Das Comic-Jahr 2018 war von Frauen geprägt – zumindest aus der Sicht von Pictotop, dem Comic-Blog des STANDARD (der einen Fokus auf Bücher aus den Bereichen Gesellschaft, Zeitgeschichte und Wissenschaft sowie auf österreichische Comics legt).

Newcomerinnen überraschten mit großartigen Storys, andere wiederum widmeten sich mit frischen Zugängen explizit feministischen Themen oder erzählten Geschichten, in denen vergessene Heldinnen aus der Versenkung der Geschichte geholt werden.

Abgesehen davon lässt die kleine Auswahl an Fundstücken der grafischen Literatur, die wir hier vorstellen, darauf schließen, dass es einen gewissen Hang zu Monstern gibt – von Emil Ferris' Graphic Novel "Am liebsten mag ich Monster", die von der deutschsprachigen Comic-Kritik zum überragenden Sieger gewählt wurde (siehe hier die Bestenliste), bis hin zu Nicolas Mahlers neuestem Streich "Das Ritual", der die Geschichte hinter den Gummimonstern in Godzilla-Filmen aufgreift.

Welche Graphic Novels haben Sie im letzten Jahr beeindruckt? Posten Sie Ihre Lieblingscomics! (Karin Krichmayr, 19. 1. 2019)

Das Monster in uns

Man mixe Pulp-Comics der 50er und 60er mit einem verstörendem Krimi, dazu Horrorfilme mit einem Familiendrama, füge eine ganze Reihe starker Charaktere hinzu und versetze das alles mit grandiosen Zeichnungen, die mitunter an Robert Crumb erinnern ebenso wie an die großen Illustratoren des 19. Jahrhunderts.

"Am liebsten mag ich Monster" ist das Debüt der 56-jährigen Illustratorin Emil Ferris und führt in das verlotterte und durch Unruhen geschüttelte Chicago der 1960er-Jahre. Die zehnjährige Karen Reyes verschlingt alles, was sie über Monster kriegen kann. In ihrem Notizbuch – das die Graphic Novel abbildet – hält sie fest, was sie bewegt: ihre Existenz als Außenseiterin, die in einer ungewöhnlichen Familie aufwächst, und vor allem den Mord an ihrer jüdischen Nachbarin, der sie in allerlei menschliche und unmenschliche Abgründe führt.

Auf wechselnden Erzählebenen und mit liebevollen wie verstörenden Bildern porträtiert sie den Geist einer Epoche und zeigt uns, wie vielgestaltig die Monster in und um uns sein können. Für das monumentale 400-Seiten-Meisterwerk erhielt Ferris bereits die wichtigsten Preise, die für Comics und Graphic Novels vergeben werden: den Ignatz Award in zwei Kategorien und den Eisner Award. Brillant!

Emil Ferris, "Am liebsten mag ich Monster", € 40,10 / 420 Seiten, Panini 2018

Foto: Panini Comics/Ferris

Meisterhafter Lauf

Ein lesbisches Coming-out zwischen beinhartem Eiskunstlauftraining und der Suche nach Geborgenheit, zwischen dem Rausch des Erfolgs und totaler Erschöpfung: Betörend ruhig und doch unglaublich mitreißend sind die 400 Seiten, auf denen Tillie Walden die Verwirrungen und Verrenkungen ihrer Jugend aufblättert.

Für ihre Comic-Memoir "Pirouetten" wurde die erst 22-jährige Texanerin mit einem Eisner Award, der wichtigsten Auszeichnung für grafische Literatur, ausgezeichnet – als jüngste Preisträgerin in der Geschichte. "Pirouetten" ist bereits ihre vierte Graphic Novel – und die fünfte ist bereits auf Englisch erschienen.

"On a sunbeam" ist die geniale Story einer renitenten Teenagerin im Weltall, eine zu Recht hochgelobte Space Opera im intergalaktischen Raum. Mit den Worten eines ihrer Fans, Brian K. Vaughan ("Saga"): "Tillie Walden is the future of comics, and On a Sunbeam is her best work yet. It’s a ‘space' story unlike any you’ve ever read, with a rich, lived-in universe of complex characters." Wir wollen mehr!

