Die rechte Hand hat er zum Segen erhoben, in der linken hält er wahlweise eine Himmelskugel oder einen Reichsapfel als Symbol der Weltherrschaft. So weit die seit dem Spätmittelalter für den Bildtypus des Salvator mundi ("Erlöser der Welt") in der christlichen Ikonografie geläufigen Zutaten. Es ist ein Motiv, das gemeinhin weder Hochmut noch Habgier, Rachsucht oder Missgunst repräsentiert und im Falle der derzeit wertvollsten Version doch all das vereint.

Und darüber hinaus. Denn "Mr. Knochensäge", wie Mohammed bin Salman (MbS) seit der kaltblütigen Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul zum Teil bezeichnet wird, verdankt der Kunstmarkt den vorläufigen Auktionsweltrekord: für eine von Leonardo da Vinci oder einem seiner Schüler um 1500 herum bemalte Holztafel.

Der 15. November 2017 wird als denkwürdiger Abend in die Annalen des Kunstmarktes eingehen. Nicht nur, weil sich zwei arabische Kronprinzen im Match um dieses Gemälde in die Quere kamen, weil sie im jeweils anderen den Erzrivalen Katar als Konkurrent wähnten. Ob hier im Vorfeld gezielt Gerüchte lanciert wurden? Vermutlich, denn die Al-Thanis sollen sich schon 2012 nicht für das Bild erwärmt haben, als es ihnen im Umfeld der Da-Vinci-Retrospektive in der National Gallery (London) für "nur" 80 Millionen Dollar angeboten worden sein soll.

"Erlöser der Welt": gemalt von Leonardo da Vinci oder einem seiner Schüler.
Foto: Christie's

Sei es, wie es sei. Sowohl der saudische Kronprinz als auch Abu Dhabis Mohammed bin Zayed (MbZ) wollten dieses von Christie's zur Trophäe inszenierte Werk. Den Zuschlag erteilte man bei 450,3 Millionen Dollar (inkl. Aufgeld). Mit dem Käufer hatte das Auktionshaus, das zum Firmenimperium des französischen Milliardärs François Pinault gehört, eine Teilzahlung vereinbart: sechs Raten zu je 58,4 Millionen Dollar, die letzte war am 14. Mai 2018 fällig.

Das Rätselraten um die neue Heimat des Salvator mundi beendete der Louvre Abu Dhabi, als man am 6. Dezember 2017 die Akquisition via Twitter vermeldete. Dabei war MbS der Käufer gewesen, der das Gemälde jedoch einem saudi-kritischen Medium zufolge nach massiver Kritik aus seinem Umfeld bei MbZ gegen eine Yacht eintauschte.

Verbleib derzeit unbekannt

Seither sind Monate vergangen, in denen mehr Fragen aufkamen, als sich dazu Antworten finden ließen. So wurde die für Mitte September 2018 vorgesehene Präsentation vom Louvre Abu Dhabi ohne Angabe von Gründen auf unbestimmte Zeit verschoben. Das nährte Gerüchte, nicht nur über etwaige Zweifel an der Autorenschaft, sondern auch zum konkreten Verbleib des Werkes. Die Spur scheint sich im Sommer in einem Schweizer Zollfreilager zu verlieren.

Das legen Recherchen der amerikanischen Journalistin Lea Rosenbaum nahe, die sich um eine Klärung bemühte und im Louvre-Umfeld auf eine Mauer des Schweigens stieß. Sie kontaktierte auch Dianne Modestini, jene Restauratorin, die das Gemälde von Übermalungen befreite. Diese berichtet von einem Kollegen, der erst jüngst mit einem neuen Zustandsbericht beauftragt worden sei. Das nährt wiederum Befürchtungen rund um eine fachgerechte Lagerung des Bildes oder dessen Transportfähigkeit.

Gesichert ist, dass sich Zweifel an der auf Expertengutachten basierenden Zuschreibung von Christie's mehren. Etwa auch an den Angaben zur Provenienz, die die Theorie, es handle sich um ein Werk des Universalkünstlers Leonardo da Vinci, stützen sollten.

Werkstattbild

Denn entgegen der Darstellung des Auktionshauses dürfte sich das Gemälde doch nicht im Besitz des englischen Königs Karl I. befunden haben. Der im Katalog zitierte Inventareintrag beziehe sich laut Desmond Shawe-Taylor, Direktor der Royal Collection, allerdings lediglich auf ein gleichartiges Motiv, wie The Art Newspaper Ende November berichtete.

