Eine Ausnahme stellte das Moorhuhn dar, das zum ersten Games-Hype des jungen Jahrtausends wurde.

Das Phänomen nahm seinen Ausgang im Jahr 1997. Damals suchte der Whiskeyhersteller Johnny Walker nach neuen Promotion-Möglichkeiten für seine Produkte. Die Hamburger Agentur Vorwerk & Buchholz brachte schließlich die Idee auf, ein Computerspiel entwickeln zu lassen. Der Auftrag dafür ging an das Unternehmen Art Department. Dort setzten Grafiker Ingo Mesche und der Programmierer Jörg Posche die Urfassung auf Basis einfacher Vorgaben um.

So spielte sich das erste "Moorhuhn".
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Mit Laptop und Jägeroutfit im Gasthaus

Das niederländische Studio Witan erstellte schließlich die finale Fassung, die ab Herbst 1998 in Gaststätten auf Laptops gezeigt wurde. Die Gesamtkosten für Konzept und Programmierung sollen rund 90.000 D-Mark betragen haben. Die Präsentatoren trugen, so berichtete der "Spiegel", "grüne Jagdkluft", um für ein passendes Ambiente zu sorgen. Wer sich bei der Jagd nach den schottischen Hühnern bewährte, bekam eine kostenlose Whiskeyprobe.

Als Vater der Reihe gilt trotz dieser Vorarbeit Frank Ziemlinski, der seit den späten 1980ern in der Games-Branche tätig war – unter anderem für das einst bekannte Studio Starbyte. Er kümmerte sich als Creative Director später hauptamtlich um die Pflege des digitalen Federviehs.

In Radio und Fernsehen

Es sollte einige Monate dauern, ehe das Spiel seinen Weg in das zum Massenmedium heranwachsende Internet fand und so mehr Publikum erreichte. Die Kombination aus einem einfachen Shoot 'em up mit netter, bunter Grafik und der Herausforderung mit Zeitdruck und Ranglisten wurde dann aber schnell populär. Erwähnungen in Radio und TV-Shows, unter anderem bei der Latenight-Größe Harald Schmidt, ließen den Funken weiterspringen.

Gameplay aus "Moorhuhn Kart 3" (2007).
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Auch Spielemagazine trugen das Ihre zur Verbreitung bei, landete das Game doch auf diversen Heft-CDs und erreichte somit auch Menschen, die noch nicht "online", aber spieleinteressiert waren. Die Hühnerjagd etablierte sich auch als Pausenfüller in Schulen, wo Teenager oft auf den schuleigenen Rechnern eifrig um Ranglistenpunkte ritterten – nicht immer zur Freude des Lehrpersonals. Das Boulevardblatt "Bild" berichtete gar über Bürokräfte, die zugunsten des Spielvergnügens so manche Arbeitstätigkeit hintanstellten.

"Gimme More Huhn"

Der Hype nahm beeindruckende Ausmaße an. 40 Millionen Spieler erreichte das Game, das als Moorhen auch auf Englisch vermarktet wurde. Auch andere Systeme, nämlich die Playstation und der Gameboy, wurden mit dem ersten Teil bedient. Selbst für Palm OS, nicht unbedingt bekannt als Spieleplattform, wurde 2001 ein Moorhuhn-Spiel entwickelt.

Der titelgebende Vogel war auch abseits der digitalen Sphäre präsent. Fleißig wurden Plüschvögel, Wackelhühner für das Auto und anderes Merchandise verkauft. Das Huhn marschierte auch in Faschingsumzügen und anderen Veranstaltungen regelmäßig mit. Und der deutsche Entertainer Wigald Boning setzte dem Game mit dem Song "Gimme More Huhn" auch ein popkulturelles Denkmal der eher speziellen Art. Eine 26 Folgen starke Zeichentricksendung kam ins Fernsehen.

Wigald Boning singt "Gimme More Huhn".
Musik4fans

Schneller Aufstieg ...