Tillie Walden, "Pirouetten". € 29,90 / 400 Seiten. Reprodukt 2018
"On a sunbeam", € 17,99 / 544 Seiten, First Second 2018

Foto: Reprodukt/Walden

Comic-Abrechnung mit Thomas Bernhard

Thomas Bernhards erster Band seiner autobiografischen Schriften, "Die Ursache", ist ein harter Brocken. Er ist eine schonungslose Abrechnung mit dem Grauen der Internatszeit in Salzburg, das sich auch nach dem Ende des Nationalsozialismus und der Kriegsschrecken wenig lichtete – übernahm doch der Katholizismus eine ähnliche Rolle, was die Züchtigung der Zöglinge betraf.

Der 1988 in Tirol geborene Lukas Kummer hat in seiner Graphic-Novel-Adaption eine eindringliche Bildsprache gefunden, die Bernhards Text Raum lässt, seinem Rhythmus folgt. Die Worte werden förmlich getragen von der oft stark stilisierten Bildebene. Zeichnungen, die grafischen Mustern gleichen, und nur leicht veränderte Variationen von Motiven über weitere Strecken sind beklemmende Spiegel der Angst, der Verachtung, der Widerwärtigkeit und Brutalität, die von einem System der Misshandlungen und des "Geistesmordes" ausgingen. Ein packendes Dokument Zeitgeschichte, das in dieser sehr respektvollen Annäherung ein würdiges Comeback erhält.

Mehr zu Lukas Kummers Buch "Die Verwerfung" hier.

Thomas Bernhard, Lukas Kummer (Illustrationen), "Die Ursache", € 22 / 112 Seiten, Residenz Verlag 2018

Foto: Residenz Verlag/Kummer

Sexismus auf der Schmäh-Schaufel

In "Der Ursprung der Welt" hat die schwedische Comiczeichnerin Liv Strömquist schon einmal eine steile Vorlage dafür geliefert, wie man krude Theorien über das weibliche Geschlecht, konkret die Vulva, ins Reich der Mythen verweist. In "Der Ursprung der Liebe" legt sie gleich noch einmal nach: In losen Episoden seziert sie die Grundprobleme amouröser Verstrickungen zwischen Mann und Frau, legt die Wurzeln von Sexismus offen und garniert das Ganze mit gnadenlosen Witzen auf Kosten aller Beteiligten. Feministische Aufklärungsarbeit mit Garantie für spontane Lachkrämpfe!

Eine ausführlichere Rezension lesen Sie hier:

Die feministische Bibliothek: "Der Ursprung der Liebe"

Liv Strömquist, "Der Ursprung der Liebe", € 20 / 136 Seiten. Avant Verlag 2018

Foto: Avant/Strömquist

Im Reich der Zeichnungen

Es ist die reinste Kontemplation, sich mit Igort auf eine wundersame Reise durch Japan zu begeben. Man scheint förmlich zu schweben durch Landschaften, die in die Pastelltöne vergilbter Postkarten getaucht sind, vorbei an Dämonen, die durch uralte Mythen geformt wurden, vorbei an allgegenwärtigen Zeichen und Zeichnungen, die voll stiller Poesie sind.

Igort (eigentlich Igor Tuveri) ist einer der bekanntesten italienischen Zeichner und arbeitete in den 1990ern als einer der ersten westlichen Comiczeichner in Tokio für den dortigen Comicmarkt. Seine Liebe zu den vielseitigen Facetten der oft widersprüchlich anmutenden japanischen Kultur hat er bereits in "Berichte aus Japan – Eine Reise ins Land der Zeichen" (Rezension hier) verarbeitet, nun ist er für einen Folgeband wieder zurückgekehrt.

Wieder taucht er mit einer stilistischen Bandbreite ein in die Welt der Kunst und Kulturgeschichte und erkundet die Ursprünge einer faszinierenden Gesellschaft. Dazu porträtiert er japanische Literaten wie Matsuo Bashō oder Kawabata Yasunari, den Literaturnobelpreisträger von 1968, begibt sich an verlassene Orte genauso wie in die sinnesbetäubende Kakofonie der japanischen Megacitys. Die perfekte Reise im Kopf.

Igort, "Berichte aus Japan 2. Ein Zeichner auf Wanderschaft", € 24,70 / 184 Seiten, Reprodukt 2018

Foto: Reprodukt/Igort

Widerstand in den Bergen, Teil 1

Es ist ein erschütterndes Stück Zeitgeschichte, das sich am 25. April 1945 am Peršmanhof in der Abgeschiedenheit der Kärntner Berge nahe Eisenkappel / Železna Kapla zutrug: Ein SS-Polizeibataillon stürmt den Hof, der von der Großfamilie Sadovnik bewirtschaftet wird. In den letzten Tagen des Krieges hat dort eine Gruppe von Partisaninnen und Partisanen Zuflucht gefunden. Die Aktion geht schief, es kommt zum Massaker an der Familie. Vier Erwachsene und sieben Kinder werden ermordet.

