"Ring"-Dirigent Axel Kober: "Ähnlich wie bei Richard Wagner gibt es im Fußball diese emotionale Faszination. Denn zu Wagner pilgern die Menschen eben auch immer wieder."

Foto: Heribert Corn

Bald ringen sie also wieder um Gold und Macht, Göttervater Wotan samt seiner Sippschaft und die fiesen Nibelungen – und wie immer wird die Liebe auf der Strecke bleiben. Mit Wagners Der Ring des Nibelungen stemmt die Wiener Staatsoper mal wieder den größten Brocken des Opernrepertoires. Axel Kober ist es, der erstmals an diesem Haus an vier Abenden etwa 15 Stunden Musik zu koordinieren und zu verantworten hat. Der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper am Rhein freut sich schon auf die Mammutaufgabe.

STANDARD: In Mannheim, beim ersten "Ring" Ihrer Dirigentenlaufbahn, hatten Sie eine Orchesterprobe pro Werk. Wie viele Orchesterproben haben Sie für Ihren ersten Wiener "Ring" bekommen?

Kober: Gar keine. Aber ich habe viele Proben mit den Sängern, szenische Proben auf der großen Bühne mit Klavier. Wir haben am 27. Dezember mit Rheingold angefangen, mittlerweile proben wir auch die Walküre und Siegfried, auf drei verschiedenen Probebühnen. Klar ist es ein Riesenprojekt, den Ring in so kurzer Zeit wieder aufzunehmen, aber das macht es so besonders und unglaublich spannend.

STANDARD: Die meisten Sänger kennen nicht nur ihre Partien sehr gut, sondern auch die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf. Worum geht es dann bei den Proben: um Tempi, Übergänge, Feinheiten?

Kober: Ja. Auch diese fantastischen Sänger, die diese Partien schon oft gesungen haben, sind neugierig, neue Details zu entdecken, eine andere Sichtweise kennenzulernen. Und so ist das ein Geben und Nehmen, ein gemeinsames Finden. Ich kenne die meisten Sänger ja aus anderen Produktionen: Norbert Ernst hat in meinem Düsseldorfer Ring den Loge gesungen, Iréne Theorin hat in Düsseldorf eine Brünnhilde gesungen, Tomasz Konieczny hat mit mir mal den Wotan gegeben ... Es ist schön, die Sänger nach einer Zeit wiederzusehen und zu schauen, wie sie sich entwickelt haben.

Trailer zur "Rheingold"-Inszenierung an der Wiener Staatsoper
Wiener Staatsoper

STANDARD: Ist es schwer, eine Balance zu schaffen, wenn Sie bei einer Aufführung erstmals mit dem Orchester musizieren?

Kober: Nein. Das geschieht dann alles spontan, und das ist auch ein Spaß! Denn wenn man mit großen Künstlern musiziert, dann können auch alle spontan reagieren. Aber es ist natürlich auch spannend, weil man vorher nie so genau weiß, was dabei rauskommt.

STANDARD: Sehen Sie vor einer Aufführung den Verlauf eines Werks vor sich wie ein Bergführer die Route, die er mit seiner Gruppe gehen wird?

Kober: Ja, ich habe schon das gesamte Werk im Blick. Aber ein guter Bergführer kennt seinen Berg und muss sich den Plan am Tag des Aufstiegs nicht mehr zurechtlegen. Er weiß, wo die Gefahren sind, und kann die eine oder andere Stelle im Vorfeld umgehen – oder auch den spektakuläreren Weg wählen!

STANDARD: Sie haben an der Staatsoper bereits Humperdincks "Hänsel und Gretel" geleitet, ebenfalls ohne Orchesterprobe. Wie ist es, wenn man ein Orchester erstmals dirigiert?

Kober: Es ist immer spannend, so ein fantastisches Orchester zum ersten Mal in einer solchen Situation zu erleben. Anfangs ist es ein Erspüren: wie man Kontakt zu den Musikern herstellt, wie man das Orchester am besten erreicht. Das ist ein Gewöhnungsprozess. Aber ich hatte vor zwei Jahren in Wien das Gefühl, schnell einen guten Kontakt zum Orchester zu haben.

STANDARD: Sie sind seit 2009 GMD der Deutschen Oper am Rhein und mussten in den letzten Jahren auch mit Subventionskürzungen umgehen. Generell: Warum soll oder muss sich eine Gesellschaft heutzutage Oper leisten? Was ist ihr Mehrwert?

Kober: Kultur ist unglaublich wichtig für die Gesellschaft, wenn man den Wert vielleicht auch nicht messen kann. Kultur ist charakterbildend, inspirierend, unterhaltend. Außerdem ist es so, dass viele Fragen und Themen, mit denen sich eine Gesellschaft beschäftigt, in der kulturellen Historie schon einmal eine Antwort gefunden haben.

STANDARD: Inspirierend und unterhaltend kann auch ein Fußballspiel sein. Sie sollen durch Ihre drei Söhne ja zu einem Anhänger von Borussia Dortmund geworden sein. Die Hinrunde der Borussia war ja ein Spektakel, mit einem furiosen Marco Reus und seinen jungen Adjutanten. Hatten Sie Zeit, sich ein Spiel anzuschauen?

Kober: In dieser Saison leider noch nicht. Aber die Stimmung im Westfalenstadion: Das ist unglaublich, das ist eine perfekte Inszenierung! Da könnte man sich auch fragen: Was gibt das den Menschen eigentlich, die da Woche für Woche hinpilgern? Das sind Emotionen, die man nicht genau benennen kann. Ähnlich wie bei Wagner gibt es diese emotionale Faszination. Denn zu ihm pilgern die Menschen eben auch immer wieder. (Stefan Ender, 8.1.2019)