Bei Art Department sorgte der Erfolg für große Hoffnungen. Die Firma wurde anno 1999 in Phenomedia umbenannt, im Jahr darauf veröffentlichte man Moorhuhn 2 – Die Jagd geht weiter. Weitere Versionen folgten, mit Games wie Moorhuhn Kart (2002) oder MoorhuhnDer Schatz des Pharao (2003) wurden auch andere Genres erschlossen. Auch manche Nachahmer-Games kamen auf den Markt.

Phenomedia avancierte flott zum Aushängeschild für die sogenannte New Economy. Man probierte sich an Zukäufen und schluckte 2000 die Firma Funatics, die zuvor das Brettspiel "Siedler von Catan" zu einem Videogame gemacht hatte. Man sicherte sich auch Anteile an der E-Commerce-Firma Morelogs. Für den Einstieg in den Bereich Interactive TV beteiligte man sich mit 51 Prozent am Entertainment Channel Network. Die 2001 angekündigte Übernahme der Multimediaagentur Feedback scheiterte ein Jahr später.

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"Moorhuhn"-Vater Frank Ziemlinski bei der Vorstellung des zweiten Teils der Spielereihe im Jahr 2000.
Foto: Reuters

... schneller Fall

Das zuerst überraschende Platzen des Deals war alsbald aber anders einzuordnen. Phenomedia, das bei seinem Börsendebüt Ende 1999 noch für Begeisterung gesorgt hatte und im Jahr darauf mit traumhaften Zahlen glänzte, versank in Finanzskandalen, die 2002 öffentlich wurden und schnell in die Insolvenz mündeten.

Die dazu anhängigen Gerichtsverfahren wurden erst 2009 mit Hafstrafen gegen zwei Ex-Vorstände wegen Bilanzfälschung, Betrugs und Untreue abgeschlossen. Man habe mit dem Geld der Investoren gespielt wie bei Monopoly, erklärten sie. Echte Zahlen hätten niemanden interessiert, "es musste alles nur toll aussehen und plausibel sein", zitierte das "Manager Magazin" im Jahr 2004.

Eine Folge der TV-Serie mit dem Moorhuhn.
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Neuer Anlauf und ein verschwundener Film

Das Moorhuhn wurde aber am Leben gehalten. 2004 übernahm die neu gegründete Phenomedia Publishing GmbH die Pflege der Marke. Man hatte sich viel erhofft, schrieb aber nach anfänglichem Erfolg bald wieder laufend Verluste. Erst 2008 gelangte man nach Neustrukturierung und massivem Mitarbeiterabbau wieder in die schwarzen Zahlen. Die Entwicklung der Spiele wurde komplett an Partnerunternehmen ausgelagert, man selbst kümmerte sich nur noch um das Marketing.

Doch der einst beliebte Vogel war längst aus der Wahrnehmung vieler Computernutzer verschwunden. 2011 wollte man dennoch einen Kinofilm umsetzen, für dessen Produktion 2012 von der Filmförderungsanstalt (FFA) ein Zuschuss von 45.000 Euro gewährt wurde. Fertiggestellt wurde der Streifen jedoch nie, zuletzt hörte man im August 2012 etwas von dem Projekt. Seine Einstellung wurde nie offiziell bekanntgegeben. Das erneute Aus für Phenomedia folgte fünf Jahre später.

Marcus Scheer, ehemaliger Phenomedia-Vorstand, ebenfalls ein Bild aus dem Jahr 2000.
Foto: APA

Das Huhn gackert weiter

Die Marke lebt aber nach wie vor, sie gehört nun der Firma AK Tronic. Abseits des großen Medieninteresses sind in den vergangenen beiden Jahren vier neue Titel erschienen. Das Geschehen hat sich aber schon längst vom PC auf mobilere Plattformen verlagert. Praktisch alle neueren der über 30 Moorhuhn-Games wurden für Smartphones oder die Nintendo Switch entwickelt. (Georg Pichler, 12.1.2019)