In dieser Woche erinnert sich Doris Knecht, wie selbstverständlich sie früher Handstände und Salti gemacht hat. Ihr Projekt für 2019: die Kindheitserinnerung wiederholen.

Foto: Irina Gavrich

Ein Rückwärtsköpfler vom Dreimeterbrett ist ganz leicht. Man klettert die Leiter hinauf, steigt aufs Brett und geht ganz nach vorn. Es bebt ein bisschen, aber es ist nicht rutschig. Besser nicht nach unten sehen, einfach geradeaus gehen. Das Brett ist rau, man kann nicht ausrutschen. Man geht an den vorderen Rand, dann dreht man sich, bis die Fersen genau an den Brettrand anschließen oder ein bisschen darüber hinausragen. Dann streckt man die Arme über den Kopf und lässt sich stocksteif fallen, kerzengerade nach hinten.

Es ist ganz leicht, man darf nur einfach nichts machen, während man kurz durch die Leere stürzt: nicht schrecken, nicht bewegen, nicht in irgendeine Richtung einknicken. Man lässt sich fallen und taucht eine halbe Sekunde später mit den Fingerspitzen voraus im 90-Grad-Winkel ins Wasser. Es kann eigentlich überhaupt nichts passieren. Es ist babyleicht.

Heuer Handstand

Heuer will ich einen Handstand schaffen, einen ordentlichen. Ich möchte wieder ein Gefühl dafür bekommen, dass ich meinen Armen vertrauen kann, meinen Knochen, meinen Gelenken, meinen Muskeln, dass sie stark genug sind, dass sie mich halten. Dass sie nicht auslassen oder einknicken oder zerbrechen, wenn ich mich auf ihnen hochdrücke. Ich will mich das wieder trauen, wie ich es mich als Kind getraut habe, als ich völlig gedankenlos in den Handstand schwingen und minutenlang stehen und ein bisschen herumspazieren konnte.

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"Ich will mich das wieder trauen".
Foto: Getty Images/ Fotograf: Portra

Ich will auf meinen ausgestreckten Armen an einer Wand lehnen, ein paar Sekunden lang. Und vielleicht schaffe ich es dann auch noch ohne Wand. Es ist ja eigentlich ganz leicht. Ich habe Oberarmmuskeln und stabile Unterarmknochen, starke Schultern, meine Gelenke sind gesund. Ich bin sicher, es ist ganz einfach.

Als Kind bin ich im Freibad vom Dreier vorwärts und rückwärts geköpfelt, Salto konnte ich auch. Das ist sehr, sehr lange her. Letztes Jahr im August war ich wieder einmal dort, im Freibad meiner Kindheit, mit meinen Schwestern und ein paar Teenagern. Ich habe den Kindern lange zugeschaut, wie sie vom Einser hüpften, vom Dreier und vom Fünfer. Irgendwann bin ich von meiner Liege aufgestanden und zum Sprungturm marschiert. Ich bin die Leiter hochgekraxelt, ging über ein Stück Beton und dann ganz nach vorn an den Rand des rauen Brettes. Ich habe nicht hinuntergesehen. Ich habe mich umgedreht und die Arme in die Luft gestreckt. Alle Teenager schauten zu. Ich wusste, dass es ganz einfach ist; ich hatte das schon hundertmal gemacht.

Es hat ein bisschen gedauert, aber dann ließ ich mich fallen, stocksteif, fast kerzengerade. Ich kam ziemlich schief ins Wasser und verlor kurz die Orientierung. Danach ging's mir so gut wie schon lange nicht mehr. Heuer schaffe ich den Handstand, irgendwann, bestimmt.
(Doris Knecht, RONDO, 21.1.2019)

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