Lastwagen im Hafen Dover. Im Falle eines EU-Austritts ohne Einigung droht Stau.

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London – Knapp 108 Millionen Pfund (120 Millionen Euro) lässt sich die britische Regierung die Vorbereitungen auf ein mögliches Verkehrschaos im Hafen Dover im Fall eines ungeordneten EU-Austritts kosten. Für diese Summe wurden drei Reedereien engagiert, die 4.000 Lastwagen pro Woche über den Ärmelkanal transportieren sollen, um die Versorgung sicherzustellen.

Aus Zeitmangel wurde der Großauftrag nicht öffentlich ausgeschrieben. Neben der französischen Firma Brittany Ferries und der dänischen DFDS profitiert auch das Unternehmen Seaborne Freight von den Vorsorgemaßnahmen: 13,8 Millionen Pfund (etwa 15 Millionen Euro) soll die vor zwei Jahren gegründete Reederei für ihre Dienstleistungen erhalten, falls sie beansprucht werden sollten.

Reederei ohne Schiffe

Dabei sind einige Probleme aufgetaucht: Seaborne besitzt bisher kein einziges Schiff und hat auch keine Erfahrungen mit Frachttransport. Die Anlegestellen im Hafen Ramsgate, wo im Ernstfall ab Ende März die aus dem belgischen Ostende kommenden Seaborne-Schiffe entladen werden sollen, sind enger als die modernen Anlagen, sodass dort nur besonders schmale Schiffe anlegen können. Davon gibt es nur wenige, und diese sind oft langfristig ausgebucht. Deshalb hat in Ramsgate auch seit 2013, als die Reederei Transeuropa Bankrott angemeldet hatte, kein Transportschiff vom Kontinent mehr angelegt.

Der Hafen im südenglischen Ramsgate ist nicht für große Schiffe ausgelegt.

Transportminister Chris Grayling verteidigt seine Entscheidung: Er sehe kein Problem darin, dass die Regierung neugegründete britische Unternehmen unterstützt, sagte er der BBC. Dass Texte auf der Website des Unternehmens offenbar von der Internetpräsenz eines Essenzustellers kopiert wurden ("Der Kunde ist verpflichtet, die Lieferung zu überprüfen, bevor er eine Mahlzeit/Bestellung bezahlt", "Es ist Usern untersagt, über die Website falsche Bestellungen aufzugeben", "Lieferkosten werden pro Bestellung errechnet"), sei auf einen Irrtum zurückzuführen und werde umgehend korrigiert, erfuhr der "Guardian" aus dem Ministerium.

Labour-Vizechef Tom Watson kritisiert die Entscheidung der Regierung.

Der Login-Bereich der Seabourne-Website ist auf die Suchmaschine Google verlinkt, das Sprachauswahl-Menü besteht aus einem Union Jack.

Auch Ramsgates konservativer Bezirkshauptmann Paul Messenger äußerte Zweifel an Graylings Entscheidung: "Warum wählt man eine Firma aus, die in ihrer gesamten Geschichte keinen einzigen Lastwagen transportiert hat, und gibt ihr 14 Millionen Pfund?", sagte er der BBC, "ich verstehe die Logik dahinter nicht."

Am Donnerstag begannen in Ramsgate niederländische Baggerschiffe die Zufahrten zu vertiefen, um größeren Schiffen das Anlegen zu ermöglichen. Laut Seabourne Freight sollen die Arbeiten in 25 Tagen abgeschlossen sein, falls es zu keinen wetterbedingten Unterbrechungen kommt. Für den Ausbau des Hafens sind laut lokalen Medien 200 Millionen Pfund (221 Millionen Euro) budgetiert. (bed, 4.1.2019)