Der Bundespräsident erzählt die EU für Kinder: Vor allem deren Eltern sollten gut zuhören.

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Alexander Van der Bellen hatte eine nette Idee. Seine Neujahrsansprache als Bundespräsident machte er zu einer Erklärung über Europa – für Kinder. Das ist in sich schlüssig (wofür sonst als für die kommenden Generationen soll das Projekt "vereintes Europa" gut sein?) und kommt obendrein bei der eigentlich gemeinten österreichischen Wahlbevölkerung sympathisch rüber (Erwachsene sehen es nun mal gern, wenn Erwachsene Kinder belehren).

Ob der von ihm angesprochene fünfjährige Matthias wirklich alle Ausführungen des netten älteren Onkels in der Hofburg erfasst hat, sei dahingestellt: Dass Europa wie ein Schoko-Erdbeer-Vanilleeis mit Salzgeschmack vom Meer schmeckt, hat er bestimmt verstanden, wahrscheinlich auch, dass Europa so notwendig ist wie WLAN – wenn es einmal nicht funktioniert, sind alle frustriert. Falls Matthias schon registriert haben sollte, wie elegant ein Pass von Alaba und wie kraftvoll ein Freistoß von Ronaldo ist und beides dann mit der Vielfalt Europas in Verbindung bringen kann, sollten ihn seine Eltern schleunigst an der Sir-Karl-Popper-Schule für Hochbegabte – und vielleicht auch zum Fußballtraining – anmelden.

Gründungsgedanke bleibt aktuell

Tatsächlich hat Van der Bellen in einfachen Worten auch vom Gründungsmythos der Europäischen Union gesprochen. Krieg, unter dem am Ende alle leiden, sollte in Europa nie mehr möglich sein, das war der eigentliche Beweggrund für die Gründung der (Kohle-Stahl-)Montan-Union, aus der später die Europäische Gemeinschaft und noch später die Europäische Union der 28 (bald nur mehr 27) werden sollte.

Der "Erfinder" der Montanunion, der französische Außenminister Robert Schuman, hatte die Schaffung dieser Gemeinschaft 1951 damit begründet, dass nur so, durch Vergemeinschaftung der kriegswichtigen Güter Kohle und Stahl, der innereuropäische Friede gesichert werden könne, ebenso der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg.

Krieg bleibt immer möglich

Dieser hochpolitische Ansatz wird heute bisweilen als historische Folklore abgetan, und bei Debatten über Zustand und Zukunft der Europäischen Union heißt es oft auch: Das ist vorbei, die EU ist nurmehr eine Wirtschaftsunion. Wer sollte schon gegen Europa Krieg führen wollen? Das ist freilich zu kurz gedacht: Künftige kriegerische Auseinandersetzung darf man sich wohl nicht so vorstellen wie die zwei großen Weltkriege des 20. Jahrhunderts, in denen Millionen Menschen auf europäischem Boden hingemetzelt wurden. Cyberwar, flashmobartige Unruhen auf lokaler Ebene, der Zusammenbruch der Infrastruktur durch Spyware ... viel ist vorstellbar, nichts ist unmöglich.

Die britische Politologin Mary Kaldor warnte vor kurzem im STANDARD, dass es auch in Westeuropa immer mehr Hassverbrechen gebe, dass immer mehr öffentliche Dienstleistungen gestrichen werden und dass die Kombination aus Xenophobie, Verbrechen, gespaltener Gesellschaft und schwachem Staat genau die Atmosphäre sei, "in der neue Kriege entstehen".

EU als Instanz

So weit muss man gar nicht gehen. Es ist, um bei Van der Bellens Bild zu bleiben, wie im Kindergarten: Wenn nämlich ein anderes Kind dem kleinen Matthias sein Spielzeug wegnimmt, dann ist es gut, wenn eine Instanz einschreitet (in dem Fall die Kindergartenpädagogin), die Matthias wiederum daran hindert, den Aggressor zu hauen – und diesen dazu bringt, sich zu entschuldigen. Erst wenn das geklärt wurde, ist friedliches Weiterspielen möglich. Müsste Matthias den Konflikt allein, ohne Hilfe einer Pädagogin, bewältigen – er täte sich gewiss schwerer. Eine Eskalation ist nicht ausgeschlossen. Eine solche Instanz ist die EU. Sie gibt oft genug die Kindergartenpädagogin, die immer wieder zwischen den eigennützig-egoistischen Anliegen der Nationalstaaten vermittelt und eine Eskalation vermeidet. Zuletzt ist es, bei dem besonders verhaltensoriginellen "Kind" Großbritannien, nicht gelungen. Die Folgen sind unabsehbar.

Das sollten vor allem die Eltern der Kinder, die der Bundespräsident angesprochen hat, nicht vergessen. (Petra Stuiber, 4.1.2019)