Die Autorin Evelyn Steinthaler und die Comiczeichnerin Verena Loisel erzählen die Geschichte aus der Perspektive eines der drei überlebenden Kinder, der damals 13-jährigen Ana Sadovnik. In rasanten Panelabfolgen, ohne viele Worte und mit kantigen Figuren mit mangaartigen Gesichtern, dokumentiert "Peršmanhof" einen brutalen Fall der Endphaseverbrechen der Nazis – und beleuchtet einen zentralen Teil der Geschichte der Kärntner Sloweninnen und Slowenen und der Widerstandsbewegung, für die der Peršmanhof ein wichtiger Stützpunkt war.

Mehr dazu lesen Sie hier:

"Peršmanhof": Graphic Novel über NS-Massaker

Evelyn Steinthaler, Verena Loisel, "Peršmanhof. 25. April 1945", € 14 / 72 Seiten, Bahoe Books 2018

Foto: Bahoe Books

Widerstand in den Bergen, Teil 2

Es sind verdrängte und vergessene Geschichten, die auch Thomas Fatzinek in "Die Schönheit der Verweigerung" ans Licht holt: die Lebenswege der Partisanen und Partisaninnen, die im Salzkammergut Widerstand gegen das NS-Regime leisteten. Der österreichische Künstler, der sich schon in einer Reihe von Comics der Aufarbeitung der dunkelsten Kapitel der heimischen Geschichte gewidmet hat, zeigt hier in schnörkellosen biografischen Abrissen, wie eine Handvoll Frauen und Männer ein Netz aus Fluchthelfern und Kämpfern aufbauten, die unter Lebensgefahr dem Grauen trotzten und nicht zuletzt dabei halfen, dass hochrangige Nazis zu Kriegsende nicht entkamen.

Eine ausführlichere Rezension lesen Sie hier:

Comic über die vergessenen Partisanen vom Ausseerland

Thomas Fatzinek, "Die Schönheit der Verweigerung", € 12 / 60 Seiten, Bahoe Books 2018

Foto: Bahoe Books/Fatzinek

Im Bett mit Mr. Spock

Körperbehaarung, Penisneid und Kinderkriegen: Das sind nur einige der Themen, die Katja Klengel in ihren Comicstrips abhandelt. Die junge deutsche Comiczeichnerin aus der Generation Sailormoon dreht in "Girlsplaining" den Begriff Mansplaining (= Man is explaining) um und zeigt, was wirklich Sache ist. Als eine Art Anti-Carry-Bradshaw beamt sie sich ins Bett mit Mr. Spock, erträumt sich ein Baby-Kettensägenmassaker, sinniert über wahre Heldinnen und Freuds verkorkste Theorien. Erfrischend!

Eine ausführlichere Rezension lesen Sie hier:

Comic-Kolumnen: "Don't be such a dick, Freud!"

Katja Klengel, "Girlsplaining", 18€ / 160 Seiten, Reprodukt 2018

Foto: Reprodukt/Klengel

Der Mann hinter Gozilla

Was Humor im österreichischen Comic betrifft, gilt schon lange: trocken, trockener, Mahler. In seinem neuesten Werk "Das Ritual" nimmt er es mit einem in seiner Lebenseinstellung ebenso staubtrockenen Meister auf, nämlich dem japanischen Trickfilmpionier Tsuburaya Eiji, der Godzilla und andere Kinomonster zum Leben erweckte. Das Ergebnis ist ein pulpiges Dokucomic, in dem Eiji (der nicht namentlich genannt werden will) im Zwiegespräch mit dem Autor Einblicke in sein Schaffen gibt – das sich nie um Handlung, sondern allein um die serielle Inszenierung von Menschen in Gummikostümen dreht. Zen-Buddhismus als B-Comic, einfach genial!

Mehr dazu hier:

"Godzilla" und Nicolas Mahlers Comic-Hommage an die Gummimonster

Nicolas Mahler, "Das Ritual", € 14 / 64 Seiten, Reprodukt 2018

Foto: Reprodukt/Mahler