Dieser und folgende Blogbeiträge basieren auf der Sammlung "Steirische Sagen von Hexen und Zauberei" des Historikers Walter Brunner. Das verwendete Textkorpus bezieht sich bis auf wenige Ausnahmen, wie etwa die Sagen rund um die Feldbacher Hexenprozesse, keinesfalls auf "historische" Sagen. Stattdessen sind sie "Ausdruck der eigenen Lebenserfahrung von höchstens drei oder vier Generationen" – was heißt, dass sie aus dem 19. Jahrhundert stammen und reale Hexenverfolgung oder Verurteilungen wegen Zauberei nur mehr als Echo einer fernen Vergangenheit gelten können. Gleichzeitig ermöglicht eben diese "zeitnahe" Überlieferung einen guten Einblick in die Vorstellungen von Hexerei und Zauberei in der ländlichen Steiermark bis ins 20. Jahrhundert hinein und macht den fließenden Übergang von halb geglaubten, halb verlachten Praktiken hin zu einer lokalen Neuinterpretation im touristischen Kontext sichtbar.

In dieser Sagensammlung begegnen überraschend viele Priester als Zauberkundige oder zumindest Zauberinteressierte. Ihre diesbezügliche Tätigkeit reicht dabei von der Verwendung christlicher Mittel wie Weihwasser als "guter" Gegenzauber über neugieriges Hineinlesen in konfiszierte Zauberbücher bis zur aktiven Teilnahme oder gar Anführerschaft bei Hexenflügen und massivem Schadenszauber.

Zeichnung der Riegersburg 1681. Kurz zuvor fanden in der Gegend Hexenprozesse statt.
Foto: Public Domain

Teuflische Pfarrer als Verdreher katholischer Praktiken

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel, dessen Hauptfigur auch historisch belegt ist, stellt die Sage "Der Hexenpfarrer von Hatzendorf" dar. Sie ist im historischen und geografischen Kontext der Feldbacher Hexenprozesse 1673-1675 angesiedelt. Der Pfarrer von Hatzendorf, Gregor Agricola, war als eine der führenden Figuren der Zauberei beschuldigt und hingerichtet worden. In der Sage wird ihm nun alles unterstellt, was in einem christlichen Weltdeutungsmodell als "böse" und "pervers" im wörtlichen Sinn, also die christliche Ordnung verkehrend, gelten muss: "Er taufte Kinder im Namen des Teufels, schändete die Hostie, er sammelte seine Anhänger im Hubertushof bei Riegersburg und hielt mit ihnen nächtliche Gelage beim Andreaskreuz im Hatzendorfer Wald, wobei er roten und weißen Wein aus dem hohlen Baum zauberte, wobei man tanzte, schlemmte und groben Unfug trieb." Hinzukommen noch in einer weiteren Sage, die direkt auf die Feldbacher Hexenprozesse Bezug nimmt, ein Kindsmord einer der weiblichen Hauptangeklagten sowie "Hexenorgien des Pfarrers Agricola im Hatzendorfer Wald".

Diese steirische Version des traditionellen Hexensabbats ist beinahe Punkt für Punkt dem "Textbook" mittelalterlicher Häresievorwürfe entlehnt, wie sie seit dem 12. Jahrhundert seitens der Kirche gegen alle Ketzer erhoben wurden. Die Vorstellung dahinter ist, dass, wer nicht Gott anbetet, den Teufel verehren muss und dies natürlich in einem ähnlichen Procedere tut, wie man es aus christlichen liturgischen Feiern kennt. Taufe, Eucharistie inklusive Wandlung (Transsubstantiation) im Rahmen einer feierlichen Versammlung – all das gehört(e) zum katholischen Gottesdienst, nur dass hier statt ruhiger Askese eben Tanz und Völlerei praktiziert wurden. Somit ist es in frühneuzeitlicher Logik nur konsequent, dass ein Priester dem unheiligen Treiben vorsteht.

Illustration von Martin van Maele zur Schwarzen Messe. Der Pfarrer vollführt das Ritual.
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Der Pfarrer war nicht nur, wie Brunner ausführt, bis ins 19. Jahrhundert in ländlichen Regionen oftmals der einzige Gebildete, der noch dazu mit lateinischen Texten umzugehen wusste. Er war auch im bis heute gültigen Verständnis der katholischen Kirche durch seine Priesterweihe in einem "besonderen" Status, der es ihm ermöglichte, gültige Sakramente zu spenden und die "Wandlung" zu vollziehen, sprich Brot und Wein im Rahmen der Messe zu Leib und Blut Christi werden zu lassen. Der Pfarrer als magisch qualifizierte Person entsprang also nicht zuletzt dem katholischen Amtsverständnis selbst. Auch die Angst, gerade mit derartiger Macht bedachte Personen aus den eigenen Reihen könnten zu Häretikern beziehungsweise Schadenszauberern werden, ist keine Erfindung oststeirischer Fantasie des 17. Jahrhunderts. In viele Häresieprozesse des Mittelalters waren Kleriker in führender Position verwickelt.

