Das Goldene Dreieck: Eine Statue am Mekong markiert die Dreiländergrenze zwischen Thailand, Myanmar und Laos.

Foto: Sascha Aumüller

Drei Menschen aus Doi Tung, die den Opiumanbau in Thailand und die Zeit danach miterlebt haben: Penni Prombutys Vater versorgte die Schmuggler mit Waffen.

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Chakue Lahuna war Waffenträger.

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Im Botanischen Garten von Doi Tung.

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Chamnan Apisoonthornkul war 21 Jahre lang opiumabhängig.

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Ein kleiner Haustempel im Regenwald von Doi Tung.

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In Doi Tung wird seit einigen Jahren auch handgeschöpftes Baumwollpapier hergestellt.

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Eine von 350 Frauen aus den Bergdörfern rund um Doi Tung, die nach dem Schleifen der Opiumfelder in einer kleinen Baumwollmanufaktur arbeitet.

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Es zirpt und es wuselt in den Baumwipfeln von Doi Tung im Norden Thailands. Neben Singvögeln wie der Dajaldrossel und dem Rotscheitel-Bartvogel rascheln in der obersten Etage des Regenwalds auch Menschen: Gärtner und Touristen, leicht voneinander zu unterscheiden. Die Gärtner erkennt man an zwetschkenfarbenen Blaumännern und großen Heckenscheren. Sie schneiden völlig ungesichert in schwindelerregenden Höhen das wuchernde Geäst in dem paradiesischen Botanischen Garten von Doi Tung.

Touristen dagegen lassen sich durch Merkmale wie Gurtzeug und Selfiesticks identifizieren. Sie filmen ihren seilversicherten Spaziergang durch die Baumwipfel vulgo Tree-Top-Walk. Was lernen wir aus dieser Beobachtung? Lektion eins: Hier gibt es verdammt viele hohe Bäume. Lektion zwei: Der Höhenrausch ist in Doi Tung die häufigste von Form von Trunkenheit. Beides war vor 30 Jahren völlig anders.

Lebensgrundlage Opiumfeld

Die Grenzregion von Thailand, Laos und Myanmar, besser bekannt als das Goldene Dreieck, glich damals einer Mondlandschaft. Fast alle Bäume des Hochlands waren gerodet worden, um für den Anbau von Schlafmohn Platz zu schaffen. Im Goldenen Dreieck ist bis 1988 mehr als die Hälfte des weltweit verfügbaren Opiums produziert und zum großen Teil als Heroin in Umlauf gebracht worden. Kaum jemand wagte es, auch nicht Polizei oder Militär, die Region zu betreten. Schmuggler führten untereinander Krieg, und die Grenzen waren durchlässig. Mitten in dieser gesetzlosen Gegend wohnten von allen Seiten geprügelte Bauern, deren einzige Lebensgrundlagen die Opiumfelder waren.

Auf der thailändischen Seite des Goldenen Dreiecks liegt in 1.400 Metern Seehöhe und in Sichtweite zu Myanmar Doi Tung: eine Siedlung, die aus insgesamt 30 verstreuten Dörfern besteht. Im Jahr 1987 kam Prinzessin Srinagarindra, die Mutter von König Bhumibol, in diesen Ort. Auf einem Hügel über dem Ort ließ sich die 87-Jährige, die eigentlich aus ärmlichen Verhältnissen stammt, ein gigantisches hölzernes Chalet errichten, wie es auch in St. Moritz oder in Kitzbühel stehen könnte.

"Helikoptermutter"

Doi Tung hatte sie sich nach einem Leben in der Schweiz als ihr neues Zuhause ausgesucht, weil sie die Nordprovinzen Thailands vom Wandern her kannte. Dabei blieb der ausgebildeten Krankenschwester und Hebamme nicht verborgen, dass die Region völlig ohne ärztliche Versorgung auskommen musste. Also schickte sie erst einmal Helikopter mit Ärzten und Medizin – ihr Ruf als halbgottgleiche Königinmutter war damit befestigt. Fortan nannte man die "Helikoptermutter" in der Region nur noch Mae Fah Luang – "königliche Mutter aus dem Himmel".

Die letzten Lebensjahre bis zu ihrem Tod als 94-Jährige verbrachte Prinzessin Srinagarindra damit, von Doi Tung aus ein Projekt ins Rollen zu bringen. Als die thailändische Regierung Ende der 1980er-Jahre beschlossen hatte, alle Opiumfelder auf ihrem Staatsgebiet niederzubrennen – einige klandestine existierten noch bis 2003 –, wurde die Mae-Fah-Luang-Stiftung gegründet. Deren primäre Aufgabe war es, in der Region Alternativen zum Opiumanbau entstehen zu lassen, die sich selbst tragen. Die Laufzeit des Projekts ist 1988 auf 30 Jahre festgesetzt worden – nun können sich Reisende selbst ein Bild machen.

Primeln statt Mohn

Als Startschuss zum zentralen Aspekt, der Wiederaufforstung, ließ Prinzessin Srinagarindra damals den Botanischen Garten für die Bewohner des Dorfes anlegen. Auf einem Picknickplatz zwischen Beeten mit Blumen, die so rot wie Schlafmohn, aber nur Primeln sind, sitzen an diesem Nachmittag drei ältere Herrschaften aus dem Dorf. Penni Prombuty erzählt, wie sie einst mit ihrem Vater über die grüne Grenze aus Myanmar nach Thailand kam. "Wir sind Burmesen, doch mein Vater floh, um gegen Truppen aus Myanmar zu kämpfen." Die 60-Jährige setzte zu Beginn des königlichen Projekts wenig Hoffnung in dessen Erfolg. Zunächst flüchteten ihr Vater und sie selbst vor den Regierungsbehörden, da sie Teil des profitablen Geschäfts mit Opium waren. Prombuty wuchs mit einem Arsenal im Wohnzimmer auf, weil ihr Vater Waffen an die Schmuggler verkaufte und gut damit verdiente.