Der Vermerk passe nämlich auch zu einem Salvator mundi, den das Puschkin-Museum 1924 aus einer Moskauer Privatsammlung als ein Werk Leonardos erwarb. Dieses wird mittlerweile seinem Umkreis zugeordnet, konkret Giovanni Pietro Rizzoli, auch Giampietrino genannt. Auf der Rückseite dieses ebenfalls auf ein Walnussholzpaneel gemalten Werkes hat sich die eingebrannte Marke "CR" (Charles Rex) erhalten, womit die königliche Herkunft gesichert ist. Anders als beim "Abu-Dhabi-Bild", dessen Rückseite im 19. Jahrhundert zum Teil abgehobelt und anschließend parkettiert wurde.

Das Gemälde im Wandel der Zeit: Im Vorfeld der Auktion wurden alte Übermalungen abgedeckt und Fehlstellen retuschiert. Eine Kopie (ganz rechts) verweist auf eine gemeinsame Vorlage.
Foto: Christie's / Wikipedia

Die Meinung des britischen Kunsthistorikers und Leonardo-Biografs Martin Kemp kann das alles nicht erschüttern, er verfasste jenes Gutachten, auf das sich Christie's beruft. Jene, die schon im Vorfeld der Auktion Zweifel an Leonardos alleiniger Autorenschaft angemeldet hatten, bekamen jüngst neue Nahrung gereicht, und zwar von Kemps ehemaliger Wirkstätte, der Universität von Oxford. Matthew Landrus forscht dort seit langem zum Umfeld des Meisters. Er meint, dieses Bild müsse im Kontext eines Werkstattbetriebes, der Schüler und zeitnah entstandener Kopien gesehen werden. Zu Letzteren gehört etwa der einst in der Sammlung De Ganay (Paris) beheimatete Salvator mundi, der noch in den 1970er-Jahren ebenfalls unter Leonardo lief und nun als Werkstattbild gilt.

Für dieses dürfte von Schülern die gleiche Vorlage verwendet worden sein wie für jenes aus Abu Dhabi. Dies sei mittels Überspiegelung erkennbarer identischer Konturen eindeutig nachweisbar. Der britische Kunsthistoriker ist überzeugt, das Bild sei zu 80 Prozent von Bernardino Luini gemalt, den Anteil Leonardos schätzt er auf fünf, höchstens 20 Prozent. Die Luini-Zuordnung ist keine neue, sondern Teil der Vita des Abu-Dhabi-Bildes: 1900 war es von Sir Charles Robinson als solcher für die britische Cook Collection erworben worden.

Es bleibt abzuwarten, worauf sich die Fachwelt einigen wird. Den Expertendisput kann der Louvre wohl kaum ignorieren: Weder die Zweigstelle in Abu Dhabi, deren Direktor Manuel Rabaté der Zweifler-Fraktion angehören soll, noch das Mutterhaus in Paris, das Leonardo da Vinci im Herbst anlässlich seines 500. Todestages eine Großausstellung widmen wird.

Gerichtsverfahren

Bis dahin harren auch noch gerichtsanhängige Dispute einer Klärung, in der das Gemälde gleichfalls eine Rolle spielt. Dabei geht es um den russischen Milliardär Dmitri Rybowlew, der Christie's das Gemälde zur Versteigerung überlassen hatte und rein rechnerisch einen satten Gewinn einstreifte. Denn er hatte es 2013 für "nur" 127,5 Millionen Dollar erworben, von Yves Bouvier, einem Schweizer Geschäftsmann, der ihn bei zahlreichen Deals übervorteilt haben dürfte – auch in diesem Fall.

Denn entgegen der vereinbarten Provision von zwei Prozent des Kaufpreises hatte Bouvier am Salvator mundi insgesamt 47,5 Millionen Dollar verdient. Sein Einkaufspreis war bei 80 Millionen Dollar gelegen, und als Verkäufer fungierte das Private Sale Department von Sotheby's. Das stand in weiterer Folge unter Beschuss eines involvierten Händlerkonsortiums, das sich um eine nennenswerte Summe gebracht fühlte und eine Klage androhte. Sotheby's stellte jedwedes Fehlverhalten in Abrede, zog in der Schweiz vor Gericht und bekam in erster Instanz recht.

Anfang Oktober reichte wiederum Rybowlew bei einem New Yorker Gericht Klage gegen Sotheby's ein. Seiner Meinung nach habe das Auktionshaus Bouvier bei seinen Betrügereien geholfen bzw. diese auch noch begünstigt. Seit Anfang November schlägt sich der russische Oligarch indes mit Ermittlungen der Staatsanwaltschaft von Monaco herum. Dabei geht es um Korruption, die bis in die höchsten Regierungskreise des Fürstentums reichen soll, wie Daten der Enthüllungsplattform Football Leaks belegen. (Olga Kronsteiner, Album, 5.1.2019)