Typische Charakteristika des Zauberpfarrers

Im konkreten Fall der Sagen rund um die Feldbacher Hexenprozesse lässt sich sehr gut das Profil eines Zauberpfarrers herausarbeiten: Gebildeter als fast alle in seinem Umfeld, aufgrund der beruflichen Position offiziell mit "magischen Handlungen" im Sinne christlicher Rituale betraut, wäre seine Aufgabe ein wirkmächtiges Vorgehen gegen den Schadenzauber, der sich vor allem in Hagel und anderen landwirtschaftlichen Problemen manifestierte, gewesen. Da dies unterblieb, war die Erklärung seiner aktiven Teilnahme an den schädigenden Praktiken naheliegend. Hinzu kam zweifelsohne der lebensweltliche Sonderstatus des Priesters als – offiziell – zölibatär, der ihn in eine besondere Beziehung zu Frauen brachte, die als Mehrheit der Teilnehmer an den zauberischen Aktivitäten beschrieben wurden.

Den Beleg dafür, dass sich der Pfarrer von Hatzendorf der dunklen Seite der Zaubermacht, sprich dem Teufel, verschrieben hatte, findet die Sage in dessen Ende: Nach Verhaftung und Exkommunikation sei er eines Morgens "erdrosselt am Boden" gelegen und "ein schwarzer Rabe aus dem Fenster" geflattert – "augenscheinlich hatte der Teufel die Seele des Pfarrers geholt".

Priesterliche Zauberei im Auftrag des Papstes

Als leuchtendes Gegenbeispiel kann dagegen der Pfarrer von Lind in der Sage "Die Hubmayrin als Strickmelkerin" in Möbersdorf (heute Marktgemeinde Weißkirchen) in der Obersteiermark gelten: Er überführt eine des Schadenszaubers (gegen das Vieh eines Bauern) angeklagte Frau höchstselbst der Hexerei: Nachdem er sie zwecks Beobachtung im Pfarrhof als Dienstmädchen angestellt hat, beobachtet er sie eines Nachts beim Strickmelken – eine weitverbreitete Form ruraler Zauberei, bei der aus einem Strick mittels Zauberformeln Milch gemolken wird. Daraufhin schreitet er selbst – im Auftrag des Papstes, wie die Sage betont – zur Verbrennung der Hexe: "Der Pfarrer hat sie im Auftrag des Papstes in eine einsame Holzknechthütte geschickt, wo schon alles vorgerichtet war. Die zugefallene Tür brachte sie nicht mehr auf und die Knechte haben die Hütte an vier Ecken angezündet. Und weil’s Feuer der Pfarrer geweiht hat, hat sie’s nit löschen können."

Die Wirkmächtigkeit des priesterlichen Zaubers wird auch hier nicht in Zweifel gezogen, nur geschieht sie in Übereinstimmung mit der kirchlichen Obrigkeit.

Im Graubereich angesiedelt ist schließlich das Tun des Pfarrers aus dem Raum Scheifling (Obersteiermark) in "Der Pfarrer lernt hexen". Als eine alte Hexe am Totenbett den Pfarrer rufen lässt, nimmt dieser ihr das "Zauberbüchel" ab, um es zuhause selbst auszuprobieren. Es bleibt allerdings bei einem sehr harmlosen Versuch: Der Pfarrer zaubert sich Butter her. Diese ist jedoch, wie sich herausstellt, unbrauchbar und die Sage endet damit, dass der Priester "das Büchel einheizt." Das Nebeneinander von "Hexen" und Pfarrer, der offenbar um deren Tun weiß, wird nicht weiter problematisiert, und weder für die Hexe noch den Pfarrer hat die Zauberei offenbar moralische Folgen.

Religiöse Experten für klerikalen "Hokuspokus"

Die Zauberpfarrer in steirischen Sagen lassen sich auch in einen weit größeren religionswissenschaftlichen Kontext stellen: Sie reihen sich unter die in verschiedenen Religionssystemen zu findenden religiösen Experten ein, denen der Kontakt mit der Transzendenz obliegt. So wie diese Transzendenz als positiv oder negativ erlebt wird, kann beziehungsweise muss auch die Vermittlergestalt des religiösen Experten grundsätzlich beide Aspekte beherrschen, sprich Schadenszauber ausführen und abwenden. Ein derartiges Konzept ist mit dem christlichen Verständnis des Priesters auf theologischer Ebene zwar nicht vereinbar, es war aber in den Köpfen der Gläubigen bis weit über die Aufklärung hinaus verbreitet und wurde letztlich wohl erst mit der großen Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils, welches den Priester dem Volk zugewandt und in der jeweiligen Volkssprache die Messe feiern ließ, beseitigt. Bis dahin konnte aus den Worten "hoc est enim corpus meum" nicht nur in steirischen Sagen sehr rasch klerikaler "Hokuspokus" werden. (Theresia Heimerl, 16.1.2018)

Literaturhinweise

  • Walter Brunner, Steirische Sagen von Hexen und Zauberei, Graz 1987.
  • Jeffrey B. Russell / Brooks Alexander, A New History of Witchcraft. Sorcerers, Heretics and Pagans, London 2007.
  • Valentinitsch, Helfried (Hg.), Hexen und Zauberer. Die große Verfolgung – ein europäisches Phänomen in der Steiermark, 1987.
  • Valentinitsch, Helfried, Hexen und Zauberer in der Steiermark, hg. v. Markus Steppan, Graz  2004.

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