"Früher galt: Wenn du Opium hast, hast du alles", sagt sie und findet wehmütige Worte für die "gute alte Zeit": Vor 1988 sei ihre Familie wohlhabend gewesen, das Leben war aufregend. Häufig begleitete sie ihren Vater bei den illegalen Waffenverkäufen, traf Leute aus unterschiedlichen Volksgruppen und unterhielt sich blendend. "Das einzig Blöde war, dass sich niemand traute, um meine Hand anzuhalten. Alle fürchteten meinen Vater." Heute verbringt sie viel Zeit in ihrem Haus, es ist ihr oft langweilig. Als das Projekt ins Rollen kam, ging sie ins Ausland, verbrachte viele Jahre in Taiwan, Japan sowie Korea – und kam irgendwann trotzdem zurück. "Das Projekt hat Wirkung gezeigt, jetzt kann man es hier aushalten", sagt sie knapp.

Im Sold der Milizen

Aus dem Mund von Chakue Lahuna hört sich alles ein wenig begeisterter an: "Das Projekt hat viel verändert für Leute wie mich. Ich stamme aus einer Familie mit fünf Kindern, und wir mussten von klein auf arbeiten", sagt der 65-Jährige. Lahuna stand als Waffenträger im Sold der Opiummilizen und folgte ihren Karawanen überallhin. Schusswunden und selbst kleine Blessuren konnten schlimme Folgen haben, da ärztliche Versorgung fehlte. Als einzige Medizin diente Opium.

Lahuna ist ein typischer Fall: Von den damals 9.000 Leuten in der Region um Doi Tung waren gut 60 Prozent in den Opiumhandel verwickelt. Nur die wenigsten wurden damit reich. Als das Projekt ins Laufen kam, bekamen alle Bürger in der Verwaltungseinheit einen eigenen Ausweis. Er gibt ihnen das zumindest Recht, ein Stück Land für sich zu nutzen und Lebensmittel anzubauen, wie es nun auch Lahuna tut. Zieht jemand aus der Gemeinde weg, muss er das Land an die Gemeinschaft zurückgeben. Doch so unattraktiv dürfte Doi Tung im Vergleich zu Nachbarregionen nicht sein, denn die Bevölkerung ist auf 12.000 Menschen angewachsen.

Clean ist besser

Was gern vergessen wird: Opium aus dem Golden Dreieck wurde auch in großen Mengen von den Menschen vor Ort konsumiert. Chamnan Apisoonthornkul etwa hat 21 Jahre lang Opium geraucht. "Mein Haus stand genau hier, wo heute der Botanische Garten ist." Fühlte er sich dadurch nicht als Vertriebener? "Ach was, mein Garten war ein staubiges Stück Erde", sagt der 69-Jährige. Auf die Frage, warum er Opium geraucht habe, antwortet er mit nur einem Wort auf Englisch: "Happiness."

Als die Mohnfelder geschleift wurden, stand sein Name auf einer Regierungsliste mit Abhängigen aus der Region. Man bot ihm an, 1.000 Tage in ein Camp auf Entzug zu gehen. So wie 400 andere Menschen aus dem Dorf nahm er das Angebot an. Er betrat das Camp als schwerkranker 40-Jähriger und kam drei Jahre später kerngesund zurück ins Dorf. Wohl auch deshalb wunderte man sich im Camp, als er dort eines Tages wieder anklopfte. "Sie sagten mir im Scherz: Hau ab und sei froh, dass du clean bist." Doch Apisoonthornkul war gekommen, um dort als Pfleger anzufangen. "Die Arbeit macht mir Spaß, und ich verdiene 45 Baht pro Tag (rund 1,20 Euro, Anm.), üblich sind hier zehn Baht."

Gute Preise

Bleibt die Frage, ob sich das Projekt nach 30 Jahren tatsächlich selbst trägt. Angeblich gelingt das seit dem Jahr 2000. Von den rund 12.000 Menschen, die davon profitieren, bleiben 1.200 bei der weiterhin existierenden Stiftung angestellt. Die restlichen 90 Prozent arbeiten in neu geschaffenen Strukturen. Dazu zählen etwa Töpfereien, die unter anderem Ikea beliefern, und Manufakturen für feines, handgeschöpftes Baumwollpapier. Noch mehr arbeiten in der Landwirtschaft. Anstelle der Mohnfelder überziehen nun Macadamia-Sträuche das Hochland. Beim Verkauf der seltenen Nüsse werden gute Preise erzielt, die Schalen kommen überall in der Region als Dünger zum Einsatz. Auch Kaffee aus Doi Tung hat sich einem Namen gemacht: Für einen Kilopreis von bis zu 220 Euro findet er Abnehmer bis ins geschmackverwöhnte Japan.

Und die wie aus dem Nichts gewachsenen Bäume? Sie sind die Grundlage für alles, was heute Geld einbringt. Auch 800.000 Touristen kommen jährlich vorwiegend für Trekkingtouren im Regenwald in ein Gebiet, das man früher tunlichst mied. Viele von ihnen quartieren sich bei früheren Opiumbauern in den Bergen ein, in denen kein Mohn mehr blüht. (Sascha Aumüller, 11.1.2019)